Mit dem Machen anfangen

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30.06.2022

Wie kann man der erste klimaneutrale Bundesligavrein sein und dies auch glaubwürdig im Alltag leben und verinnerlichen? Eine faszinierende Geschichte, erzählt von David Schössler.

David Schössler

Ist Leiter Vermarktung & Partnermanagement beim 1. FSV Mains 05 e.V und mit 15 Jahren Vereinszugehörigkeit ein 05er Urgestein.

Wie kommt ein Fußballverein auf die Idee, der erste klimaneutrale Verein der Bundesliga werden zu wollen?

KH

Der Impuls zu dieser Idee kam damals durch ein neues Hauptsponsoring mit Entega, dem größten Ökostromanbieter Deutschlands. Als sie vor elf Jahren mit dieser positiv irrwitzigen Idee auf uns zukamen, mussten wir erstmal schmunzeln und haben kontrovers diskutiert. Mal ehrlich, das war damals kein Trendthema. Heute treibt das jedes Unternehmen um.
Zur damaligen Zeit waren wir noch am Bruchwegstadion und der Verein war noch nicht ganz so groß. Wir hatten zwar schon ein stark ausgeprägtes soziales Gesellschafts- und Verantwortungsgefüge und als einer der ersten Klubs der Liga eine CSR-Abteilung, allerdings hat erst Entega dieses ökologische Thema aufs Tableau gebracht. Als wir uns dann damit konkreter auseinandergesetzt haben, erkannten wir auch relativ schnell das Potenzial. Daraus ist dann eine echte Erfolgsgeschichte geworden.

DS

Klingt spannend. Könnten Sie uns erzählen, wie es zu dieser Erfolgsgeschichte kam? Wie sind Sie das Thema konkret angegangen und wie haben sie es umgesetzt

KH

Wie bei allen anderen Maßnahmen war und ist es uns wichtig, dass Glaubwürdigkeit und authentisches Handeln die Basis für solche Maßnahmen bilden. Zum einen haben wir mit Entega einen Partner mit großer Expertise an unserer Seite und zum anderen haben wir in unserer CSR-Abteilung die entsprechenden Kompetenzen aufgebaut. Das war also nicht nur Marketing-Blabla, sondern wir haben klare Maßnahmenpakete definiert. Das beinhaltete neben technischen Neuerungen und energieeffizienter Ertüchtigung der Infrastruktur eben auch die Änderung des eigenen Verhaltens. Insofern ist auch eine Menge interner und externer Kommunikation nötig, um die Dinge auf den Weg zu bringen. Wir haben zudem ganz bewusst darauf geachtet, unsere Fans direkt mitzunehmen. So gibt es etwa die Initiative „05er Klimaverteidiger“, bei der u. a. Fans für umweltbewusstes Handeln belohnt werden. Ein Energiemanagementsystem hilft uns dabei, Ressourcen zu schonen und Emissionen einzusparen. Dass wir seit vielen Jahren unseren CO2-Fußabdruck kompensieren, hat sicher zur Sensibilisierung in vielen Bereichen des Vereins beigetragen. Mittlerweile haben wir Fragestellungen wie „Brauchen wir den Auftrag?“, „Müssen wir unbedingt fliegen?“ tief in unserer DNA verinnerlicht. Viele Dinge, die früher normal und selbstverständlich waren, fallen heute nicht mehr an, weil eben dieses Bewusstsein da ist.

DS

WIR HABEN FRAGESTELLUNGEN WIE „BRAUCHEN WIR DEN AUFTRAG?“, „MÜSSEN WIR UNBEDINGT FLIEGEN?“ TIEF IN UNSERER DNA VERINNERLICHT.

Sie haben sicherlich einen hohen Energiebedarf. Künstliches Sonnenlicht für den Rasen, Flutlicht, Rasenheizung, die Beheizung der Stadion-Räume. All das braucht sicher eine Menge Energie. Müssen Sie noch viel kompensieren?

