Nackte Fackte. Oder: Warum ein Engländer den beutellosen Staubsauger erfand

Marke People Data & Tech Lifestyle
06.03.2020

Die Leiden beim Entscheiden

Nun ist so ein Entscheider auch nur ein Mensch, doch leider ist der sehr schwer zu fassen. Man stützt sich oft gelassen auf die Persona-PowerPoint, die allzu oft ein Meeting joint. Er handelt rational und wägt gar sauber ab. Doch wer kennt seine Qual, die hält ihn wohl auf Trab fernab von harten Fakten? So hört ihm zu, dem Nackten!

Insight ist der erste Schritt zur Besserung

Not macht erfinderisch, sagt ein bekanntes Sprichwort. Und in der Tat: Am Anfang einer Innovation steht oft der ­Ärger über den Status quo. Um eine Veränderung zum Besseren herbeizuführen, braucht es die richtigen ­Insights – bestimmte Erkenntnisse und An­nahmen, die den Weg für eine neue Erfindung frei machen. Bei der Lösungsfindung steht manchmal Kollege Zufall Pate, oft steckt aber auch aufwändige Forschungs- und Entwicklungsarbeit dahinter.

Beispiel 1: Einem Engländer geht in den 1980er Jahren sein Hoover dermaßen auf den Sack, dass er den beutellosen Staubsauger erfindet. Sein Name: James Dyson.

 
Dysons Insight: Bei herkömmlichen Staubsaugern nimmt die Saugleistung mit zunehmendem Füllstand und damit einher­gehender Verstopfung des Staubbeutels ab. Und er denkt, das dürfte auch viele andere Putzteufel nerven.
 
Die Lösung: In einer Sägemühle lernte Dyson das Prinzip des Fliehkraftabscheiders kennen, bei dem Luft in eine Drehbewegung mit hoher Geschwindigkeit versetzt wird. Im Dyson Staubsauger fliehen die Schmutzpartikel durch Zentrifugalwirkung nach außen und werden dort in einem Behälter gefangen gehalten – ohne dass die Saugkraft auf der Strecke bleibt.
 
Bis zum serienreifen Modell brauchte Dyson jedoch 15 Jahre und tausende von Versuchsmodellen – er musste also im wahrsten Sinne des Wortes viel Staub aufwirbeln – und vermutlich auch fressen –, bis seine Erfindung ein kommerzieller Erfolg wurde.

Politisch mega unkorrekte Kapseln

Beispiel 2: Eines Tages stößt der Hausfrau Melitta Bentz der Kaffeesatz in ihrer Tasse mal wieder so sauer auf, dass sie kurzentschlossen aus dem Löschpapier ihres Sohnes und einem löchrigen Topf den weltweit ersten Kaffeefilter bastelt.
Und 1908 eine Firma gründet, die sie nach ihrem Vornamen benennt.

Melittas Insight: „Mit meiner Meinung bin ich sicher nicht alleine. Deshalb soll die Welt nicht länger mit der beschissen schmeckenden Plörre abgespeist werden.“ Eine Lösung musste her: Wenn man die Brühe durch Löschpapier oder Stoff gießt, „macht Melitta Kaffee zum Genuss“, wie es der berühmte Melitta-Mann viel später in Werbespots der 1990er Jahre postulierte. Auch bei Melitta dauerte es allerdings Jahre, bis aus einer improvisierten Wohnzimmer-Manufaktur ein Weltunternehmen wurde.
 
Übrigens: Melittas Urenkel im Geiste heißen Julian Reitze und Stefan Zender und kommen aus Stuttgart. Und weil Nespresso der neue Filterkaffee ist, haben sie sich eines Ärgernisses angenommen, das über dem postmodernen Konsumgut schwebt wie eine dunkle Cloud. Ihr Insight: Aufgrund seiner nicht recycelbaren Kapseln ist diese Methode der Kaffeezubereitung umweltpolitisch mega unkorrekt und den sich schnell vermehrenden Gretas und Carolas dieser Welt nicht mehr zu vermitteln. Also erfanden die beiden Stuttgarter Saubermänner unter dem Label Rezemo Kapseln, die aus dem Abfallprodukt Holzspäne hergestellt werden und zu 100 % recycelbar sind. Und eroberten damit im Oldschool-Medium TV die Herzen von Maschmeyer, Thelen und Co. im Sturm.

