„Die Wirtschaft bekommt ein neues Betriebssystem.“
Der Begriff New Work ist in der Businesswelt gar nicht so neu, doch geistert er spätestens seit der Corona-Pandemie durch viele Branchen und Medien. Von den einen zur kompletten Lebensphilosophie heraufbeschworen, sehen andere in New Work einen Trend hoffnungsloser Idealist:innen, denen man keinen Bock auf Arbeit unterstellt. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff? Welche Veränderungen versucht er zu umfassen? Und was bedeutet eine von New Work geprägte Arbeitswelt für Unternehmen und Marken – auch im Employer Branding? Hierzu sprachen wir mit Michael Trautmann.
ist Unternehmer, Berater und Podcaster. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft und einer Promotion im Bereich ökologieorientiertes Marketing folgten der Berufseinstieg bei Bossard Consultants und Stationen als Geschäftsführer bei Springer & Jacoby und als Global CMO bei Audi. 2004 gründete er zusammen mit André Kemper die Werbeagentur kempertrautmann, aus der die thjnk AG wurde. Michael ist außerdem Mitgründer von Hyrox, der weltweit ersten Fitness Competition für jedermann, und er ist einmal in der Woche als Co-Host im Podcast „On The Way to New Work“ zu hören. Er ist außerdem Co-Autor des gleichnamigen Buches. Zusammen mit seiner Co-Autorin Swantje Allmers hat er Anfang 2021 die New Work Masterskills (NWMS GmbH) gegründet.
Der Begriff New Work impliziert, dass es auch Old Work gibt. Was ist denn Old Work?
Old Work ist für mich eine Sichtweise, die wir seit der industriellen Revolution für Arbeit haben. Nämlich die, dass einige wenige, meist alte, weiße Männer, genau wissen, wie es geht. Und den anderen Menschen vorschreiben, wie sie ihre Arbeit zu tun haben. Das ist auch als Taylorismus bekannt. Frederick Winslow Taylor hat damals mit amerikanischen Gewerkschaften verhandelt und sinngemäß gesagt: „Wenn ihr die Arbeitsschritte genau so ausführt, wie wir es vorschreiben, bekommt ihr mehr Geld.“ Das hat sich lange durchgesetzt. „Command and control“ war das Motto. Jetzt kommen wir in eine Zeit, in der wir damit nur noch in Ausnahmefällen oder in Krisensituationen weiterkommen. Vielleicht auch da nicht. Heute ist es mehr „trust and inspire“. Das ist der Fingerzeig darauf, dass Arbeit sich erneuern muss, und letztendlich die Richtung, in die New Work für mich geht.
Wie würdest du nun New Work genauer definieren?
New Work hat die Vor- und Nachteile jedes Buzzwords. Aktuell wird damit, vor allem durch Corona bedingt, Remote Work beschrieben. Davor war es so etwas wie, dass man Hunde mit ins Büro nehmen durfte oder einen Tischkicker hatte. Doch schon in den 1980er Jahren gab es eine Utopie von Frithjof Bergmann, einem in die USA ausgewanderten Sozialphilosophen und Anthropologen.
Er hat damals zwischen General Motors und den Gewerkschaften in der Automobilkrise verhandelt, als der Konzern das erste Mal Leute entlassen wollte. Der New-Work-Begriff kommt also aus der Produktion. Bergmann gelang es auszuhandeln, dass keiner entlassen wird, aber alle nur noch zu 50 % arbeiten sollten. Die eine Hälfte der Mannschaft von Januar bis Juni, die andere von Juli bis Dezember. Es hat sich mit diesen Menschen damals eine Bewegung entwickelt, die er New-Work-Bewegung nannte. Mit dem Ziel, dass die Leute andere Inhalte finden. Bergmann formulierte daraus die Utopie, dass Menschen in Zukunft nur noch ein Drittel ihrer Zeit einer Lohnarbeit nachgehen würden. Ein weiteres Drittel sollte die eigene Herstellung von Dingen oder deren smarten Konsum umfassen. Bergmann sagte das Prinzip des 3D-Druckers voraus, nicht aus technischer, jedoch aus funktionaler Sicht. Er nannte ihn „personal fabricator“. Das letzte Drittel würden Aktivitäten und die Verfolgung von Zielen darstellen, die die Menschen wirklich interessieren. Also etwa das, was wir heute Purpose nennen. Um es abzuschließen: In diesem Dreieck bewegt sich New Work. Strukturen zu schaffen, in denen Menschen durch Arbeit stark werden und sowohl sich selbst als auch die Gesellschaft voranbringen.
Kommen wir kurz zu deiner beruflichen Laufbahn. Wie kam es, dass du dich für New Work interessierst?
