Ein Gespräch mit dem Kreativcoach Mario Pricken zu dem, was er bisher gemacht hat, wie er Menschen in Zusammenhang mit Kreativität erlebt, über außergewöhnliche und Gebrauchskreativität, die Künstliche Intelligenz im Tunnel und was das alles mit ihm und der Kommunikationsbranche aktuell macht und in Zukunft noch machen wird.
Als mir die KI innerhalb von 15 Sekunden neue Sätze gezaubert hat, war Das für mich ungeheuer demütigend.
ist seit 1999 international gefragter Consultant, wenn es um die Themen Innovation sowie Strategieentwicklung geht. Pricken hat Kreativität neu gedacht, für seine Kunden wie auch in seinen fünf weltweit erfolgreichen Büchern (8 Sprachen, 150.000 Auflagen). Gemeinsam mit Europas größter Forschungseinrichtung, der Fraunhofer-Gesellschaft Deutschland, entwickelte Pricken über vier Jahre neue Innovationsprozesse für Forscher und Ingenieure und unterrichtete zusätzlich an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Als Innovation Director arbeitet er mit internationalen Unternehmen, namhaften Agenturen, Designfirmen und Fernsehstationen. 2019 erschien sein letztes Buch: „Think Outside the Frame“. Schließlich gründete Pricken gemeinsam mit Andreas Werner 2022 ein Beratungsunternehmen, das erstmals Künstliche Intelligenz als Innovationstool in Marketing und Produktinnovation einsetzt.
Lieber Mario, warum brauchen Unternehmen und Agenturen auch heute, also im Zeitalter von ChatGPT und Co., einen Kreativcoach?
Diese Frage beantworte ich am besten, indem wir erst mal darauf schauen, was ich bisher gemacht und erlebt habe, vor allem auf Unternehmensseite. Man hat mir gesagt, man wolle was zum Thema Kreativität haben. Überraschenderweise ging es aber die allermeiste Zeit um Strategie. Da ist immer der größte Aufwand reingeflossen, also bevor wir überhaupt zu Ideen gekommen sind. Herauszufinden, was ich überhaupt will und wie ich das am besten formuliere.
Und wenn wir dann begonnen haben, mit Kreativität zu arbeiten, dann hat es noch einmal ziemlich lange gedauert, bevor die Leute losgelassen haben im Kopf, aus ihren Konventionen ausgestiegen sind, bereit waren, Regeln innerhalb ihres Teams zu brechen. Weil beim Regelbruch ja immer die Gefahr besteht, sich zum Narren zu machen, als Idiot dazustehen, verrücktes Zeug zu reden, von der Norm abzuweichen. Und das ist das, wovor wir alle als angepasste, weil sozialisierte Wesen große Angst haben.
Das Verrückte ist übrigens: Mit ChatGPT und anderen Programmen schaffe ich das innerhalb weniger Sekunden (lacht). ChatGPT hat keine Angst davor, sich zum Idioten zu machen.
Der nächste Aspekt ist das, was bei der Kreation herauskam, das Ergebnis. Also bei Agenturen waren die Ergebnisse im Schnitt immer besser. Warum? Die haben professionelle Kreative, die sind in Ideenentwicklung trainiert und von Berufs wegen eher bereit, Konventionen zu brechen. Auf Unternehmensseite war es so, dass der erste Ideenoutput in der Regel zu 90 Prozent aus Klischees bestand. Also Dinge, die es eigentlich schon gab, die man schon mal irgendwo gesehen hatte. Diese bekannten Dinge wurden sozusagen als eigene Ideen reproduziert. Es waren ganz wenige originelle Ergebnisse dabei.
Im Moment beschäftige ich mich damit, durch intelligente Prompts, es gibt ja den Begriff des Prompt-Engineerings, der Maschine so präzise wie möglich zu sagen, was sie tun soll. Ich gebe detaillierte Anweisungen, wie sie denken soll. Und dann schaffe ich es, dass mir dieses Ding zehn Ideen liefert, die weit über dem Schnitt dessen sind, was mir in der Regel die Teams bieten. Wenn ich auf die letzten 19, 20 Jahre zurückblicke, dann gibt es zweifellos hochtalentierte Kreative, die ganz bewusst Ideen auf Knopfdruck auf einem sehr, sehr hohen Niveau entwickeln können. Mit echtem Neuigkeitswert, emotional, überraschend, verblüffend, witzig. Das sind maximal drei bis sieben Prozent meiner Teilnehmer gewesen.