Uber Mobilität auf Knopfdruck
Beispiel 3: Ein paar Nerds in San Francisco sind totally pissed, weil sie auf der Suche nach einem freien Taxi oft im Regen stehen. Sie überlegen sich, wie geil es wäre, eine Mitfahrgelegenheit auf Knopfdruck herbeirufen zu können. Sie nennen ihr Start-up Uber– ein englischer Germanismus für „über“.

Ubers Insight: Täglich ärgern sich Millionen von Menschen darüber, dass sie zu viel Zeit und Energie damit verbringen, einen Ride zu bekommen. Das Aufkommen einer neuen Technologie, die der Menschheit Smartphones und Apps schenkte, einhergehend mit dem zunehmenden Wunsch nach On-Demand-Services, befeuerte Ubers Idee „Tap a button, get a ride“. Heute bietet Uber ein ganzes Bündel an Dienstleistungen rund um diesen Insight – von Taxidiensten und Carpooling über Essens- und Frachtlieferung bis hin zum
E-Bike- und Scooter-Verleih.

Pain in the Ass durch Kriechströme

Werfen wir noch einen Blick auf Innovationen im B2B-Sektor. Zum Beispiel die Erfindung der handgeführten Bohrmaschine durch das Stuttgarter Unternehmen Fein im Jahr 1895. Aus der Not geboren, eine schnellere Lösung zu finden, um hunderte von Löchern in Stahl zu bohren, hatten zwei junge Mechaniker die Idee, ein Bohrfutter auf die Spindel eines der damals neuen, kleinen Elektromotoren zu montieren. Der Insight des Firmengründers Emil Fein: Da steckt Potenzial für ein gutes Geschäft drin. Denn er weiß, dass Schnelligkeit ein wesentlicher Erfolgsfaktor in der industriellen Fertigung ist. Also entwickelte er, basierend auf der Idee seiner Mitarbeiter, die weltweit erste handgeführte Bohrmaschine, die bis heute aus Handwerk und Industrie nicht mehr wegzudenken ist – und auch aus kaum einem Privathaushalt.
 
Wie kommt eigentlich die Kunststoffhülle an einen elektronischen Stecker? Die Antwort: mittels einer Kunststoffspritzgießmaschine. Im Jahr 1954 entwickelte Karl Hehl im schönen Schwarzwaldstädtchen Loßburg die erste kleine Maschine ihrer Art. Sein Pain in the Ass: Die von ihm und seinem Bruder Eugen hergestellten und vertriebenen Blitzlampen für Fotoapparate erlitten Kurzschlüsse, was zu einer Flut an Reklamationen führte. Ihr Insight: Dieses Problem dürfte auch bei anderen Anwendungen auftreten und geschäftsschädigend wirken. Ihre Lösung: eine Hülle aus Kunststoff, die Kriechströme verhindert. Heute ist ARBURG, das Unternehmen der beiden Brüder, ein Weltmarktführer mit 3.000 Mitarbeitern, das weltweit Hightech-Spritzgießmaschinen für alle Schlüsselindustrien vertreibt – nach wie vor allesamt entwickelt und produziert in Loßburg.

Jedem Anfang wohnt ein Flop inne

Natürlich wurde im Olymp der genialen Erfinder nicht alles zu Gold, was anfänglich noch glänzte. Im schwedischen „Museum des Scheiterns“ können die Flops der verhinderten Daniel Düsentriebs bewundert werden: Von Sonys Minidisc über die Datenbrille Google Glass bis hin zum Segway – allen blieb der Durchbruch und damit der kommerzielle Erfolg versagt. In den meisten Fällen lag der Grund in falschen Insights, nämlich der Annahme, diese Produkte würden die Needs einer breiten Masse bedienen.
 