Wenn ich heute zurückschaue, habe ich mich schon immer für den Faktor Mensch bei der Arbeit interessiert. In meiner ersten Station als Uni-Assistent habe ich Leute an Unternehmen vermittelt, danach dann als Unternehmensberater, Recruiting Director und späteres Vorstandsmitglied bei Springer & Jacoby Personalverantwortung übernommen. Operativ stieß ich auf den Begriff beim Bau des neuen Headquarters für die thjnk-Gruppe, als wir uns damit befassten, wie man das Büro der Zukunft gestalten sollte. Ich habe damals viele Studien gelesen und gemerkt, dass es um viel mehr als Büros geht. Gemeinsam mit einem Freund habe ich mich dann immer weiter in das Thema eingearbeitet und 2017 die erste Folge unseres Podcasts „On the Way to New Work“ hochgeladen. Damals haben wir sowohl die aufkommende Podcast- als auch New-Work-Welle erwischt. Mit Corona bekam das Thema 2020 einen zusätzlichen Turbo.
Du warst 2002–2004 Marketingleiter bei Audi. Wie war damals das Arbeiten in so einem Unternehmen?
Gar nicht so klischeehaft, wie man denken mag. Flache Hierarchien und so weiter gab es dort damals schon. Manche nannten es hemdsärmelig, aber ich habe das als Spielfeld genutzt. Ich merkte, wie viel Zeit für schlechte Kommunikation draufgeht. Zu viele Meetings, zu viele E-Mail-Anhänge. Andererseits habe ich gesehen, wie man in sieben Jahren ein Auto von der ersten Skizze bis zur Serienreife bringen kann, was eine enorme Leistung ist. Mit heutigen Standards ist das natürlich nicht mehr zu vergleichen, aber Audi war damals bereits ein hochmodernes Unternehmen, das den Claim „Vorsprung durch Technik“ auch in der Arbeitsorganisation gelebt hat.
Und dann ging es auf die „andere Seite“, in die Agentur thjnk.
Wenn ich ganz streng bin, ist eigentlich Audi die Ausnahme gewesen, die nicht in den Lebenslauf passt. Ich komme ja aus der Unternehmensberatung und Werbung. In mir war immer das Dienstleistungs-Gen. Der Schritt weg von Audi wurde mir leicht gemacht, weil wir uns einig waren, dass wir uns eine weitere Zusammenarbeit gut vorstellen konnten. So kam es dann auch wenige Monate später. Ich möchte die Zeit nicht missen, denn die Audi-Erfahrungen haben meinen Horizont enorm erweitert und helfen mir heute in der Arbeit mit Unternehmen.
Du sprachst die treibende Rolle von Corona bereits an. Waren die Veränderungen nur notgedrungen oder eine echte Zeitenwende?
Corona war ein Katalysator – und wir müssen aufpassen, dass der Katalysator nicht kaputtgeht. Die Ersten fangen jetzt schon wieder an mit „Kommt zurück ins Büro, ist doch eh geiler“. Wir sollten die Dynamik, die das in die Menschen gebracht hat, positiv nutzen. Trotzdem haben wir ja immer noch Büros und sollten uns fragen, wie wir sie einsetzen können. Am Ende muss jedes Unternehmen, aber auch jeder Mensch für sich die richtigen Schlüsse ziehen.
Man muss einen Grund dafür schaffen, dass die Leute ins Büro kommen.
Wie und wo charakterisiert sich New Work im Arbeitsalltag?
Es fängt beim Individuum an. Selbstreflexion, Stärken stärken und Schwächen ausgleichen. Auch die Sinnsuche der Arbeitnehmer:innen birgt ein enormes Potenzial. Schau dir Künstler:innen an, die haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Arbeit. Dann auch das Thema Selbstmanagement. Wir haben immer mehr Kommunikationskanäle. Welche E-Mail ist schon beantwortet? Wo ist was abgelegt? Hier geht viel Zeit drauf. Um das zu optimieren, braucht man eine Bereitschaft zu lebenslangem Lernen und auch Kreativität.
Sehr zentral ist der Drang nach mehr Freiheit, insbesondere Entscheidungsfreiheit. Gerade jüngere Generationen sind heute nicht mehr bereit, erstmal 20 Jahre lang zu buckeln, um dann irgendwann mal was sagen zu dürfen. Auf Teamebene umfasst das auch Führungsstrukturen. Brauche ich überhaupt noch so viele Führungsebenen? Wie wird kommuniziert, Feedback gegeben? Bis hin zur großen Frage: Was ist unser Purpose? Man könnte sagen: Die Wirtschaft bekommt ein neues Betriebssystem. Trotzdem muss man nicht aus Prinzip alles neu machen. Fest steht jedoch: Es wird nur ganz wenige Firmen geben, die diese Entwicklungen ignorieren können.
Vor welche Herausforderungen stellt das Unternehmen in der Praxis?
