Digitale Transformation: People First! Jetzt aber richtig

Marke People Data & Tech Lifestyle
06.03.2020

Die Digitalisierung und die Menschen, die mit ihr aufwachsen, verändern spürbar die Welt. Das wirkt sich auf B2B-­Marken und auf die B2B-Kommunikation aus. Ebenso wie aufs ­Marketing, auf die Marketingabteilung und ihre Bedeutung im B2B-Unternehmen. Ein paar Gedanken dazu.

Menschen der Generation Z, also die so nach 1997 Gebo­renen, gelten gemeinhin als die Generation der Digital ­Natives. Sprich: Sie kennen keine Welt ohne künstliche ­Intelligenz. Sie sind daran gewöhnt, dass Rechtschreib­fehler in Nachrichten automatisch durch ein Text­programm korrigiert werden. Was mitunter zu völlig neuen Worten führt. Aber das ist etwas vollkommen ­anderes. Sie nutzen selbstverständlich sämtliche Tech­nologien, die World Wide Web, MP3-Player, SMS, Mobil­telefone, Smartphones und Tablet-PCs anbieten. Sie sind von klein auf daran gewöhnt, dass sich Geräte, die sie täglich nutzen, ihnen und ihren Bedürfnissen anpassen. Ergänzt und ­verstärkt wird das durch politische, kulturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, auf die sie vor allem in ­Ländern mit niedriger Geburtenrate und florierender Wirtschaft treffen. Die jungen Leute müssen nicht mehr, wie ihre Vorgänger, als Bittsteller auftreten, sondern können zum Beispiel zwischen Ausbildungs- und Arbeitsplatz­angeboten wählen. Mehr und mehr sind es Schulen, ­Hochschulen und Firmen, die um ihre Gunst als künftige ­Schüler, Studenten oder Mitarbeiter werben. ­Dieses Phänomen zeichnete sich bereits bei der Vorgänger-Generation, der Generation Y ab.
Die allerdings – wie technik­affine ­ältere Menschen – digital nachsozialisiert wurde. Und ­deshalb im Umgang mit künstlicher Intelligenz wesentlich weniger Selbstverständlichkeit an den Tag legt als die Generation Z.
 
Trotzdem: Beide Generationen sind es gewohnt, dass sich alles um sie, um ihre Bedürfnisse dreht. Und zwar per­sönlich, ganz individuell. Beide Generationen sind heute bereits so weit, dass es für Marken ein absolutes Muss ist, sich darauf einzustellen. Und was da in Zukunft an Erwartungen auf die Unternehmen zukommt, wird sich wohl deutlich von den heutigen unterscheiden. Menschen, die nicht mehr bereit sein werden, sich in Bezug auf Kundenorientierung mit Lippenbekenntnissen abspeisen zu ­lassen, sondern vielmehr Kundenzentrierung spüren ­wollen. Menschen, denen es weniger um persönliche Selbstverwirklichung, Karriere, Lebensstandard gehen wird. Ganz einfach deshalb, weil sie sich dafür deutlich weniger ins Zeug legen müssen als viele Generationen vorher. Oder weil es gar nichts mehr bringt, da der eigene Arbeitsplatz in absehbarer Zeit der künstlichen Intelligenz zum Opfer fallen wird. Falls die Prognosen von ­Richard David Precht eintreffen sollten. Menschen, die also weniger die Optimierung des eigenen Lebenslaufs zum Ziel haben als die Verbesserung der Welt – nicht mehr und nicht weniger.

Von „Make people want things“ zu „Make things people want“

Zukunftsforscher, wie der im Heft interviewte Professor Wippermann sagen einen Paradigmenwechsel für die Businessmodelle der Zukunft voraus. Die Logik der Industrieökonomie wird ersetzt durch die der Netzökonomie. An die Stelle von Produkten, die mit dem Ziel, das Machbare zu erreichen, entwickelt, gefertigt und mit immensen Aufwänden per Marketing, Werbung und Vertrieb unters Volk gebracht werden, tritt die Individualisierung mit all ihren Folgen. Es wird nicht mehr nur entwickelt, was geht, sondern, was gebraucht wird. Auf der Basis aussagefähiger Daten werden Produkte so angelegt, dass sie den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, dass sie durch die jeweiligen Modifikationen und Anpassungen maßgeschneidert, individualisiert, fast schon personalisiert wirken. Dementsprechend werden sich Marken mit ihrer Kommunikation entwickeln. Die Marke wird sich vom Vermarktungsinstrument in Richtung Beziehungsmanager wandeln. Marken werden in der digitalen Zukunft dialogfähiger, individueller, beziehungsorientierter agieren denn je. Und ungefähr so wird sich die Kundenzentrierung anfühlen, die sich die kommenden Generationen vorstellen. Und nicht nur die. Die Technologien stehen uns allen zur Verfügung. Daraus resultiert, dass sie auch bei uns allen bereits heute hier und jetzt zu Verhaltensänderungen führen.
So weit, so gut.
 