Welches aber sind die Faktoren, die wesentlichen Einfluss darauf haben, ob eine Innovation durch die Decke geht – oder halt abkackt? Der Zeit-Autor Ulrich Schnabel führt in seinem Beitrag „So kommt das Neue in die Welt“ (Ausgabe vom 12.09.2019) drei davon ins Feld:
 
„Erstens: Eine gute Idee reicht nicht. Damit Neues entsteht, bedarf es auch eines Umfeldes, das die Entwicklung begünstigt (…) Eine bestimmte Technik bildet mit gesellschaftlichen Vorstellungen, menschlichen Gewohnheiten und politischen Regeln ein ,Regime‘. Und große Innovationen führen zu
einem Regimewechsel.“ Kurzer Zwischenruf: siehe Dyson, siehe Melitta, siehe Uber.
 
„Daraus folgt zum Zweiten, dass wir an der Zukunft alle beteiligt sind. Egal, was sich Ingenieure, Forscher und Visionäre auch ausdenken. Trifft ihre Idee nicht auf gesellschaftliche Resonanz, ist sie zum Scheitern verurteilt. (…) Innovative Verhaltensweisen gehen in der Regel von kleinen, entschlossenen Gruppen aus,
die andere Gruppen mitreißen. Deshalb entsteht Zukunft (…) eher disruptiv, durch sprunghafte Veränderung.“ Weiterer Einwurf: Wer will schon von seiner Brille bevormundet werden?
 
Zum Dritten „ist die Frage nach der Zukunft keine technische, sondern vor allem eine psychologische. Paradoxerweise ist Wandel umso schwieriger, je wohlhabender und erfolgreicher ein Land bisher war.“ (Dritter Einwurf: Hallo Deutschland!) „Denn ins Leere zu springen fällt umso schwerer, je mehr man zurücklassen muss. (…) Dabei bieten gerade unsichere Zeiten das größte Potenzial zur Entwicklung neuer Ideen und Visionen.“

Konservieren wie Gott in Frankreich

Genug der Theorie! Lass uns lieber noch eine verblüffende, auf Insights basierende Innovationen ansehen:
 
Dass nämlich ausgerechnet ein französischer Koch und Konditor, Nicolas Appert mit Namen, die Konserve erfand, ist ein Treppenwitz der Gourmet-Geschichte. Auslöser war ein Wettbewerb, den kein Geringerer als Napoleon Bonaparte ausgeschrieben hatte, um ein Verfahren zu finden, mit dem man Nahrungsmittel für seine Armee haltbar machen konnte. Napoleons Insight: Nur mit gut genährten Truppen gewinnt man auch Schlachten. Nach langwierigen Tests in seiner Hexenküche kam Appert zu dem Ergebnis, dass man durch Erhitzen und Sauerstoffentzug nahezu alle Lebensmittel für lange Zeit haltbar machen konnte. Für Napoleons Soldaten gab es fürderhin keine Ausrede mehr, Kriege nicht zu gewinnen.
 
Und zum schlechten Schluss: Dass die Luftpumpe in Magdeburg, der ehemaligen Wirkungsstätte des
Ex-AFD-Politikers und Rechts-Rechtsaußens André Poggenburg, erfunden wurde, lasse ich einfach mal unkommentiert stehen.
 
Auf ein Neues!

Autor
Ekkehard Haug

Ähnliche Themen

Lifestyle 3. April 2024

Ode an den Obstkorb

Lifestyle 28. März 2024

Boomer needs help!

Marke 26. Februar 2024

Einigkeit und Recht und Fußball

Marke 26. Februar 2024

Aus unserer Werkstatt 2024

People 26. Februar 2024

Schland hat Schiss

Lifestyle 14. Februar 2024

Künstliche Intelligenz für Cineasten

Marke 13. Februar 2024

Die Social Media Molekülwolke

People 12. Februar 2024

Mobile Lifestyle: Auf zu neuen Ufern

Lifestyle 8. Dezember 2022

Absinth, Amarone und AI

People 8. Dezember 2022

"Ja, ich will hier arbeiten."