Also um deine Frage zu beantworten: Diese drei bis sieben Prozent haben mich vielleicht noch nie gebraucht, die anderen brauchen mich eventuell jetzt, um nicht mehr ihren Kopf, sondern die Maschine dazu zu bringen, genau das zu tun, was sie wollen und was strategisch notwendig ist.
ChatGPT hat keine Angst davor, sich zum Idioten zu machen.
Ich denke, man muss bei dieser Betrachtung sehen, wer zu dir in die Kreativitätstrainings kam. Wir haben zum Beispiel oft Menschen zu dir geschickt, die gar nicht in kreativen Berufen arbeiten, weil wir wollten, dass sie ein Verständnis für den Prozess entwickeln und verstehen, was wir verkaufen. Wir wollten, dass sie die Entwicklung unseres Kernprodukts erleben und begreifen.
Das ist es, ja. Und das wird vielleicht auch heute noch notwendig sein, das anzubieten.
Ich selbst habe übrigens auch von dir gelernt, wie wichtig die Strategie im Kreationsprozess ist. Welches Ziel will ich bei welchen Menschen erreichen? Wie schaffe ich das am effektivsten? Und als ich mich dann bewusst mit Kreationstechniken beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, dass man es ganz oft mit Checklisten zu tun hat. Ich denke zum Beispiel an die zehn Osborne-Fragen oder 101 ways to get an Idea.
Ja, das sind Regieanweisungen für den Kopf. Also auf dem Zettel steht zum Beispiel drauf: „Mach es groß, mach es riesig, mach es mega.“ Aber du musst dann immer noch die Fähigkeit als Kreativer besitzen, diese Regieanweisung außergewöhnlich umzusetzen.
Ist es trotzdem nicht eigentlich logisch, dass diese Regieanweisungen jetzt automatisiert werden?
Ja, durchaus. Also die genialen Kreativen haben ja zwischen drei und fünf dieser Denkstrategien vollautomatisiert in sich. Die können das unglaublich schnell und effektiv abrufen. Interessant dabei ist, dass sie oft nicht so genau wissen, welche es sind. Und sie sind teils überrascht davon, was es da sonst noch gibt. Ich möchte aber gerne noch etwas zu unserem Punkt von gerade sagen. Ich habe bisher von einer gewissen Kategorie an Ideen gesprochen. Aber welche Art von Ideen brauchen Agenturen und Unternehmen wirklich? Auf einer Skala zwischen eins – banal – und zehn – vollkommen überraschend, neu und normbrechend – sprechen wir hier doch im Alltag von maximal den Stufen drei bis fünf. Das, was da ganz oben ist, wird doch in der Regel gar nicht gefordert.
Ich nenne das inzwischen die Gebrauchskreativität. Und diese Gebrauchskreativität wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit automatisiert und von einer KI in relativ kurzer Zeit übernommen werden. Also die Menschen, die so ein bisschen Design machen, die ein einigermaßen gutes Händchen für Typografie haben, die in der Lage sind, ganz gute Ideen zu entwickeln, die könnten wirklich in Gefahr geraten. Alles, was drüber ist, also die Kreativität, die auf hohem Level stattfindet, wenn es zum Beispiel um eine große, neue Modekollektion geht oder darum, bei einem Film die Story zu entwickeln und den Ablauf im Kopf zu haben oder eine große Kampagne zu kreieren, richtig zu verstehen und bei der Vielfalt der Kanäle am besten zu instrumentalisieren, das bleibt meines Erachtens zumindest vorerst noch in Menschenhand. Wir sprechen also über zwei Arten von Kreativität: Das hohe, außergewöhnliche Niveau. Und dann die Gebrauchskreativität für den werblichen Alltag. Und alle, die sich hier bewegen, müssen wahrscheinlich bald über ihren Job nachdenken.
Gebrauchskreativität wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit automatisiert.
