Jürgen R. Schmid über gutes Maschinendesign

Marke People Data & Tech Lifestyle
18.05.2021

Von reinem Maschinendesign bis hin zur Beratung von Innovationskonzepten und Umsatzsteigerung – mit diesem ganzheitlichen Ansatz etablierte sich Schmidts Unternehmen Design Tech an der Spitze der Maschinendesign-Firmen.

Jürgen R. Schmid betrachtet alles aus der Perspektive des Kunden und des Anwenders. So generierte er eine umfangreiche Customer Journey mit vielfältigen Touchpoints. Diese Methodik zeichnet auch seine bekannteste Kreation aus: den Mini-Akkuschrauber. Zusammen mit seinen Mitarbeitenden hat der Inhaber bereits über 180 internationale Design Awards gewonnen. Darunter den iF Award und den Red Dot Design Award.

Jürgen R. Schmid

Jürgen R. Schmid hat 1983 Design Tech gegründet und ist Inhaber seiner Firma JÜRGEN SCHMID MASCHINEN-DESIGN. Mit seinem Expertenteam wird er weltweit von Unternehmen engagiert und ist mit 200 internationalen Awards ausgezeichnet worden. Beispielhaft für sein Wirken ist die Erfindung des Mini-Akkuschraubers und die Spritzgießmaschine von Arburg, der Autokran der Firma Liebherr und die Autowaschanlagen von WashTec.
Mit seinem Buch „Standard ist tödlich“ fasst er seine Designkunst zusammen und zeigt neue Wege auf.

Wie beurteilen Sie erfolgreiches Design?

SK

Für ein erfolgreiches Design sind zwei Komponenten relevant: die gesellschaftliche und die unternehmerische. Bei Maschinen ist der gesellschaftliche Aspekt der Arbeitsplatz sowie die Veränderung der Qualifikation der Bediener. Heutzutage werden Arbeitsplätze bestimmt von der Ergonomie, von den Anwendern selbst, Usability-Themen sowie der Software. Das ist heutzutage sehr komplex und reicht bis hin zum Service und zur Montage. Diese ganzen Themen schauen wir uns an. Dadurch wird aus einem Designprojekt ein sehr kompliziertes Entwicklungsprojekt. Beim unternehmerischen Aspekt entscheidet die Wettbewerbsfähigkeit. Echte Wettbewerbsfähigkeit wird vor allen Dingen durch echte Innovationen geschaffen – wie damals, als ich den Mini-Akkuschrauber erfunden habe. Dabei ist es wichtig, die Wertigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wertigkeit zeichnet sich dadurch aus, den Verkaufspreis sowie die technischen Komponenten mit dem Herstellerpreis zu vereinen und all dies sichtbar zu machen. Design Tech zeichnet aus, dass wir genau diese Komplexität handhaben können.

JS

Welche Maßstäbe haben Sie für Ihre Designs? Welche Erfahrungen sollen die Interaktionen mit den designten Maschinen kreieren bzw. wie soll der Kunde die Designs wahrnehmen?

SK

Wir betrachten nicht nur die äußere Hülle, sondern auch die inneren Komponenten. Da wir auch Designs für Werkzeuge bis hin zu Motoren und Linear-Achsen machen, kennen wir diese relevanten Komponenten genau. Früher hat man Design nur als Verschönerung betrachtet. Wir sind weiter gegangen, denn Design darf nicht nur schön sein, sondern muss mehr erfüllen. Es muss Wettbewerbsdifferenzierung und die Erkennbarkeit der Marke gewährleisten.
Also haben wir uns ins Innenleben hineinversetzt. Begonnen hat das damals mit der Installationstechnik – Schläuche, Verkabelungen und Verdrahtungen. Früher war das sehr unübersichtlich. Heute hat man das besser im Griff und es ist alles schön geordnet. Dadurch kann der Service die Fehler einfacher finden und entsprechend warten.
Zur Wahrnehmung: Im Prinzip soll der Kunde stolz sein. Wir machen für Liebherr Autokräne. Die Fahrer der Autokräne sind wahnsinnig stolz, wenn sie einen Liebherr haben. Einer der Fahrer soll anscheinend mal gesagt haben: „Guck mal, da unten steht ein Ferrari. Das ist ein tolles Auto, aber meiner war teurer.“ Da spricht der Stolz heraus, dass man so ein Fahrzeug fahren darf. Ich denke, das ist der entscheidende Punkt: „Wenn der Anwender stolz ist, dann hat man alle Aspekte erfüllt“.

JS

Welchen Beitrag leisten Ihre Maschinendesigns zu einer erfolgreichen Customer Experience?

