Wie wirke ich auf andere Menschen? Und kann man effektiver anbandeln mit Tinder?
Mit täglich über 10 Millionen aktiven Usern und 20 Milliarden „Matches“ seit der Lancierung 2012, ist Tinder, zumindest nach eigenen Angaben, eine äußerst effektive virtuelle Singlebörse. Höchste Zeit für einen Selbstversuch. Unsere Kollegin Mona ist drei Tage lang mutig in den digitalen Dating-Pool eingetaucht.
Ertappt
Ihr wollt im Ernst, dass ich mich auf diesem Sex-Portal anmelde? Schon der Gedanke trieb mir die Anstandsröte ins Gesicht. Aber was tut man nicht alles für die lieben Kollegen „im Namen der Forschung“. Also habe ich zwei unterschiedliche Testprofile angelegt: Tanja, 35, auf der Suche nach neuen, sympathischen und kinderfreundlichen Bekanntschaften für unterhaltsame Abende. Das Profilbild zeigt eine nette, aber doch eher langweilig wirkende Brillenträgerin mit Pferdeschwanz. Und dann ist da noch Franzi, 29, die für alles offen ist, ihr Leben genießt und sich selbstbewusst präsentiert. Mal sehen, wer besser ankommt bei der Dating-Community. Meine Tinder-Präsenz blieb nicht lange unbemerkt. Bereits nach vier Stunden kamen frotzelnde Sprachnachrichten von Freunden, die sich über meine Profile schlapp lachten. Megapeinlich. Ich fühlte mich ertappt und hatte das dringende Bedürfnis, die Sache sofort aufzuklären.
Entscheidung in Sekundenbruchteilen
Bei Tinder geht alles über den ersten Eindruck. Evolutionsbedingt entscheiden wir ja in Sekundenbruchteilen über eine mögliche Fortpflanzungskompatibilität. Und Tinder zahlt hier voll drauf ein. Bei der Menge an Vorschlägen bleibt auch einfach keine Zeit, sich näher mit einem Profil zu beschäftigen. Manchmal wischt man schneller, als man gucken kann.
Erstkontakt
Bemerkenswert ist, dass etliche Männer sowohl Franzi als auch Tanja schreiben, ohne dabei zu registrieren, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Bei der biederen Tanja sind die Nachrichten meist offensiver: „Schöne Tanja, ganz schön frech, dein Blick. Siehst sooo brav aus, dabei hast du es faustdick drauf (Engel-Emoji, Teufel-Emoji). Bei Franzi ist Mann nicht gleich mit der Tür ins Haus gefallen: „Schöne Franzi, wo warst du gestern?“ Auffällig ist, dass für die Kontaktaufnahme scheinbar oftmals Copy & Paste zum Einsatz kommt und nur die Namen ausgetauscht werden. Wenn überhaupt Namen verwendet werden und nicht einfach so „einfallsreiche“ Floskeln wie „Hallo die Dame“ am Anfang der Nachricht stehen.
Heute bin ich in München. Auch hier bekomme ich viele Vorschläge. Auffallend ist, dass die Typen hier viel netter scheinen als in Stuttgart. Sie sehen gut aus, kommen aber nicht so posermäßig rüber. Irgendwie nehme ich den Münchner Tinderern eher ab, dass sie auch im wahren Leben was hermachen und nicht nur auf dem Profilbild.
Tinder ist völlig oberflächlich, locker und ungezwungen. Die meisten Nutzer machen kaum persönliche Angaben. Statuseinträge beschränken sich oft auf ein paar Emojis, die Spaß suggerieren. Aber gewisse „ungeschriebene“ Regeln scheint es doch zu geben. Die Körpergröße beispielsweise wird häufiger angegeben und gefordert. Auch der Grundsatz „Wer zuletzt matcht, schreibt zuerst“ scheint für viele zu gelten. Aber wirklich verbindlich ist hier nichts.