Das würde aber bedeuten, dass wir uns in der Entwicklung künstlicher Intelligenz ziemlich ähnlich zur Robotik bewegen. Dort geht es auch darum, für Menschen belastende, schwierige Tätigkeiten mit hoher Wiederholung, höchster Präzision, schneller Geschwindigkeit zu übernehmen. Und andererseits gibt es immer noch die Menschen, die diese Roboter bedienen, kontrollieren, einstellen, ihnen in irgendeiner Art zuarbeiten, mit ihnen kollaborieren. Habe ich das richtig verstanden?
Soweit ich das beurteilen kann, ja, durchaus. Darauf könnte es erst mal rauslaufen.
Mich frustriert ja persönlich so ein wenig, dass ich in meinem bisherigen gesamten Berufsleben nicht eine einzige Idee entwickelt habe, bei der ich mich getraut hätte, sie in Cannes einzureichen. Das liegt vielleicht an B2B. Und an meinen eigenen Limits.
Das ist aber die komplett falsche Denkweise, das weißt du schon? Ich bin überzeugt, dass B2B-Kommunikation eigentlich anders sein müsste.
Na ja, wir hatten schon manchmal normbrechende Ideen und haben sie auch präsentiert. Wurden dann aber so zurechtgestutzt und hatten teils so heftige Konflikte, dass wir uns das bei den nächsten Malen nicht mehr getraut haben.
Das ist das Selbstbild von B2B, also da gibt es das Selbstbild innerhalb der B2B-Kommunikation, wie das alles zu sein hat. Das ist ungefähr so, wie ein Arzt dich nicht im schwarzen Jogginganzug behandeln kann. Es ist, egal was der trägt, derselbe Arzt. Aber der Jogginganzug wäre ein Regelverstoß. Und in der B2B-Kommunikation gibt es offensichtlich ganz starre Vorstellungen davon, wie das zu sein hat. Obwohl es meiner Meinung nach nicht der Wirklichkeit entspricht.
Was, glaubst du, wird denn in Zukunft die Funktion der Agenturen sein? Werden wir künftig die superprofessionellen Anwender künstlicher Intelligenz? Wo siehst du unsere Rolle?
Da muss ich dir eine Gegenfrage stellen: Ganz ehrlich, wenn du den heutigen Tag mit einem Tag von vor ungefähr 20, 25 Jahren vergleichst, wie viele originelle Ideen siehst du heute und wie viele hast du damals gesehen?
Damals waren es bestimmt mehr. Sagt mir zumindest mein Gefühl.
Okay, das heißt doch, die Kommunikation hat sich reduziert. Wir bewegen uns auf Handelsniveau. Es geht nurmehr ums Verkaufen und ums Anpreisen. Es geht nicht mehr ums Überzeugen. Mein Kollege Dieter Weidhofer erklärt den Unterschied so: Früher hat ein Mann einer Frau Blumen gebracht, hat sie zum Essen ausgeführt, ihr charmante Dinge gesagt. Das Ziel war aber klar. Heute fragt er direkt nach dem Sex. Ohne große Umwege. Das scheint die Kommunikation heute zu sein.
Das war ja bereits vor langer, langer Zeit die Titelstory von brand eins: Kauf, du Arsch!
Ja, genau, auf das läuft es heutzutage hinaus.
Spannenderweise gibt es zu dieser Art der Werbung Studien, die das Gegenteil belegen. Also dieses kurzfristige Setzen von Impulsen, das direkte Anpreisen ist alles Schall und Rauch, wenn du nicht gleichzeitig überzeugende Markenarbeit leistest.
Das mag sein, aber auch hier scheint es aktuell starre Vorstellungen zu geben. Und für mich kommt aktuell noch ein Aspekt hinzu: Im Einzelhandel wenden sich die Menschen gerade von den Marken ab. Sie greifen zu Nonameprodukten oder Handelsmarken. Weil es einfach eine Geldfrage ist. Also insgesamt muss man hier offensichtlich den Kontext sehen: Wie geht’s den Leuten gerade? Die Markenwelten scheinen in gewissen Bereichen verloren zu gehen und es geht um die Verteilung von Waren zum günstigsten Preis. Das eine ist die bislang aufgebaute Markenwelt, das andere die Verteilung von Waren, die man benötigt, um den Alltag zu bewältigen. Ob da jetzt eine Marke dranhängt, scheint für viele Menschen weniger eine Rolle zu spielen, wenn sie knapp bei Kasse sind.
