Im Gespräch mit dem Fotografen und AI Artist Boris Eldagsen

Marke People Data & Tech Lifestyle
31.07.2023

„Ich wollte ein Zeichen setzen, das nicht mehr totgeschwiegen werden kann.“

Boris Eldagsen hat die Medienwelt in Aufruhr versetzt. Als im Herbst 2022 diverse Tools wie ChatGPT oder Midjourney die Medien fluteten, reichte der in Berlin schaffende Fotograf ein von Künstlicher Intelligenz generiertes Bild bei den renommierten Sony World Photography Awards ein. Er gewann – und lehnte den Preis ab. Was ihn dazu bewogen hat, wie die Veranstalter des Wettbewerbs mit ihm umgegangen sind und wie Eldagsen auf die Zukunft seines Gewerks blickt, erzählte er uns im Interview.

BORIS ELDAGSEN

geboren 1970 in Pirmasens, ist Fotograf und AI Artist. Er bezeichnet sich selbst als Motte, die nur nachts arbeitet. Seine Werke, die neben Fotografien auch Installationen umfassen, wurden weltweit gezeigt sowie ausgezeichnet. So gewann er 2013 den Prix Voies Off des gleichnamigen Festivals in Arles und jüngst den Sony World Photography Award. Ferner ist Eldagsen seit 2004 unterrichtend tätig, Lehraufträge führten ihn neben diversen deutschen Hochschulen bis nach Melbourne. Seine zunehmende Medienpräsenz nutzt er gerne, um die kritische Betrachtung der Künstlichen Intelligenz anzuregen.

WWW.ELDAGSEN.COM
 

Wann und wie kamen Sie das erste Mal mit KI-generierten Bildern in Berührung?

FB

Aufgefallen sind mir die ersten Versuche 2015 mit GAN und 2018 auch die Seite www.this-person-does-not-exist.com, die Porträts von nichtexistierenden Personen erstellt. Selbst angefangen, damit zu arbeiten, habe ich vor einem Jahr. Das lief noch über Disco Diffusion und war auf Google Colab zu finden. Die Generierung eines Bildes hat damals 20 Minuten gedauert. Heute sind wir bei ein paar Sekunden.

BE

Mit welchem Ziel haben Sie Ihr KI-Motiv bei den Sony World Photography Awards eingereicht?

FB

Ich wollte testen, ob die großen Fotowettbewerbe auf diese Entwicklungen vorbereitet sind. Ab etwa August 2022 wurde in den Medien viel über Künstliche Intelligenz geschrieben und man hätte bis Ende des Jahres ja Zeit gehabt, das zu berücksichtigen und die Einreichungsbedingungen anzupassen. Die, die das nicht gemacht haben, wollte ich einfach testen. Wie so ein Hacker, der versucht, Schwachstellen zu finden. Nicht, um sie auszunutzen, sondern, um darauf hinzuweisen.

BE

Was hat Sie zur Ablehnung des Preises bewogen?

FB

Ich habe den Preis abgelehnt, weil mir in der Kommunikation mit dem Veranstalter, der übrigens nicht Sony war, sondern eine Eventagentur, die mehrere solcher Events ausrichtet, klar wurde, dass man keine klare Position zu dem Thema hatte. Man lehnte KI-generierte Bilder weder ab noch begrüßte man sie. Der Veranstalter war nicht vorbereitet und hatte kein Interesse, mit mir in die Diskussion zu gehen. Ich habe mehrere Vorstöße versucht, da ich das Thema nicht nur für die Fotowelt, sondern auch für die gesamte Gesellschaft als relevant empfinde. Meine Anfragen wurden größtenteils nicht beantwortet. Auch die Presse hat nach der Auszeichnung direkt nachgefragt, ob das Bild mit KI generiert sei, wurde jedoch nur mit einem generischen Text abgespeist. Nachdem ich weiter gedrängt habe, die Situation mit einer öffentlichen Debatte zu begleiten, wurde mir ein Interview auf einem Blog angeboten – und darauf habe ich 20 Tage gewartet. Mir wurde klar: Die wollen sich durchwurschteln. Warum soll ich einen Preis annehmen für eine Sache, die völlig falsch ist? Ich wollte ein Zeichen setzen, das nicht mehr totgeschwiegen werden kann.

BE

Warum soll ich einen Preis annehmen für eine Sache, die völlig falsch ist?

Wie wird KI die Arbeit von Fotograf:innen und Bildschaffenden verändern?

FB

Fast alle Bereiche der Fotojobs können von Künstlicher Intelligenz ersetzt oder angereichert werden. Nehmen wir die Produktfotografie: Die Umgebung kann gerendert werden, die Person, die ein T-Shirt trägt, ebenso. Im Privaten werden wir natürlich weiterhin unsere liebsten Hunde und Katzen und unser Essen fotografieren. Manche werden dann aber halt die Katze nehmen, sie in einen Raumanzug stecken und mit einem Laserschwert in das Weltall katapultieren. Das geht alles mit KI. Übrig bleibt der dokumentarische Bereich, aber der wird von verschiedenen Seiten angegriffen. Einmal dadurch, dass die große Menge an Fakefotos die authentischen Bilder in der Berichterstattung zuschüttet. Und dass Bildjournalist:innen sowieso seit Jahren schlecht bezahlt werden und sich bisher ein Zusatzbrot mit kommerzieller Fotografie verdient haben. Ebendiese kommerziellen Jobs werden aber immer weniger werden.

BE

Wie sollten Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Ihrer Meinung nach darauf reagieren?

FB

Sich dafür einsetzen, die Authentizität zu wahren. Wir als Gesellschaft brauchen eine Kennzeichnung von authentischen Fotos, vor allem in der Nachrichtenpresse. Der Verband der Selbständigen und Freiberufler sowie der Deutsche Fotorat, die ich beide bei ihren Positionspapieren beraten habe, schlagen eine Kennzeichnung vor: A für authentisch, M für manipuliert und G für generiert. In die Nachrichten gehört für mich nur Kategorie A. Das wäre allerdings ein riesiger personeller und finanzieller Aufwand, das kann die Presse selbst kaum stemmen. Wenn man der Desinformation nicht alle Türen und Fenster öffnen möchte, muss das von der Gesellschaft, vom Staat querfinanziert werden. Die Herausforderung ist hier, ein System zu etablieren, das die Freiheit der Presse dabei jedoch nicht antastet.

BE

So wie es die Digitalisierung gab, wird es die Kisierung geben.

Zum Schluss: Welche positiven Aspekte sehen Sie beim Einsatz künstlicher Intelligenz?

FB

Für mich ist die KI ein Wissensverstärker. Ich rate allen Kolleg:innen, sich tief in dieses Thema einzuarbeiten. Man kann ja immer noch auf alles zurückgreifen, was man bisher an Erfahrungen gesammelt hat – und damit einen Unterschied machen. Ich kann mir vorstellen, dass zum ersten Mal in der Geschichte von technischen Revolutionen auch die Älteren im Vorteil sein könnten. Hiermit meine ich aber die KI-Bildgeneratoren, nicht KI im Allgemeinen.
So wie es die Digitalisierung gab, wird es die KIsierung geben. Und sie wird wie jedes Werkzeug, das der Mensch entwickelt hat, zum Guten und Schlechten verwendet werden.

BE

Herr Eldagsen, besten Dank für das Gespräch.

FB
Autor
Felix Bürkle

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