Trotzdem: Man denke nur an die Art und Weise, wie Handys dafür gesorgt haben, dass wir uns heute völlig anders fotografieren als noch zu der Zeit, als uns diese Technologie nicht zur Verfügung stand. Selfies sind heute schlicht und einfach Standard und aus dem Fotoalltag nicht mehr wegzudenken. In Südkorea werden besondere Schauplätze und öffentliche Sehenswürdigkeiten nicht mehr ohne Standpunkte geplant, an denen sich besonders gut Selfies mit der Attraktion im Hintergrund machen lassen. Man erreicht damit zwei Effekte: Erstens empfinden es die Menschen als komfortabel und modern, diese Plätze angeboten zu bekommen und für sich nutzen zu können. Zweitens werden Selfies massenhaft in sozialen Medien wie Facebook, Instagram und Pinterest gepostet. Was für Südkorea nahezu kostenlose Werbung für die Sehenswürdigkeiten bedeutet. Nur ein Beispiel für durch Technologien ausgelöste Verhaltensänderungen, die jede Marke heute für sich nutzen kann. Auch die B2B-Marke.

Du hast keinen Purpose? Dann mach mal.

Aus dem Antrieb der jungen Generationen, die Welt zu einem besseren Platz zu machen, entsteht die zweite Thematik, vor der Marken heute stehen. Sie müssen ihren Sinn, ihren Zweck für sich entdecken. Und ihn dann auch für sich nutzen. Ob man ein Mission-Statement formuliert oder sein Warum entdeckt – am Ende geht es darum, den Menschen glaubhaft und nachvollziehbar darstellen zu können, dass es neben Umsätzen und Profiten einen höheren Sinn gibt. Einen Zweck, aufgrunddessen das Unternehmen existiert. Warum gibt es uns, welchen positiven Beitrag leisten wir für Kunden, Mitarbeiter und Gesellschaft? Was ist unsere Daseinsberechtigung? Fragen, auf die man in der Zukunft Antworten parat haben sollte. Und diese Antworten sollte man nicht nur auf Nachfrage parat haben, vielmehr wird es helfen, sie in den Mittelpunkt der Marke und ihrer Kommunikation zu stellen. Bei B2C-Marken ist dieser Trend schon so fortgeschritten, dass man mittlerweile kaum eine Tütensuppe unters Volk bringt, wenn man nicht gleichzeitig den Regenwald, ethnische Minderheiten oder vom Aussterben bedrohte Tierarten rettet. Sicher kein Weg, der in die Zukunft führt. Die Übersättigung durch Weltverbesserungs-, Nachhaltigkeits- und Sinnstiftungsbotschaften ist absehbar.
 
Die Alternative findet sich in den eigenen Wänden. Jedes Unternehmen, jede B2B-Marke wurde entweder mit einer Idee gegründet oder hat sich in Richtung einer Idee entwickelt, die auf einem essenziellen Insight basierte. Und in einen relevanten Nutzen, einen attraktiven Zweck mündete, der für die Menschen im Markt so begehrenswert war, dass man Geld für die Produkte oder die Leistungen bezahlte.
Kein Unternehmenserfolg fand und findet ohne diesen Sinn, diesen Vorteil für andere Menschen statt. Niemand kauft und nutzt dauerhaft die Produkte und Leistungen einer B2B-Marke, wenn er die Vorteile, die er daraus erzielt, nicht nachhaltig spürt und immer wieder bestätigt bekommt. Das darf man sich bei der Sinnsuche als etablierte B2B-Marke gerne mal wieder vor Augen führen. Einigen scheint das etwas verloren gegangen zu sein.
 
Dabei hilft ein Blick auf die Zielgruppe. Wie ticken die Menschen, mit denen wir täglich in Kontakt stehen? Was bewegt diejenigen, die mit unserer Technologie arbeiten? Und was erwarten sie von uns in der Zukunft? Das ist eine Richtungsänderung: Man denkt nicht mehr von innen nach außen. Zumindest wird das ergänzt durch den Blick auf die Menschen, die die Leistungen und Produkte kaufen sollen.
Aus „Product first“ wird „People first“. Gerade für von Technikern dominierte B2B-Marken ergibt sich aus dieser Umkehr der Denkrichtung die einmalige Chance, nicht nur seinen Purpose zu finden oder wiederzuentdecken, sondern auch die Logik der Netzökonomie für sich zu nutzen und in die Tat umzusetzen. Das gilt übrigens auch für Firmen, in denen der Vertrieb das Sagen hat. Die werden von Umsatzzielen und Mengen angetrieben, also verabschiedet man sich hier von „Numbers first“.

