Beinah zusammenhangslose Gedanken zum Thema Employer Branding

Marke People Data & Tech Lifestyle
08.12.2022

Employer Branding ist ein komplexes Thema, welches unsere Gesellschaft widerspiegelt wie sonst keines. Es ist die Verdichtung dessen, was Menschsein in der modernen westlichen Welt bedeutet. Dies ist der dritte Versuch, des Themas Herr zu werden.

Vom Glück erdrückt.

Nie waren die Menschen zufriedener bei der Arbeit. Vorgesetzte gibt es quasi nicht mehr wegen der unglaublich flachen Hierarchien, und wenn doch, dann behandeln sie die ein bisschen untergebenen Mitarbeiter fair und wertschätzend. Vom Chef gibt es jetzt den gepflegten Einlauf nicht mehr unten rein, sondern von oben.
In Gestalt von kostenlosem Kaffee, Süßies, Smoothies. Die Incentives fließen wie Milch und Honig: E-Bike, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, 17. Monatsgehalt, ein, ach was fünf Tage mehr Urlaub als anderswo und gratis Yoga für Anfänger. Der unvermeidliche Tischkicker steht im Gemeinschaftsraum wie ein Mahnmal für Teamgeist und lebendige Unternehmenskultur. Die Mannschaft ist aus Rassis- und Sexismusgründen jetzt auch hier divers und flexibel an die Stange anbring- und aufsetzbar. Wer nun in seinem Team den Brasilianer bekommen hat, muss zum gerechten Ausgleich auch eine Frau nehmen, welche erst nach einer angemessenen Zeit ausgetauscht werden darf gegen ein Männchen ohne Beine. Dem alten weißen Mann verrutschen beim Kopfball die Zähne. Teilzeitkräfte dürfen in der Halbzeitpause nach Hause. Die mit Burn-out kommen ins Tor, weil ohnehin niemand mitzählen darf, wie viele Bälle reingehen. Gemeinsam sind wir gemeinsam. Gemeinsam fühlen wir uns wohl. Außerdem wird jetzt die gute Laune von oben diktiert. Immer freundlich, lösungsorientiert, nie persönlich, sachlich statt emotional. Alle werden glatt geschliffen und in die synchronisierte Zufriedenheitsmatrix gedrückt für eine gerechtere Spaßverteilung in einer altherrenwitzfreien Zone. Wir sind jetzt diversererweise alle ein Menschentyp und sagen sogar bitte und danke. Fortan gibt es nur noch Micromobbing mit gepflegtem Vokabular und mit einem Lächeln im Gesicht. Feedback, oder wie man das nennt.

Zeigs ihnen.

Alles ist ein bisschen besser als früher. Die Unternehmen unterziehen sich einem Wandel. Innerlich wie äußerlich. Manche dekorieren sogar um, damit ihre Vision und Mission nicht nur in irgendeiner Powerpoint vergammelt, sondern zumindest auch im Foyer spürbar wird. Da werden Teppiche rausgerissen und Vitra-Möbel angeschleppt. Vornerum sieht es schon ganz gut aus. Nur was helfen die besten Bedingungen, wenn keiner davon weiß? Wir brauchen eine Werbeagentur. Die möge verkünden die frohe Botschaft überall. Überall wird darüber diskutiert, wie man sich als Arbeitgeber differenzieren kann. Überall gibt es die gleichen USPs. Überall werden Kampagnen gemacht, in denen eins wichtig ist: Authentizität.

Unscharf ist günstiger als gut.