Völlig unabhängig von New Work beschäftigen Unternehmen gerade die großen Themen wie Corona und der Ukraine-Krieg sowie daraus folgende Phänomene wie die zunehmende Deglobalisierung. Man schaut nach China, ob die dort bald ihr eigenes Ding machen. Deshalb gucken viele gerade lieber nach außen und reagieren, als an sich selbst zu arbeiten. Es würde aber helfen, im eigenen Rahmen neue Wege zu gehen, mal nach links und rechts zu schauen. Amy Edmondson, eine zu Arbeit und Leadership forschende Harvard-Professorin, sieht den Schlüssel dazu in der psychologischen Sicherheit innerhalb von Teams. In über 20 Jahren Forschung konnte sie nachweisen, dass Menschen, die jederzeit das Gefühl haben, ohne persönliche Konsequenzen Kritik äußern zu dürfen, bessere Leistungen erbringen. In verstrickten Führungsstrukturen ist die Feedbackkultur und Innovationskraft oft schlechter. Ein weiteres Beispiel ist das Büro. Mit der Möglichkeit des Homeoffice fragen sich viele Unternehmen, ob sie überhaupt noch so viel Bürofläche brauchen oder etwas abmieten. Dann sollten sie aber die Qualität des verbleibenden Raumes verbessern. Man muss einen Grund dafür schaffen, dass die Leute ins Büro kommen. Und sei es, um Bonding zu betreiben, also einen Raum zur Begegnung mit Kolleg:innen zu bieten.
Welche Rolle spielen Arbeitnehmer:innen beim Wandel zu New Work?
Ganz großes Thema. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt Leute, die haben eine Produktivitätssteigerung, wenn sie zu Hause arbeiten. Häufig sind das eher introvertierte, sehr prozessual arbeitende Menschen, die Begegnungen mit anderen gerne klar dosieren. Andere verdorren zu Hause regelrecht. Hier hilft es, mit den Menschen zu sprechen: Was brauchst denn du, um gut zu arbeiten? Wenn die dann Homeoffice sagen, könnte ich erfragen, was sie denn im Büro stört. Ich erlebe es seit Corona immer öfter, dass Führungskräfte über ihre Direct Reports hinweg mit Mitarbeitenden sprechen. Nicht um zu kontrollieren, sondern aus ehrlichem Interesse. Das Ganze wird nur mit den Menschen funktionieren und nicht gegen sie.
Es geht aber auch um zukünftige Mitarbeitende. Was müssen Unternehmen tun, um als attraktive Employer Brand wahrgenommen zu werden?
Es ist wie bei jeder guten Kommunikation. Mein Lieblings-Claim dazu kommt von McCann Erickson: Truth well told. Es nützt Unternehmen gar nichts, wenn sie in der Employer-Branding-Kampagne das Blaue vom Himmel runtererzählen, aber das im täglichen Doing nicht gelebt wird. Ganz klare Reihenfolge: erst nachdenken, dann machen, dann darüber sprechen. Du musst erst zu Veränderungsprozessen kommen und diese etablieren, bis du über sie sprechen kannst. Meine persönliche These ist, dass das Employer Branding in Zukunft noch viel enger an die Gesamtmarke selbst rückt. Heute ist es oft eher im HR-Bereich angesiedelt. Hier müssten Marketing und HR besser zusammenarbeiten. Im B2B ist das schon sehr oft der Fall, dass Marke und Unternehmen gleich sind. In Zukunft müssen massive Budgetverschiebungen stattfinden, um dem Fachkräftemangel auch nur ansatzweise begegnen zu können. Raus aus der klassischen Kommunikation hin zum Employer Branding.
Das Employer Branding wird in Zukunft noch viel enger an die Gesamtmarke selbst rücken.
Mit welchen Entwicklungen rechnest du in der Zukunft? Und was wird vielleicht ein Trend bleiben?
Menschen fühlen sich immer weniger an ihren Arbeitgeber gebunden. Viele machen ganz genau nur das, für was sie bezahlt werden. Was prinzipiell ok ist. Aber Menschen und Unternehmen, die in der Vergangenheit erfolgreich waren, sind immer die Extrameile gegangen. Das nimmt ab. Begegnen kann man dem wiederum mit einer ehrlichen Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Purpose. Der Einsatz von Technologien wird ebenso zunehmen. Es gibt Software, die Vertriebsgespräche am Telefon live analysiert und die Mitarbeitenden berät, wie sie das Gespräch weiterführen sollten. Viele Dinge werden auf ähnliche Weise automatisiert werden, nicht nur in der Produktion. Daraus folgt gesellschaftlich auch die Frage, ob wir etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen benötigen.
Welchen Ratschlag möchtest du unseren Leser:innen mitgeben?
Aus Sicht des Individuums wird die Notwendigkeit zum lebenslangen Lernen zunehmen. Es gibt heute bei YouTube auf Knopfdruck alles, was du brauchst. Auch LinkedIn Learning oder Ähnliches. Was du da für kleines Geld geboten bekommst, ist enorm. Außerdem möchte ich dazu ermutigen, sich stärker mit dem Selbstmanagement zu befassen. Nicht einfach mehr, sondern effizienter zu arbeiten. Und damit auch glücklicher zu werden.