4 Stunden schuften, 4 Stunden absitzen? Über Arbeit, Zeit und Effektivität.
Wie viel Arbeiten ist eigentlich wirklich effektiv? In den letzten Jahren wurde immer wieder diskutiert, ob der durchschnittliche Arbeitnehmer in einem durchschnittlichen Land nicht zu viel arbeite, um wirklich noch guten Output zu produzieren. Einschlägige Studien bestätigen, dass 8-Stunden-Tage und reichlich Überstunden eher kontraproduktiv sind. Flexible Arbeitszeitmodelle hingegen zeigen flächendeckende Erfolge.
43,5 Stunden arbeiten vollzeitbeschäftigte Angestellte in Deutschland durchschnittlich pro Woche. Das ist fast ein Halbtag länger als vertraglich vereinbart. Das Wunschziel der Arbeitnehmer ist es, lediglich 36 Stunden zu arbeiten. Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen, dass 11 % der Vollzeitkräfte mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten.
Massenweise Überstunden machen schadet nicht nur den Mitarbeitern, sondern gefährdet auch den Erfolg des gesamten Unternehmens, fand das Magazin IMPULSE 2017 heraus und stützte seine Erkenntnisse unter anderem auf die Studie der Universität Stanford „The Productivity of Working Hours“ sowie Forschungsergebnisse von Friedhelm Nachreiner, Professor für Arbeitspsychologie und Vorsitzender der Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung. Die Ergebnisse der Fachleute sind eindeutig: Wer zu viel arbeitet, wird häufiger krank. Laut Arbeitszeitreport steigt der Anteil der Beschäftigten, die über gesundheitliche Beschwerden klagen, schon ab 2 Überstunden pro Woche (die sollen mal in der Werbung arbeiten, die Weicheier, Anm. des Verfassers). Eine Langzeitstudie der Ohio State University mit 12.000 untersuchten Arbeitnehmern belegte, dass bei über 40 Stunden Arbeitszeit das Krebs-, Diabetes- und Arthritisrisiko anstieg. Bei einer 60-Stunden-Arbeitswoche über 30 Jahre hinweg verdreifachte sich das Risiko gar. Als weiteren negativen Aspekt nennen Experten soziale Desynchronisierung. Wer mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet, hat weniger Privatleben. Man schiebt viel vom Kleinkram aufs Wochenende und vernachlässigt dadurch häufig Familie, Freunde – und manchmal auch sich selbst. Freizeit ist Arbeitnehmern aber wichtig, das zeigt auch der „Arbeitszeitreport Deutschland 2016“. Dort nach ihrer Wunscharbeitszeit befragt, gaben die Teilnehmer der Studie 36 Stunden in der Woche an. Sie zeigten sich bereit, entsprechende Lohneinbußen in Kauf zu nehmen. Untersuchungen zeigen, dass mit der Zahl der Arbeitsstunden auch körperliche Erschöpfung und Schlafstörungen zunehmen. Das kann zum Teufelskreis werden, denn dauerhaft ermüdete Arbeitnehmer regenerieren sehr viel langsamer. Fehlt ihnen die Zeit, zwischendurch ihren Akku wieder voll aufzuladen, stehen sie bald unter Dauerstress und steuern sehr effektiv auf einen Burnout zu.
Auch ein Punkt, der nicht zu vernachlässigen ist: Wer müde wird, wird ganz klar blöder. Das Gehirn braucht nämlich Pausen, da sind sich Wissenschaftler schon seit Langem einig. Vor allem Menschen, die komplexe Probleme lösen oder neue Ideen entwickeln sollen (so wie Kreative in Agenturen zum Beispiel, aber auch viele Führungsjobs in Unternehmen), sollten nicht zu lange am Stück nachdenken. In einer Studie der Universität Melbourne wurde deutlich, dass die kognitiven Fähigkeiten mit zunehmender Arbeitsdauer immer mehr nachlassen. Die Ideen werden schlechter, die Unaufmerksamkeit nimmt zu, neue Dinge können schlechter aufgenommen werden.