KH

Unser Flutlicht und die komplette Beleuchtung in den Räumlichkeiten haben wir vor ein paar Jahren auf LEDs umgestellt. Zudem wurde die komplette Beleuchtung in den Räumlichkeiten auf LEDs umgestellt. Auch haben wir u. a. ein Energie- und Lastmanagement aufgebaut und vieles mehr. Den signifikant größeren Anteil an Emissionen verursachen aber unsere Fans. Klar, 34.000 Menschen müssen ja alle zwei Wochen anreisen, zum Teil mit Bus und Fahrrad, aber auch mit dem Auto. Auch bei Auswärtsreisen mit 1.000 bis 2.000 Tickets wissen wir durch Befragungen, wie weit die Fans durchschnittlich anreisen und vieles mehr. All das fließt in unseren CO2-Fußabdruck ein.
Jede Gastmannschaft, die nach Mainz kommt, wird inzwischen durch unsere Maßnahmen CO2-neutral gestellt: Das funktioniert über Aufforstungsprojekte, Investitionen in Klimabildung und vieles mehr. Wenn zum Beispiel der FC Bayern München bei uns zu Gast ist, bekommt er eine Urkunde, dass wir seine Anreise klimaneutral gestellt haben. Das hat den Effekt, dass wir darüber reden und die Fans sich damit auseinandersetzen. Wenn der große FC Bayern vom kleinen Mainz 05 diese Urkunde bekommt, hinterlässt das sicher ein paar Fragen. Die nehmen das mit und machen sich darüber Gedanken. Die Sensibilität und das Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit zu schaffen ist ein essenzieller Baustein für das, was wir hier so tun.
Also ja, es wird viel kompensiert, aber im Verhältnis ist das viel weniger, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war.

 

DS

Wie sehen andere Fußballvereine das Thema? Haben die es auch schon für sich entdeckt?

KH

Also wir waren lange Jahre der erste und einzige Club in der Liga. Inzwischen haben sich durchaus ein paar damit auseinandergesetzt. Vereine wie die TSG Hoffenheim haben im Rahmen ihrer Markenbildung das Thema mittlerweile auch als Teil ihrer Identität aufgenommen. Die sind inzwischen sehr weit und machen sehr vieles richtig. Zum Teil auch etwas mehr als wir, aber auch weil sie Agenturen und große Budgets im Hintergrund haben. Wir haben das von innen heraus aufgebaut und entwickelt. TSG Hoffenheim hat mit PreZero ein Unternehmen aus der Schwarz-Gruppe als Partner, das in diesen Themenfeldern sehr aktiv ist. Das ist super, das sollten noch mehr so machen! Wir bleiben die Ersten, aber die Einzigen wollten wir nie sein. Wenn alle darüber reden, haben alle mehr davon. Zusammenfassend kann man sagen, in dieser inhaltlichen Tiefe machen das aktuell lediglich Hoffenheim und wir, viele befinden sich allerdings auf dem richtigen Weg durch unterschiedliche Projekte mit Partnern oder im Rahmen ihres Sponsorings.

DS

WIR BLEIBEN DIE ERSTEN, ABER DIE EINZIGEN WOLLTEN WIR NIE SEIN.

Wie haben die Fans das alles wahrgenommen und darauf reagiert?

KH

Wie gesagt, vor elf Jahren war Nachhaltigkeit noch kein großes Thema. Grundsätzlich ist das Ganze ein Balanceakt zwischen „Wir schaffen ein Bewusstsein und eine Sensibilität dafür“ und „Wir möchten dem Fan nicht das Gefühl geben, ihm etwas aufzuzwingen“. Einige Fans betrachten so etwas auch als übergriffig. Wir haben in den Jahren immer wieder Nachrichten bekommen wie „Kümmert euch lieber um euer Kerngeschäft und spielt mal anständigen Fußball“. Auf diese Nachrichten sind wir aber auch eingegangen. Im März dieses Jahres haben wir die erste Klimakonferenz in Präsenz für Mainz 05 durchgeführt. Es gab eine Podiumsdiskussion bei uns im Stadion mit über 100 zum Teil hochdekorierten Gästen wie Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, dem BASF-Vorstand, dem Chefökonomen der Commerzbank und vielen mehr. Im Vorfeld dieser Veranstaltung kam auf eine Einladung eben diese Beschwerde. Wir sind mit der Person in den Dialog getreten und haben ihr erklärt, warum wir das alles machen. Am Schluss war sie völlig begeistert. Das Ziel ist immer, Bewusstsein zu schaffen und einen kleinen Impuls zu geben, das Gegenüber in seiner Denkweise zu verändern. Früher haben wir das Thema intern auch immer sehr kritisch diskutiert. Wie weit können wir gehen, wann nervt es? Manchmal haben wir auch Dinge, die wir gemacht haben, einfach nicht kommuniziert, auch wenn sie positiv auf unsere Marke eingezahlt hätten. Denn je intensiver wir das Thema Nachhaltigkeit bespielen, desto eher kann bei unseren Fans auch ein Kipppunkt erreicht werden, was die Akzeptanz anbelangt.

DS

Gibt es bei Mainz 05 einen Wertekanon, aus dem heraus Sie diesen Nachhaltigkeitsgedanken verfolgen?

