Standard ist tödlich.

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11.09.2018

Der renommierte Designer Jürgen R. Schmid veröffentlichte dieses Jahr ein provokatives Buch mit gleichnamigem Titel, das derzeit nicht nur in Gestalterkreisen für Furore sorgt. Seine These: Deutsche Unternehmen sind zu sehr der Verwaltungskultur verfallen, um wirklich innovativ sein zu können, und beschwören dadurch ihren eigenen Niedergang herauf. Er fordert mehr Veränderungswillen.

Jürgen R. Schmid

Individualität stünde in roten Lettern auf seinem Hemd – würde Jürgen R. Schmid nicht ausschließlich Weiß tragen. Für den renommierten Designer ist seine Unkonventionalität Luft zum Atmen und Arbeit zugleich. Nicht erst seit er den weltberühmten Mini-Akkuschrauber erfunden hat.

Herr Schmid, war es eine Veränderung, die Sie dazu bewog, Ihr Buch zu schreiben?

MB

Es war vielmehr der Wunsch nach Veränderung. Ich fand die Aufgaben, die ich mit meiner Firma im Maschinendesign bekam, zunehmend langweilig. Unsere Kunden planten oft nur kleine Schritte – ohne es selbst so zu sehen. In hundert Aufgaben fand ich vielleicht eine, die von den regulären Minischrittchen abwich und echte Veränderung bedeutete. Und doch ist jeder Maschinenbauer der Überzeugung, er sei sehr innovativ oder gar ein „Innovationsführer“. Da frage ich mich: Was verstehen wir denn unter Innovation? Dass wir ein Rädchen woanders hinsetzen? Die Kerntechnologie ist doch schon etliche Jahre alt! Also wollte ich das Thema in die Breite tragen, weil Unternehmen, aber auch die Gesellschaft und die Politik zu sehr darauf bedacht sind, zu optimieren, anstatt wirklich zu innovieren.

JS

Was ist der Unterschied zwischen Optimierung und Innovation?

MB

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir optimieren seit 100 Jahren das Automobil – und sind dann doch überrascht, wenn andere die Elektromobilität erfinden. Das zeigt sehr deutlich: Wir Deutschen fühlen uns in der Optimierung zu wohl und sind darin gefangen. Echte Innovationen bedeuten einen Neustart, ein vollkommen neues Denken. Sie optimieren dann eben nicht die Schreibmaschine und machen sie elektrisch. Sondern sie erfinden einen Computer, der das ganze System auf den Kopf stellt.

JS

Im Buch geht es unter anderem um das „Feldhasen-Prinzip“. Was ist das?

MB

Es ist ein Sinnbild. Der Feldhase verfolgt kein Ziel, sondern reagiert auf Impulse von außen. Er lässt sich also treiben. Ich kann mir vorstellen, dass auch viele Menschen mit diesem System glücklich sind, weil sie darin keine Verantwortung übernehmen müssen. Ein einfaches „Ich muss ja“ genügt. Aber damit geraten sie in einen Verwaltungsmodus, anstatt zu gestalten. Echte Innovation löst sich von diesen Vorgaben. Es gibt kein „Das muss so sein“, „Das sind die verpflichtenden Umstände“, „Das ist nicht machbar“ – das wären typische Feldhasen-Aussagen, die innovatives Denken verhindern.

JS

Henry Ford sagte: „Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Sehen Sie das ähnlich? Muss Innovation stets vom Individuum ausgehen und „gegen den Strich“ gehen?

MB

Ja, damit hatte er Recht. Denn der Mensch an sich sieht Veränderungen skeptisch. Ein bisschen Veränderung ist schon okay – aber bitte nicht zu viel. Deshalb wird Innovation tatsächlich auch fast immer durch Einzelne ausgelöst – selbst wenn sie danach schnell ins Team übergeht. Es braucht einen, der die Energie bringt zu sagen: So und so machen wir das jetzt. Gerade weil der Mensch nur wenig Veränderung mag, geht eine echte Innovation dann häufig „gegen den Strich“. Denn sie greift tief ein und wirkt dadurch bedrohlich. Denken Sie nur an die Robotik oder die künstliche Intelligenz, die aktuell noch vielen Menschen gegen den Strich gehen und sie verängstigen. Darüber sollten wir aber nicht vergessen, dass auch eine Eisenbahn und ein Automobil einmal für viel Aufruhr und Angst gesorgt haben. Die damals angekündigten Gehirnkrankheiten haben wir dennoch nicht bekommen, auch nicht bei Geschwindigkeiten von über 30 km/h.

JS

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview
Martin Brunner

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