SK

Die Wahrnehmung hat einiges mit der Customer Experience zu tun, dabei spielt Stolz auch eine wichtige Rolle, wie bei den Autokränen bereits angemerkt. Das heißt, ohne Customer Experience – ohne diesen Stolz – geht eigentlich gar nichts. Wenn wir solche Themen angehen, schauen wir immer: Was betrifft den Anwender? Dabei heißt Anwender nicht nur der Benutzer, sondern umfasst auch den Monteur und den Spediteur, der sie transportiert. Die Frage ist natürlich auch: Wie kommt so eine Maschine bei Ihnen an, wenn Sie sie gekauft haben? Die können Sie natürlich vom Lastwagen runtertransportieren und reinstellen. Oder sie zelebrieren den Prozess der Anlieferung. xyz Insbesondere für langfristige Kunden schauen wir uns diesen Prozess genau an. Wir stellen uns dabei die Frage: Was für ein Erlebnis hat der Kunde? Schließlich kostet eine Maschine mehr als ein Porsche Turbo, deshalb sollte diese Maschine entsprechend angeliefert werden. Darum sprechen wir mit den Spediteuren. Das heißt, wir haben diese Customer Experience sowohl bei der Anwendung als auch bei der Montage und in der Anlieferung. Der Kunde soll wissen, dass er etwas Besonderes bekommt, und dafür müssen Design und Technik natürlich die Anwendung auch hinterher erfüllen.
 

JS

Mit Ihrer Innovationsstrategie „Design to Success“ und Ihren Büchern haben Sie maßgeblich zu einem neuen Verständnis von Design im Maschinenbau beigetragen. Wie kreieren Sie dieses neue Verständnis?

SK

Design ist ja oft das Entscheidende. Wir wollen schließlich eine begeisternde Geschichte erzählen mit unserem Produkt und dessen Erlebnis. Eben nicht nur den Bediener erreichen, sondern darüber hinaus alle Menschen. Denn uns sind alle Menschen wichtig. Deshalb schauen wir uns auch bei der Success-Strategie den ganzen Vertrieb an und veranlassen dabei oft, dass die Vertriebsmannschaft entsprechend geschult wird. Man denkt vielleicht, das hat nichts mehr mit Design zu tun, aber das hat es. Wenn wir da ein allgemeines Beispiel nehmen wie Apple. Das lebt ja praktisch von der Usability und vom Design. Ich denke immer, es ist ganz interessant zu schauen: Was kann ich von anderen, die in anderen Bereichen aktiv sind, lernen? Also frage ich mich: Wie funktioniert so ein Apple-Shop und was kann ein Maschinenbauer davon lernen?

JS

Warum haben Sie sich für die Design-to-Success-Strategie entschieden?

SK

Früher hieß das „Lean Planning And Simultanouesly Engineering“. Da ging es um Entwicklungsgeschwindigkeiten. Ich hatte damals festgestellt, dass Firmen, die schneller entwickeln, erfolgreicher sind als andere. Mitte der 1990er gab es dann diese Design-to-Success-Strategie, wo ich alles zusammengeführt habe: von der Planung und dem Vertrieb bis hin zu dem Produkt-Konzept und der Strategie, Fertigung und Montage. Ich denke, wir müssen auch den globalen Wettbewerb betrachten, und das ist wichtiger als je zuvor. Wir müssen schauen, dass unsere Unternehmen ihre Führungspositionen behalten. Der Wettbewerb kommt schließlich von überall aus der Welt. Interessanter-weise auch aus allen Bereichen: Der Computerhersteller macht ein Smartphone. Ein Gummistiefel-Hersteller macht Handys. Das heißt, heutzutage haben wir den Wettbewerb gar nicht mehr auf dem Schirm. Diese Themen sind hochkomplex geworden. Aktuell sind wir sehr intensiv mit der Digitalisierung beschäftigt. So können wir dank unseres Online-Frage-Tools wesentlich mehr Personen und auch globale Märkte befragen. Hinterher können wir uns dann durch die Vielzahl der Antworten ein klares Bild machen. Dafür entwickeln wir auch eine App, sodass wir nicht nur situationsbezogen Anwenderbefragungen machen, sondern dass wir kontinuierliche Befragungen durchführen können. Wir machen heute komplette Kick-off-Workshops, die normalerweise mehr als 50 Stunden beanspruchen, bereits digital. Auch globale Kreativmeetings sind digital bei uns. Jeder kann zu einer beliebigen Zeit daran teilnehmen und ist dennoch interaktiv in diese Meetings eingebunden.
Wir machen hier echte Revolutionen in unserer Branche. Das können sich manche noch nicht mal vorstellen und wir machen das schon jetzt. Die Digitalisierung bietet für uns also enormes Potenzial.

JS

Nachdem Sie ein Design umgesetzt haben, was würden Sie gerne von den Anwendern hören?

SK

Also ganz schwäbisch formuliert: Ich würde am liebsten nichts hören von den Anwendern. Nach dem Motto: „Nix gsagt isch gnug globt.“ Es muss einfach laufen wie geschmiert. Beim Beispiel vom Mini-Akkuschrauber sagt mir niemand, wie toll der in der Hand liegt, aber viele Leute kaufen das Produkt und das ist ja perfekt. Das ist eigentlich das größte Lob. Natürlich freut man sich, wenn jemand doch was sagt. Aber ich denke, der beste Beweis dafür, dass es funktioniert, ist, wenn man gar nichts davon hört.