KH

Wir haben in der Vereinsidentität vier Säulen. Eine Säule davon ist das Thema „Werteverteidiger“.
Das ist absichtlich nicht exklusiv auf das Thema Klima und Nachhaltigkeit gepolt, es geht uns hierbei mehr um unser Werteverständnis, unsere Integrität und unser moralisches und gesellschaftliches Verantwortungsbild, nach innen und außen. Klima, Ökologie und Nachhaltigkeit sind essenzielle Bausteine davon, aber es geht eben genauso um unsere soziale Verantwortung und darum, sich, zwar politisch neutral, auch für Toleranz, für Vielfalt und gegen Rassismus einzusetzen.

DS

DIE ANGST, DASS DAS EIGENE ENGAGEMENT UNGLAUBWÜRDIG RÜBERKOMMEN KÖNNTE, DARF NICHT DIE KON­SEQUENZ HABEN, EINFACH NICHTS ZU MACHEN.

Welche Tipps würden Sie B2B-Entscheidern mit auf dem Weg geben, wenn sie dieses Thema angehen wollen?

KH

Ganz konkret habe ich da einen Tipp: mit dem Machen anzufangen. Wir merken in Gesprächen immer wieder, wenn wir auf Unternehmer und das Top-Management zugehen, dass da ein Zögern und eine gewisse Skepsis zu spüren sind: „Wir machen da schon was … Wir sind aber noch nicht so weit …“ Darauf antworten wir dann: „Lasst uns einfach mal gemeinsam anfangen.“ Die Angst, dass das eigene Engagement unglaubwürdig rüberkommen könnte, darf nicht die Konsequenz haben, einfach nichts zu machen. Man fängt einfach an und am besten ohne diesen konzeptionellen, strategischen Prozess, der manchmal so viel Zeit in Anspruch nimmt und scheinbar immer vorgeschaltet sein muss. Darüber hinaus hat das Thema im Mittelstand oder in kleineren Unternehmen sowieso nicht die höchste Prio. Da gibt es weder CSR-Abteilungen noch spezielle Projektgruppen. Nein, man fängt trotzdem einfach mal an und über das Doing baut man sich Kompetenzen auf und entwickelt sich auch weiter.
Genau aus diesem Grund haben wir letztes Jahr auch ein Netzwerk gegründet: die 05er Klimaverteidiger. Es geht uns hierbei um ein stark inhaltliches Netzwerk, in dem wir Wissenstransfer generieren, ein Sparring aufbauen und gemeinsam an Themen arbeiten. Aus diesem Netzwerk heraus ist beispielsweise die 05er Klimaverteidigerwoche entstanden. Oder wir haben am Spieltag gegen Dortmund den Spieltag der Nachhaltigkeit ausgerufen. Natürlich ganz bewusst bei diesem Top-Spiel, um von der nationalen und internationalen Strahlkraft profitieren zu können. Da haben wir dann all unsere Themen bespielt. Wir haben zur Busanreise aufgerufen, jedes Ticket war einen Euro teurer, dieser floss wiederum in einen Topf für Klimaprojekte und vieles mehr.

DS

Wie kommt diese Aktion an? Wie wappnen Sie sich gegen eventuelle kritische Stimmen?

KH

Natürlich haben wir auch die Sorge, dass der Eindruck des Greenwashings entsteht. Das ist immer ein sensibles Thema, sowohl nach innen als auch nach außen. Und das bezieht sich auch auf die Partner. Aus diesem Grund haben wir eine Hürde eingebaut, die zeigt, wie ernst wir dieses Thema nehmen. Jedes Unternehmen, jeder Partner, der in dieses Netzwerk einsteigen möchte, muss eine Selbstverpflichtung gegenzeichnen mit einer Zielformulierung. Da geht es um eindeutige Bekenntnisse, die dokumentiert werden. Zudem fließt ein Teil der Sponsoringsumme jedes Partners in einen Topf, mit dem Klimaprojekte umgesetzt werden. So wird zum Beispiel im Mainzer Stadtwald ein Waldspielplatz gebaut oder es werden Aufforstungsprojekte durchgeführt. Aktuell führen wir mit dem Netzwerk den ersten Young Climathon Deutschlands durch. In Kooperation mit Schulen aus der Region und der Stadt Mainz geht es hier darum, dass die Schülerinnen und Schüler eigene Lösungen für konkrete Fragestellungen rund um das Thema Klimaschutz in Mainz und Umgebung an den Start bringen. Und auch hier heißt es: Fangt einfach an. Traut euch! Klar kann ein Konzern nicht einfach anfangen zu machen, da muss das Thema strategisch aufgehängt werden, aber entscheidend ist doch die große Zahl der kleineren Unternehmen, die können einfach mal loslegen. Alleine oder im Netzwerk.

DS
Autor
Kai Hafner

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