Wenn man in skandinavische Länder schaut, denn zeigen sowohl Schweden als auch Finnland durchweg positive Resultate, was den Zusammenhang von reduzierter Arbeitszeit und Arbeitnehmereffektivität angeht. In Göteborg wagte man 2015 den Modellversuch zum 6-Stunden-Arbeitstag bei vollen Bezügen mit dem erfreulichen Ergebnis von weniger Krankenständen, verminderten Überstunden und zufriedeneren Menschen. Das Nachbarland ist bereits einen Schritt weiter: Kein anderes Volk in Europa arbeitet flexibler als die Finnen. Der Gesetzgeber hat jungen Finnen großzügige Rahmenbedingungen geschaffen, damit sie Beruf und Familie besser vereinbaren können. Vor allem die Mütter haben es in Finnland vergleichsweise gut: Garantie auf Vollzeitkinderbetreuung, eine großzügige Karenzregelung und das Recht auf Teilzeit – es wird viel dafür getan, um sie im Berufsleben zu halten. Aber auch wer keine Kinder hat, kann von seinem Arbeitgeber in Finnland viel Flexibilität erwarten. Einer Eurofound-Studie zufolge bieten über 80 % der finnischen Unternehmen flexible Arbeitszeitmodelle an. Dabei werden Arbeitszeitkonten immer beliebter. Es wird nur dann gearbeitet, wenn es Arbeit gibt – und dann auch gerne mit Überstunden, die bei Flaute abgefeiert werden. Solch flexible Regelungen erhöhen die Zufriedenheit im Job und Unternehmer haben den Vorteil, dass die so genannte „tote Zeit“ minimiert wird. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Proudfoot sind das immerhin 30 bis 40 % der gesamten Arbeitszeit.
Unternehmerlegende Richard Branson von Virgin und Unternehmen wie Netflix waren die Ersten, die Schwung in die Arbeitsorganisation gebracht haben. Schon vor Jahren propagierte Branson, ihm sei es völlig egal, wann, wo und wie seine Mitarbeiter ihre Arbeit erledigen würden. Ganz neue Ansätze kommen auch aus der Start-up-Szene. Hier schreiben sich etliche Unternehmen „null Überstunden“ auf Fahne und Website. Oder sie kürzen, wie das österreichische Start-up Bike Citizens, die Arbeitswoche auf 36 Stunden an 4 Tagen herunter – der Freitag gehört dabei schon zum Wochenende. Das Konzept gewann den 3. Platz beim New Work Award von Xing. Es sieht eine Kernarbeitszeit vor, die montags bis donnerstags von 9 bis 15 Uhr dauert. Die darüber hinausgehenden Stunden können beliebig verteilt werden, auch auf den Freitag – das Unternehmen hält die Mitarbeiter aber dazu an, diese von montags bis donnerstags zu machen, damit der Freitag komplett zum freien Wochenende gehört. Es gibt zwar auch weniger Lohn – das nehmen die Angestellten aber wohl für den Freizeitgewinn gerne in Kauf.
Konzepte wie die eben geschilderten gehören unterm Strich natürlich in den kapitalistischen Kanon, der Sinn und Zweck des Ganzen ist freilich ein Mehr an Effektivität der Arbeitskräfte. „Frisches Mindset“ sagen Chefs und Personaler auch dazu. Man macht sich am Montag einfach aufgeräumter an die Arbeit. Das Ganze wirkt aber natürlich auch versöhnlich, denn auch der Arbeitnehmer hat ja etwas davon und muss sich nicht länger das letzte Glückshormon am Hamsterrädchen rauspusten.
Arbeitsorganisationsexperten und Firmenchefs dürften es ähnlich sehen: Jeder, der mit Selbstorganisation und freier Einteilung der Arbeit experimentiert, muss sich im Klaren darüber sein, dass es letztlich um die Resultate geht. Jedem Mitarbeiter wird die Autonomie gegeben und die Verantwortung abverlangt, einschätzen zu können, wie viel Einsatz er für sein Ziel braucht. Die Freiheit des Arbeitnehmers wird zum Effizienzversprechen für die Unternehmer. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Denn neben der Effektivität, die für Resultate sorgt, gibt es ja auch noch die Effizienz zu berücksichtigen – und die misst sich natürlich an der Bilanz. Das schwedische Modell von weniger Arbeit bei gleichem Gehalt rechnete sich zwar für die Göteborger Auto- werkstatt, da sie vom 8-Stunden- auf 2 x 6-Stunden-Betrieb umstellte und dadurch bedeutend produktiver wurde. Allein die Altenpflegekräfte der Stadt auf 6 Stunden herunterzustufen, würde die Stadt, laut Kommunalpolitikerin Maria Rydén, allerdings bereits unbezahlbare 85 Millionen Euro kosten.
Klar ist, dass klassische Arbeitszeitmodelle immer weniger zu einer zeitgemäßen Lebensplanung passen. Wie allerdings Flexibilität, Effektivität und Effizienz unter einen Hut passen, dafür gibt es noch keine Patentlösung. Aber vielleicht braucht es die ja auch gar nicht. Vielleicht ist es an der Zeit, einheitliche Arbeitszeitlösungen vollends aufzugeben, damit jedes Unternehmen einen eigenen Weg finden kann, wie es Effektivität und Effizienz, Produktivität und Zeitausgleich in einem Win-win-Modell vereinen kann.