JS

Wie definieren Sie Customer Loyalty?

SK

Loyalität der Kunden ist, wenn sie sagen: „Ich will genau diese Maschine haben. Ich will an genau der Maschine arbeiten. Ich will diesen Liebherr Autokran haben.“ Ein Beispiel: Wir haben einen neuen Autokran gemacht. Ein Kunde von Liebherr wollte dasselbe Design, aber in einer anderen Baugröße, die es zu diesem Zeitpunkt nicht gab. Also wartete der Kunde, bis der Hersteller seine Nachfrage bedienen konnte. Bei den Autokränen entscheidet nicht der Unternehmer, sondern die Anwender beziehungsweise die Fahrer selbst. Das heißt, wenn die das Produkt wollen, dann erkenne ich diese Customer Loyalty. Das streben wir an: Wenn einer einmal mit der Maschine gearbeitet hat oder mit diesem Produkt, dann will er das wieder haben.

JS

Industriedesign ist auch Ausdruck einer bestimmten Markenbotschaft. welchen Beitrag leisten Sie dabei?

SK

Es geht ja um Wettbewerbsdifferenzierung. Es geht aber auch um das Thema Wiedererkennung, Eigenständigkeit und Einheitlichkeit. Wir brauchen eigenständige Merkmale, die auf das Unternehmen hinweisen, und die müssen wir dann konsequent anwenden. Diese Eigenständigkeit kann auch nicht beliebig sein, sondern sie muss der Marke folgen. Beispielsweise, wenn wir sagen, wir sind Innovationsführer, dann müssen die Merkmale die Innovationskraft sichtbar machen. Oder wenn ich sage, ich bin Qualitätsführer oder irgendwas anderes, dann müssen diese Merkmale diese Aspekte abdecken. Genau das ist die Kunst: Merkmale zu finden, die die Markenwerte abbilden und die auch anwendbar sowie kostenmäßig realisierbar sind, ohne das Produkt teurer zu machen – und das einheitlich konsequent über alle Produkte hinweg. Was leisten wir also? Die meisten Unternehmen im Industriebereich haben nämlich kein klares Markenbild. Das heißt, jeder Mitarbeiter, jeder Vertriebler und jeder Geschäftsführer kommuniziert nach außen eigentlich ein anderes Markenbild. Wir brauchen aber dieses einheitliche Bild, wenn wir Marke sichtbar machen wollen. Denn im Design ist es wie mit der Freiheitsstatue: Wenn ich die sehe, weiß ich, ich bin in Amerika. Unser Design ist sozusagen die Freiheitsstatue der Unternehmen.

JS

Zukunft der CX im Maschinenbau?

SK

Ich glaube, dass die Automatisierung immer stärker kommt. Das heißt, dass es immer weniger Anwender gibt und sie weniger qualifiziert sein werden. Das ist die erste Stufe, in der wir uns auch schon befinden. Ich denke, die nächste Stufe ist, dass es die menschenleere Fabrik geben wird. Da bin ich mir ganz sicher. Einige Unternehmen arbeiten bereits massiv daran. Man braucht also keinen typischen Anwender mehr bei diesen Hightech-Produkten. Aber bis es dann so weit ist, wird es noch eine Weile dauern. Immer mehr wird digital geschehen, auch das Monitoring. Wie überwache ich solche Prozesse? Diese Services werden also immer mehr digital stattfinden. Zum Beispiel als Fernwartung, Montage und Fertigung der Produkte. Das wird zwar immer noch eine Rolle spielen, aber auch das wird im Laufe der Jahrzehnte immer mehr automatisiert werden, bis Maschinen Maschinen herstellen und Maschinen Maschinen bedienen werden. Insofern denke ich, wird die Schnittstelle der Customer Experience der Verkäufer sein, der noch Beratung macht. Aber auch dafür haben wir bereits eine Strategie mit Kunden zusammen entwickelt. Dabei arbeitet der Verkäufer mit einem Navigator. Das heißt, man kann selbst millionenteure Anlagen mit einem Navigator zusammenstellen. Der Kunde muss sich also nicht mehr mit der Technik auseinandersetzen, sondern kann sein Problem, seine Aufgabenstellung schildern und der Navigator schlägt dann eine Maschine mit einem Preis und einem Lieferdatum vor. Das heißt, die Anwenderthematik wird sich einfach immer mehr verschieben und immer stärker vereinfacht werden. Bisher muss sich der Kunde noch mit Technik beschäftigen. Das wird in Zukunft wegfallen, weil der Computer für ihn auswählen wird. Ich sage voraus, dass der Designer der Zukunft auch nicht mehr selbst gestalten wird, sondern den Designprozess moderieren wird. Ich glaube, dass die KI das Design machen wird. Wir arbeiten bereits damit.

JS
Autorin
Samime Kutlu

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