Gut, es gab ja aber schon immer Produktkategorien, die waren dir eben wichtig und andere nicht, oder?
Ja, genau.
Und da setzt sich jetzt eben der Preis durch. Das erscheint mir relativ normal.
Stimmt.
Aber zurück zu meiner Frage nach den Aufgaben und der Rolle der Agenturen in Zukunft.
Also, ich glaube, dass man dazu Hellseher sein müsste. Ich habe gestern einen Videocall mit einem Programmierer gehabt, der seit 15 Jahren Machine Learning macht. Er sagt, gewisse Bereiche lassen sich beim besten Willen nicht vorhersagen. Dem kann ich mich nur anschließen. Aber wenn ich mir anschaue, was diese Bildprogramme heute schon bei Illustrationen draufhaben, dann wird es für Illustratoren künftig noch schwerer werden, von ihrer Kunst zu leben. Ähnlich verhält es sich mit Midjourney, da erstellt man Fotos von Menschen, die sind von echten Fotografien kaum mehr zu unterscheiden. Also Illustration, Fotografie werden die ersten heißen Themen sein.
In einem Video gründet ein Amerikaner um 9 Uhr ein Start-up, eine Barista-Kaffeerösterei. Und drei Stunden später zeigt er alles, was das Start-up braucht: Corporate Design, Website, alles. Er hat das mit KI gemacht und es ist wirklich der Hammer, wie das Zeug aussieht. Was also meiner Meinung nach verschwinden wird, sind diese ganzen Search-Engine Optimierungs-Geschichten mit Keywords-Blablablabla … Websites zu programmieren, das ist ja sowieso durch WordPress schon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, Design, Illustration, Logoentwicklung. Du kannst doch heute schon bei Adobe für deinen Geschäftsbericht aus hunderten von Spitzenlayouts auswählen und lässt einfach Bilder und Texte einfließen … worauf läuft es also hinaus? Es wird genauso wie bei den Printmedien kein komplettes Sterben geben, aber es wird eine Verjüngung, eine Reduktion passieren. Es werden exzellente Könner übrig bleiben und andere werden sich nach neuen Betätigungsfeldern umschauen müssen. Und ob das künftige neue Betätigungsfeld das Prompten sein wird, daran habe ich meine Zweifel. Schließlich ist Sinn und Zweck jeder smarten Technologie, dass sie irgendwann einfach und für jeden bedienbar wird. Also wird auch das Prompten wohl irgendwann kein Handwerk mehr sein.
Und übrigens bedeutet Zukunft bei KI gar keinen wirklich langen Zeitraum. Wir sprechen über vielleicht zwei, drei Jahre, weil das alles irrsinnig schnell vorangeht. Man muss sich vorstellen, dass alleine Microsoft 2023 10 Milliarden Dollar in die Entwicklung Künstlicher Intelligenz investiert. Es wird also alles sehr schnell gehen. Und die Werbebranche wird sich ähnlich schnell ändern müssen. Am Ende gibt es die Idee, dass du einen Avatar auf deinem Handy haben wirst, der dich ganz genau kennt und alles von dir weiß. Und wenn du dich in Zukunft mit einem Freund treffen willst, dann machst du nicht mehr deinen Kalender auf und suchst Termine dafür. Du beauftragst deinen Avatar, mit dem Avatar deines Freundes Kontakt aufzunehmen und einfach ein Treffen zu arrangieren. Also eine KI übernimmt zusammen mit der anderen KI die Arbeit für dich. Und dieser Personal Assistant bucht deine Reisen, kauft für dich ein etc. Und spätestens an diesem Punkt ist die Werbung, wie wir sie bisher kennen, zu Ende. Weil dann bekommst du wirklich nur noch das serviert, was dich wirklich interessiert.
Es werden exzellente Könner übrig bleiben und andere werden sich nach neuen Betätigungsfeldern umschauen müssen.