People 8. Dezember 2022

Ein Gespräch mit Bernd Kammerer

Marke 8. Dezember 2022

Aus unserer Werkstatt 2022

Marke 18. November 2022

Das Heimatsystem: Owned Media

Marke 18. November 2022

Der Out Of Home Galaxienhaufen

Marke 18. November 2022

Der Asteroidengürtel von Event

Marke 18. November 2022

Die weißen Zwerge von Print

Marke 18. November 2022

Die Recruiting Galaxie

Marke 18. November 2022

The Universe of employer branding

Lifestyle 30. Juni 2022

Up in smoke

Lifestyle 30. Juni 2022

Umwelt. Drauf geschissen.

Marke 30. Juni 2022

Nachhaltigkeit

Marke 30. Juni 2022

Aus unserer Werkstatt 01/2022

People 30. Juni 2022

Mit dem Machen anfangen

Marke 18. Mai 2021

Ohne CX war alles nix

Marke 11. März 2020

Aus unserer Werkstatt 2020

Marke 11. März 2020

Leben und arbeiten mit Insights

Marke 9. März 2020

Effie, Effie und nochmal Effie

People 18. November 2019

Insights from the Outside

People 12. September 2018

Industrie 4.0 kann man nicht kaufen

Lifestyle 12. September 2018

Wie wir auf Veränderungen reagieren

Marke 12. September 2018

Ist doch schön

People 11. September 2018

Standard ist tödlich.

People 11. September 2018

Ich wünsche mir mehr Mut

Marke 11. September 2018

Warum Marken Kreativität brauchen.

Marke 26. April 2018

Aus unserer Werkstatt 2018

Lifestyle 24. April 2018

Arbeit, Zeit und Effektivität.

Lifestyle 3. April 2024

Ode an den Obstkorb

Lifestyle 28. März 2024

Boomer needs help!

Marke 26. Februar 2024

Einigkeit und Recht und Fußball

Marke 26. Februar 2024

Aus unserer Werkstatt 2024

People 26. Februar 2024

Schland hat Schiss

Lifestyle 14. Februar 2024

Künstliche Intelligenz für Cineasten

Marke 13. Februar 2024

Die Social Media Molekülwolke

People 12. Februar 2024

Mobile Lifestyle: Auf zu neuen Ufern

Lifestyle 8. Dezember 2022

Absinth, Amarone und AI

People 8. Dezember 2022

"Ja, ich will hier arbeiten."

People 8. Dezember 2022

Ein Gespräch mit Bernd Kammerer

Marke 8. Dezember 2022

Aus unserer Werkstatt 2022

Marke 18. November 2022

Das Heimatsystem: Owned Media

Marke 18. November 2022

Der Out Of Home Galaxienhaufen

Marke 18. November 2022

Der Asteroidengürtel von Event

Marke 18. November 2022

Die weißen Zwerge von Print

Marke 18. November 2022

Die Recruiting Galaxie

Marke 18. November 2022

The Universe of employer branding

Lifestyle 30. Juni 2022

Up in smoke

Lifestyle 30. Juni 2022

Umwelt. Drauf geschissen.

Marke 30. Juni 2022

Nachhaltigkeit

Marke 30. Juni 2022

Aus unserer Werkstatt 01/2022

People 30. Juni 2022

Mit dem Machen anfangen

Marke 18. Mai 2021

Ohne CX war alles nix

Marke 11. März 2020

Aus unserer Werkstatt 2020

Marke 11. März 2020

Leben und arbeiten mit Insights

Marke 9. März 2020

Effie, Effie und nochmal Effie

People 18. November 2019

Insights from the Outside

People 12. September 2018

Industrie 4.0 kann man nicht kaufen

Lifestyle 12. September 2018

Wie wir auf Veränderungen reagieren

Marke 12. September 2018

Ist doch schön

People 11. September 2018

Standard ist tödlich.

People 11. September 2018

Ich wünsche mir mehr Mut

Marke 11. September 2018

Warum Marken Kreativität brauchen.

Marke 26. April 2018

Aus unserer Werkstatt 2018

Lifestyle 24. April 2018

Arbeit, Zeit und Effektivität.

Search form

Advanced search