Marketing nach vorne. Und zwar zackig.

Es mag eigentümlich klingen, aber Daten spielen in diesem Zusammenhang zunächst mal nicht die erste Geige. Das Finden des eigenen Purpose sollte einer B2B-Marke eigentlich ohne Daten möglich sein.
Man kennt doch seine Kunden und müsste sich darüber klar sein, was sie bewegt. Spannend wird es, wenn man das, was man gefunden hat, mit dem abgleichen will, was die Menschen sich vorstellen und wünschen. Dann erhalten Data eine wesentlich größere Bedeutung. Ganz viele B2B-Unternehmen sind bereits heute in der Lage, Daten jeglicher Art zu sammeln. Viele sitzen bereits auf einem ganzen Berg von Daten und wissen nicht so recht, was sie damit anfangen sollen. Vielleicht, weil sie einfach nicht in den richtigen Händen sind.
Also nicht beim Marketing. Sondern beim Vertrieb, in der IT oder sonst wo. In der idealen Welt ist das Marketing dafür zuständig, Kundenbedürfnisse und -wünsche zu erkennen vielleicht sogar zu antizipieren, zu analysieren und die vom Markt kommenden Informationen in verfügbare Leistungen oder Produkte umzusetzen, die dem Markt einen kaufrelevanten Nutzen bringen. Die Abteilung Marketing besitzt also die Befugnis, das Unternehmen zu steuern. Ganz sicher läuft das in der überwiegenden Mehrzahl der B2B-Unternehmen immer noch deutlich anders. Weil das Marketing maximal als Anhängsel des Vertriebs und als Abteilung für Absatzförderung betrachtet wird. Oder als eine Art besserer Kommunikationsabteilung, bei der man Werbemittel und Kampagnen bestellt, wenn der Verkauf mal wieder klemmt.
 
B2B-Marken, die Daten smart nutzen wollen, müssen dem Marketing fast zwangsläufig eine wichtigere Rolle im Unternehmen einräumen. Der Marketingabteilung müsste auch in B2B-Unternehmen eine echte Steuerungsaufgabe eingeräumt werden. Und bitte nicht falsch verstehen: B2B-Unternehmen sind bereits heute ganz oft in der Lage, Kundenbedürfnisse rechtzeitig zu erkennen und darauf einzugehen. Und sie sind selbstverständlich dazu fähig, die Zukunft zu erahnen und in Technologien umzusetzen. Die einen mehr, die anderen weniger, wenn man das Beispiel Automobilbranche betrachtet. Aber: Im Marketing und in der Markenkommunikation agiert man nach wie vor nicht im Heute, sondern im Gestern. Was geforscht, gedacht, gemacht wird, kommt im besten Fall sehr spät im Marketing an. Die Rolle des Verknüpfenden, Steuernden, die Richtung Vorgebenden, ist dem Marketing im B2B-Unternehmen noch zu selten möglich.

Zeige dich. Überall.

Wer jetzt auf Grund der Individualisierung das Hohelied auf automatisiert in Echtzeit ausgespielte, maßgeschneiderte Markenbotschaften oder Mikromarken, die immer kleinere Zielgruppen mit immer spezielleren Nutzenversprechen bedienen, erwartet, wird enttäuscht. Denn das Gegenteil ist der Fall.
Zwar wird die beschriebene Richtungsänderung der Denke eine inhaltlich veränderte Ansprache der Zielgruppen zur Folge haben, jedoch ändert das nichts an den grundsätzlichen Mechanismen,
die B2B-Marken erfolgreich machen. Byron Sharp veröffentlichte vor zehn Jahren sein wegweisendes Buch „How Brands Grow“ und beschrieb darin, dass zu Growth kontinuierliche und öffentlich sichtbare Kampagnen nötig sind. Jetzt kann man trefflich darüber diskutieren, wie sich für die jeweilige B2B-Marke Öffentlichkeit definiert. Aber die Notwendigkeit von Kontinuität und Visibilität sollte eigentlich nicht mehr in Frage gestellt werden. Fakt ist allerdings, und da werfe man nur einen Blick auf den Jahreskalender des bvik oder in die Veranstaltungsübersichten diverser Fachpublikationen, dass sich die Marketing-Verantwortlichen und Werber in den Unternehmen seit Jahren darum bemühen, ihre angeblich maßgeschneiderten Kampagnen an immer weniger Zielpersonen auszuspielen. Ignoriert wird dabei nicht nur die Notwendigkeit permanenter Präsenz, sondern auch, dass digitale Werbung die Menschen zunehmend nervt. Noch nie war die Anzahl der Werbehasser und adblockenden User in Deutschland so hoch wie 2019.