Aber ich werde doch trotzdem immer noch beeinflusst und werde meine Präferenzen entwickeln? Also ich beauftrage den Avatar doch zum Beispiel für mein neues Auto zuerst bei meiner bevorzugten Marke zu schauen.
Ja, genau, das wird schon so laufen. Das Tolle ist, dass die KI aber für dich den kompletten Check macht, das beste Modell mit der für dich passenden Ausstattung wählt, den günstigsten Preis ermittelt und den Händler mit dem besten Service findet. Am Ende bekommst du vier Vorschläge, aus denen du wählen kannst. Du brauchst keine Broschüre mehr, keine Website, kein Call-Center … du brauchst das alles nicht mehr.
Offengestanden glaube ich nicht, dass das so krass werden wird. Trotzdem … muss mir die gefallen, diese Vision?
Frag mich einmal, ich klinge zwar euphorisch, was diese Dinge betrifft, bin in Wahrheit aber superkritisch.
Die Entwicklerin von ChatGPT, Mira Murati, fordert für jegliche KI dringend eine Regulierung durch Regierungen und Behörden zum Schutz der Menschen.
Na ja, Elon Musk, Gründer und Shareholder von OpenAI, hat zusammen mit hochrangigen Tech-Experten, Philosophen, Literaten in einem offenen Brief eine Denkpause von mindestens sechs Monaten gefordert. In der Zeit soll die Branche selbst Sicherheitsstandards für die Entwicklung von KI festlegen, die dafür sorgen, dass das Thema nicht außer Kontrolle gerät. Sollte das nicht funktionieren, werden Regierungen dazu aufgefordert, entsprechend einzuschreiten. Sonst läuft es wohl komplett aus dem Ruder.
Glaubst du daran?
Das wird natürlich nicht stattfinden. China arbeitet bekanntlich selbst an einer KI. Und die haben schon heute zehnmal mehr Daten zur Verfügung und aufbereitet als OpenAI. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die sich von solch einem Appell ausbremsen lassen. Und die Amerikaner können es sich deshalb gar nicht leisten, in irgendeiner Art stillzustehen.
Wenn es also ganz doof läuft, sind wir gerade dabei, uns selbst abzuschaffen, oder?
Auf eine gewisse Art und Weise schon. Ich glaube, es wird jetzt allmählich klar, dass ziemlich viele Leute ihren Job verlieren werden. Und ich muss dir ganz ehrlich sagen, was ich nie vermutet hätte … ich hätte KI in allen Bereichen gesehen, wirklich in allen, nur in einem nicht: in der Kreativität. Und dass das jetzt ausgerechnet dort wie eine Bombe einschlägt, das ist für mich echt der Wahnsinn. Wir haben seit Kurzem den Bezahlzugang zu ChatGPT. Und ich arbeite seit Wochen jeden Tag damit. Das fühlt sich so an wie … wie sage ich das jetzt am besten? Also ich wohne hier oben am Hang und stelle mir die Frage, ob ich mit dem Auto zum Einkaufen fahre oder die Sachen zu Fuß den Hang hinaufschleppe. Und ich fahre natürlich mit dem Auto. Wenn ich überlege, wie mache ich es? Wie formuliere ich den Text? Das ist blitzschnell gegangen, dass ich ChatGPT den Text schreiben lasse. Und es ist blitzschnell gegangen, dass ich mich abhängig davon gemacht habe.
Wie greifst du dann noch ein? Wie gehst du mit den Ergebnissen um?
Ich greife massiv ein, weil man das, was die Maschine aktuell liefert, eigentlich nicht gebrauchen kann. Aber: Ich schreibe jetzt seit bald 30 Jahren und weiß von mir, dass ich kein genialer Texter bin. Es gibt viele Menschen, die mich auf der Sprachebene zehnmal abstauben. Die sind spritziger, haben mehr Sprachwitz. Die haben ein ganz anderes Sprachspektrum, dessen bin ich mir bewusst. Aber als ich ChatGPT zum ersten Mal drei Sätze gab und ich Varianten dieser Sätze haben wollte und mir die KI innerhalb von 15 Sekunden neue Sätze gezaubert hat, dass ich mir gedacht habe: Ich gebe auf. Das war für mich ungeheuer demütigend. Also es ist schon genial, was in der Kürze der Zeit herauskommt.