Ich habe mal zum Geburtstag einen Schminkspiegel bekommen, der vergrößert. Man versprach mir, er würde mir Freude bereiten. Das Gegenteil war der Fall. Ich bin über 40, was soll da denn drin sein im Spiegel, was die Stimmung hebt. Ist doch von der Natur her gut eingerichtet, dass Sehkraft und Schönheit – wenn alles gut läuft – parallel nachlassen. Unscharf ist immer eine gute Sache, wenn die Sache nicht wirklich gut ist. So verhält es sich oft auch bei Employer-Branding-Kampagnen. Eigentlich sind gerade authentische Kampagnen der Trend. Kohorten von Fotografen schwärmen im Land aus, die gute Unternehmenskultur in Pixel zu gießen. Wo authentisch draufsteht, ist aber oft fake drin. Was der Werber authentisch nennt, ist in den allermeisten Fällen eine weichgezeichnete idealisierte Welt. Authentisch ist meistens nicht der Status quo eines Unternehmens, sondern die Fiktion. Was noch nicht ist, wie es sein soll, wird einfach mit fiesen Brennweitentricks der Fotografen unscharf gemacht. Wollten wir nicht authentisch? Nehmen wir doch Harald aus dem Betriebsrat und finden uns damit ab, dass er nun mal nicht für sein entwaffnendes Lächeln berühmt ist. Den Blitz so draufhalten, dass er drei Tage später vom Nachbild noch Sehstörungen hat, und dann verzichten wir mal auf die Retusche in der Litho. Die Zornesfalte im porig aufgequollenen Gesicht bleibt drin. Wer im Bild auf der Karriere-Website dann die meisten Mitesser findet, gewinnt als Preis ein romantisches Wochenende im Harz.

Na wenigstens von außen hui.

Sehr gut. Einblicke in die Abgründe des Menschseins. Das ist Leben. Das ist Wahrheit. Es gibt sie so sicher wie das Expedit-Regal im Arbeitszimmer. Das wird zwar im Teams-Call oft überdeckt von einem modern gestalteten Firmen-Teams-Hintergrund. Aber wir wissen dennoch: Dahinter steht es, das Regal, und quadratisiert jedes Individuum zu einem faszinierend großen gemeinsamen Nenner. Vor Expedit sind wir alle gleich. Zeigst du mir deins, zeig ich dir meins. Ob in Digital oder Real, irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht. Spätestens wenn der Bewerber kommt, heißt es: „Achtung er kommt!“ Und dann sind keine reinretuschierten Blendenflecke mehr da, die Schmuddelecken in der Firma überdecken. Da kommt auch zum Vorschein, dass Diversität etwas ist, was nur das Fußvolk betrifft. In den oberen Etagen hat die Vielfalt nämlich oft noch ein Loch. Deshalb: Unternehmen sollten aufpassen, wie sie sich präsentieren, damit die Fallhöhe zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht ganz so hoch ist. Das ist wie beim Tinderprofil: Mein Segeltörn mit Freunden. Mein wunderbares Gesäß beim Sprung in ein eiskaltes Wasserloch.
Ein Auto, an dem ich lehne – und damit zum Ausdruck bringe, dass es vermutlich meins ist. Plus weitere interessante Körperteile und überzeugende Benefits. Und ausgerechnet dann, wenns hallöchenmäßig wird, kommt die Wahrheit raus: Er/Sie ist auch nur ein Expedit.

Ein sich selbst lösendes Problem.

Eigentlich sollte es jetzt passen. Benefit, Benefit, Benefit, Vitra-Möbel plus Witze mit Disclaimer, die dem Mitarbeitenden ab und an ein professionelles Lächeln ins Gesicht zaubern, welches in Lichtbildern eingefangen wird und auf zahlreichen Kanälen den Weg zum Bewerber findet. Unter einem lauwarmen Berg von Sahne vergraben aber reiben sich die potenziellen Bewerber dieselbe aus den Augen. Nö, also ich weiß nicht, aber wo ist der Sinn von Arbeit überhaupt? Wo ist der Sinn, wo ist der Sinn? Ist euch eigentlich klar, dass ihr nur noch einen Algorithmus davon entfernt seid, von KI ersetzt zu werden? Das klappt schon wunderbar. Wir haben das in der Agentur letztens auch probiert. Das sah eigentlich gar nicht so schlecht aus.

Autorin
Stefanie Walkenfort

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