Man lernt nie aus. Als mir ein Nutzer vorgeschlagen wird, der angibt, dass er besonderen Wert auf Sapiosexualität legt, muss ich erstmal googeln. Das ist die erotische Hingezogenheit zum Intellekt einer anderen Person. Hm. So sah er eigentlich gar nicht aus.
Auswahl
Nerds, die in der Öffentlichkeit unterzugehen scheinen. Normalos, die sich aber im Porsche ablichten lassen. Sportfanatiker, die nichts anderes für wichtig erachten. Der Intellektuelle, der eine Frau mit Tiefgang sucht, oder der gutaussehende Geschäftsmann, der eine leidenschaftliche Affäre neben seiner Frau mit Kindern sucht. Sämtliche Kategorien Mann sind bei Tinder vertreten. Wer nach rechts gewischt wird, landet in der näheren Auswahl. Wird man selbst ebenfalls nach rechts gewischt, entsteht ein Match (Übereinstimmung). Mit persönlicher Wertschätzung hat das allerdings wenig zu tun. Ein Rechtsswipe bedeutet keineswegs, dass wirklich ernsthaftes Interesse besteht. Von ca. 30 Matches schreiben vielleicht 5 und wollen dich tatsächlich kennenlernen. Man sammelt einfach, geht auf Masse. Hätte ich nicht gedacht, dass ich das so machen würde, aber es ergibt sich irgendwie ganz automatisch. Ich musste auch feststellen, dass ich tatsächlich ganz unwillkürlich die „typischen“ Tindertypen nach rechts wischte. Solche, die auf ihrem Bild locker, stylisch, selbstbewusst, aber nicht zu arrogant rüberkamen. Oft mit Sonnenbrille, groß, sportlich. Eigentlich wie so eine Klischeeaffäre aus dem Fernsehen.
Geht gar nicht
Bei einigen Sachen kann einem auch das kalte Grausen kommen. Ich glaube, ich spreche für die meisten Frauen, wenn ich sage: Das wollen wir nicht sehen! Hier sind meine Top 4 der absoluten No-Gos:
Ich muss gestehen, ich habe mich auf kein persönliches Treffen eingelassen. Aber Tinder ist auf jeden Fall supereffektiv, denn ohne viel dafür zu tun, kann man extrem schnell sehr viele neue Kontakte knüpfen. Man muss das Haus nicht verlassen, kann dazu die Pause bis zum nächsten Meeting nutzen, was auch immer. Ob für die schnelle Nummer zwischendurch, die dauerhafte Affäre oder sogar die große Liebe – bei Tinder ist so viel Auswahl, dass eigentlich zwangsläufig für jeden was Passendes dabei sein müsste.
Befremdlich fand ich das sehr Unpersönliche. Man wischt andere Menschen einfach mal schnell zur Seite. Und wird auch einfach so zur Seite gewischt. Wenn man da mal drüber nachdenkt, hat das schon auch was Kränkendes. Einerseits ist einem bewusst, dass es von Usern, die man nach rechts gewischt hat, vermutlich überhaupt nicht persönlich gemeint ist, wenn sich kein Match ergibt. Andererseits kratzt es manchmal doch auch am Ego. Vielleicht auch, weil man nichts tun kann. Bei einem richtigen Date kann man dem Gegenüber in die Augen sehen, kann überzeugen und zur Not nachfragen, was nicht passt. Tinder bleibt einem Antworten schuldig, was sehr unbefriedigend ist.
Irgendwie positiv fand ich, dass meine beiden Profile ähnliche Ergebnisse erzielten. Das spricht doch irgendwie für die Vielfalt des Kontaktangebots. Und die Bilanz lässt sich eigentlich auch sehen. So viele Kontakte in so kurzer Zeit zu machen, wäre „im echten Leben“ ein ganz schöner Aufwand.
Abschließend kann ich sagen, dass ich die Erfahrung insgesamt sehr interessant fand. Aber ich bevorzuge dann doch die altmodische, persönliche Kontaktaufnahme.
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