Kann ich bestätigen, ging mir bei meinen eigenen Versuchen genauso.
Es kommt aber schon noch was dazu. Ich versuche ja die ganze Zeit, die Maschine dazu zu bringen, wirklich kreativ zu sein. Ich teste das eigentlich täglich. Dafür ist tatsächlich ein ungeheurer Aufwand nötig. Also sie liefert auf den ersten Blick schon echt wow. Aber wenn du genau hinschaust, wenn du Kreativprofi bist, dann merkst du schnell, dass es trotzdem so kaum brauchbar ist. Also was macht die Maschine im Grunde? Sie färbt Klischees neu ein, macht naheliegende Kombinationen und liefert dir bei gewissen Fragen, wenn du sie wiederholst, immer dieselben Sachen. Da schaue ich dann drauf, lächle und denke: Das ist Quatsch, das kann man nicht brauchen. Und dann schaue ich, wie man sie dazu kriegt, eben doch verrücktes Zeug zu entwickeln. Und mit vielen Tricks, mit vielem Herumprompten schafft man es, dass sie doch mal was Ungewöhnliches liefert. Dabei fühlt sie sich an wie ein glitschiger Fisch: Kaum hast du ihn, schon ist er wieder weg. Und als Nächstes kommt wieder das Naheliegende.
Sie färbt Klischees neu ein, macht naheliegende Kombinationen und liefert dir bei gewissen Fragen, wenn du sie wiederholst, immer dieselben Sachen.
Warum ist das deiner Meinung nach so?
Im Moment sind die Entwickler im Zugzwang, diese KI öffentlichkeitstauglich zu machen. Also niemand soll angestachelt und in die Lage versetzt werden, verbotene Dinge damit zu tun. Also politische Systeme zu hinterfragen, Gesellschaften zu destabilisieren usw. Wenn man das nicht möchte, muss man die KI in einen extrem engen Tunnel hineintreiben, sodass sie nurmehr das tut, was brav und konform ist. Die Konsequenz daraus lautet, dass wir es mit einem – ich nenne es mal – extrem angepassten Gehirn zu tun haben. Und mit einem derartig braven, angepassten System kann man nicht normbrechend kreativ sein. Gebrauchskreativ schon. Aber Ideenentwicklung bedeutet Normen brechen, auch einmal politisch unkorrekt, sexistisch sein. Im Kreativlabor darf ich das. Das weiß die Maschine nicht. Und deshalb glaube ich, dass die Maschine zwar kreativ ist. Aber in einem sehr engen Korridor, der vermutlich im Lauf der Zeit noch enger werden wird.
Aber Ideenentwicklung bedeutet Normen brechen.
Die Frage ist aber doch dann, ob wir uns damit zufriedengeben. Ob also die Massstäbe immer weiter reduziert werden und diese Gebrauchskreation vollkommen ausreicht. Oder ob sich eben doch die Einsicht durchsetzt, dass herausragende Kreation oft auch für herausragende Wirkung sorgt.
Genau, schau dir doch nur mal an, was vor kurzem bei der Usability von Websites passiert ist. Da gab es Studien mit ganz klaren Ergebnissen, wo welcher Menüpunkt und welcher Button sein muss, und innerhalb kurzer Zeit haben alle Websites gleich ausgesehen. Die Unterscheidung war eigentlich nur noch durchs Logo. Und die Gefahr besteht schon, dass die Maschine die immer gleichen Klischees produziert und wir alle erst mal damit zufrieden sind.
Also die Maschine befindet sich im Moment auf dem Level eines Teams, mit dem du ganz frisch angefangen hast zu arbeiten. Und sie liefert dieselben klischeehaften, naheliegenden Ideen, die auch die Menschen liefern. Kann man das so sagen?
Ja, das kann man so sagen.
Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen, behauptet in einem Artikel, dass dieser von dir beschriebene Effekt noch viel heftiger werden wird. Weil wir Menschen die Maschinen noch ungefähr zwei Jahre füttern werden. Und sie so immer wieder zwingen, anders zu denken. Nach diesen zwei Jahren werden sie aber selbst prompten, sich selbst briefen und Input von anderen Maschinen bekommen. Dabei wird eine Einheitssosse entstehen, die keinesfalls mehr künstlerisch, kreativ und inspiriert sein wird. Unterschreibst du das?
Das ist schwierig zu sagen. Das kann man nicht vorhersagen. Wenn die Entwickler sich darüber bewusst sind, können sie ja aktiv dagegen angehen und dafür sorgen, dass es nicht so kommen wird. Und so schnell werden diese Wiederholungen nicht passieren. Weil die Ressourcen, aus denen die KI schöpft, nahezu unendlich sind. Eine meiner Methoden, KI zu außergewöhnlichen Ideen zu bringen, ist ein Prompt mit der abschließenden Frage: Wie würde das die äthiopische Kultur lösen? Also schau dir die Gesetzgebung, die Gesellschaft, die Musik, die Kultur … einfach alles an, lerne daraus und mach mir einen Vorschlag zum Thema, sagen wir mal, wie wir in Wien die Radfahrer dazu bringen, immer einen Helm zu tragen. Wir könnten doch damit die letzten hundert Jahre der Entwicklung von Äthiopien in unsere Problemstellung einfließen lassen und da geht doch ganz bestimmt die Post ab, oder? Das ist eine ungeheure Ressource. Aber vielleicht ist es ja irgendwann doch erschöpft und funktioniert wie in einem Mixer, in dem am Anfang noch die einzelnen Früchte erkennbar sind, bevor es ganz am Ende einen Brei ergibt.
Und was nehmen wir jetzt so für uns mit?
Im Moment ist die KI offensichtlich noch so etwas wie ein Sprungbrett. Sie hilft dir, mehr aber nicht. Ich habe noch keine einzige fertige Idee gefunden. Das geht aktuell noch nicht. Ich schaue mir das an, ich werde inspiriert und komme so auf neue Ideen. Die Vorschläge von ChatGPT regen mich an, sie bringen mich dazu, anders zu denken. Das ist genial, aber auch nur die halbe Miete. Denn die Strategie, die Basis, die unmissverständliche, präzise Zielformulierung – das alles spielt nach wie vor die entscheidende Rolle. Das zwingt dich manchmal geradezu, auf außergewöhnliche, qualitativ hochwertige Ideen zu kommen. Und diese Arbeit wird wohl noch längere Zeit bei den Menschen bleiben. Denn erstens ist eine KI eine Blackbox, in der etwas passiert. Sie hat aber keine Sinnesorgane nach außen. Die Daten, auf denen sie basiert, sind zweitens alt. Wobei die konsequente Anbindung ans Netz das radikal ändern wird. Und drittens fehlt ihr der Kontext. Sie ist nicht in die menschliche Welt, ins menschliche Empfinden eingebettet. Deshalb wird das wohl noch länger in Menschenhand bleiben. Was auch immer länger bedeutet, also zwei, drei, fünf oder zehn Jahre.
Das erscheint mir aber schon ein ganz entscheidender Punkt: Wird eine KI es jemals schaffen, so etwas wie Empathie, wie Einfühlungsvermögen zu entwickeln? Und damit verstehen, was uns Menschen aktuell umtreibt und bewegt?
Auch wieder schwer zu sagen. Fakt ist, dass uns jede Veränderung massiv beeinflusst und damit sofort den Kontext ändert. Und ich finde es wichtig dabei zu sehen, dass wir uns nicht in einem Wandel befinden, sondern in einer Transformation. Wandel bedeutet ja, dass hier und da an gewissen Stellen etwas verändert wird, man dann aber wieder einen stabilen Zustand erreicht. Jetzt wird aber das Spielbrett selbst verändert. Und damit das ganze Regelwerk, permanent.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx spricht von dauerhafter Transition …
Genau. Veränderung als dauerhafter Zustand. Und das wird sehr schnell gehen. Denn die Treiber sind Maschinen. Die kennen keine Pause.
Und sie brauchen keinen Schlaf. Lieber Mario, vielen Dank für unser spannendes, inspirierendes, interessantes Gespräch.