Alles andere als effizient: der Erfolg von Engelbert Strauss

Big Data und künstliche Intelligenz scheinen das Marketing nicht immer in die richtige Richtung zu lotsen.
In den Horizont-Trends für 2020 kann man lesen: „Die bisherigen Bemühungen, kreative Maschinen zu konstruieren, sind weitgehend gescheitert. Kreativität erfordert Intuition und das ist eine Schwachstelle für Computer.“ Effizienz, Marketing und Werbung scheinen Begriffe zu sein, die nicht so recht zusammengehen. Trotzdem muss man mit immer kleineren, maximal stagnierenden Budgets immer mehr erreichen.
Und vergisst über all dem Streben nach Effizienz den entscheidenden Punkt: die Effektivität. Die Hauptaufgabe des Marketing, die kreative Markenführung mit Wirkung, gerät also mehr und mehr aus dem Fokus.
Bei vielen B2B-Marken bereits bevor diese Herausforderung jemals wirklich angegangen wurde. Dabei gibt es Beispiele von B2B-Marken, die zeigen, wie es geht. Engelbert Strauss hat in den vergangenen zehn Jahren richtig Geld in Öffentlichkeit und Sichtbarkeit investiert und es damit nicht nur geschafft, den Hand­werkern neues Selbstbewusstsein einzuflößen sondern, auch zur erfolgreichsten Marke für Arbeitskleidung zu werden. Die Süddeutsche Zeitung titelte im Januar diesen Jahres: „Warum wollen Männer und Frauen wie Handwerker aussehen? Anpacker-Spirit: Die Arbeitskleidung von Engelbert Strauss wird gerne auch von Leuten getragen, die nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen können.“
 
Vielleicht liegt es am Purpose, den man mit ein wenig Scrollerei auf der Website entdeckt. „Unsere These: Unsere Arbeitskleidung ist ein Turbo-Booster, eine Superhelden-Uniform, die das volle Potenzial aus dem Träger rauskitzelt. Warum? Weil Kleider Leute machen. Wir gehen sogar noch weiter: Kleidung verändert nicht nur, wie wir aussehen, sondern wer wir sind. Denn wer kennt das nicht: Der neue Turnschuh macht so richtig Lust auf Jogging– und plötzlich bist du sogar ein schnellerer Läufer!“ Sebastian Buggert vom Marktforschungsinstitut Rheingold schreibt den Erfolg der Marke einer „analogen Sehnsucht nach dem Greifbaren in einer zunehmend fraktalen und virtuellen Welt zu. Die Menschen wollen echte Sachen. Workwear steht für die Leidenschaft am Machen.“ Engelbert Strauss steht für diesen Anpacker-Spirit in besonderer Weise. Durch Präsenz und Visibilität in der Öffentlichkeit, durch konsequentes Investment in sichtbare Werbung über Jahre. Und durch den daraus erzielten Effekt: mittlerweile nicht nur von vielen Profis getragen zu werden. Übrigens ist der Umsatz in den letzten 20 Jahren, seit man beschlossen hat, den Weg zu gehen, von 50 Millionen Euro auf rund eine Milliarde gestiegen. Und aus 100 Mitarbeitern wurden ungefähr 1.300. Weil man einen Nerv erkannt und getroffen hat.

Und jetzt?

Digitalisierung, Individualisierung, Kundenzentrierung. Insights, künstliche Intelligenz, Purpose. Data, Marketing-Automation, Mikromarken. Die Welt des Marketing und der Werbung schwirrt aktuell wieder nur so vor Buzzwords und Themen, denen man sich anscheinend dringend widmen sollte, wenn man vom Fach ist. Egal wie, am Ende läuft es wie immer auf ein paar einfache Erkenntnisse hinaus: B2B-Marken werden diese Entwicklungen nicht ignorieren können und müssen Wege finden, damit umzugehen. Das Marketing wird eine neue Rolle, eine größere Bedeutung im B2B-Unternehmen bekommen. Es wäre zumindest wünschenswert. B2B-Kommunikation wird weniger die Technologie und mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Und sie wird sich mehr auf Intuition und Kreativität besinnen. Das zieht Menschen nach wie vor magisch an. B2B-Marken werden nur noch Visible Champions sein können. Effizienz ist ein Begriff, der im Marketing nichts verloren hat. Effektivität sehr wohl. Und am Ende wird alles gut. So wie immer.

Autor
Jörg Dambacher

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