„share hat das Potenzial, für ­einen Behavioral Change in der Gesellschaft zu sorgen.“

Marke People Data & Tech Lifestyle
30.06.2022

Die soziale Konsumgütermarke share wurde 2017 von Sebastian Stricker, Iris Braun, Ben ­Unterkofler und Tobias Reiner gegründet. 2018 ging share mit Mineralwasser, Nussriegeln und Hand­seife an den Markt. Das 1+1-Prinzip von share erfreut sich seitdem großer Beliebtheit und sorgt für eine stetige Weiterentwicklung des Sortiments und der Kooperationen. Jedes verkaufte Produkt spendet an ein soziales Projekt. Insgesamt konnten bis heute über 85 Millionen Hilfeleistungen finanziert werden, darunter 23 Millionen Mahlzeiten, 21 Millionen Sanitär- und Hygieneleistungen, 2 Millionen Schulstunden und sauberes Trinkwasser für 38 Millionen Tage.

Sebastian Stricker

ist ein österreichischer Sozialunternehmer, der heute in Berlin lebt und wirkt. Nach seiner Promotion im Fach Internationale Beziehungen war Stricker als Unternehmensberater tätig, bevor er zum Malariaprogramm der Clinton-Stiftung wechselte. Im Anschluss war Stricker drei Jahre lang am Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und der daraus entstandenen Spenden-Initiative ShareTheMeal beteiligt. 2017 war er Co-Founder der sozialen Konsumgütermarke share, deren CEO er bis heute ist.

MATTHIAS VON BECHTOLSHEIM

gebürtiger Bayer und heute in Berlin tätig, war 1999 zusammen mit Guido Heffels und Andreas Mengele Co-Founder der Heimat Werbeagentur GmbH und bis 2021 deren CEO. Nach dem Wechsel der Geschäftsführung bei Heimat gründete das Trio die Beteiligungsgesellschaft Laughing Tuna GmbH. Mit seiner dortigen Arbeit als freier Marken- und Kommunikationsberater begleitet von Bechtolsheim als Angel Investor zahlreiche Impact Start-ups wie share, Sanity Group und Tomorrow.

Sebastian, was veranlasst einen studierten und promovierten Politikwissenschaftler nach seiner Zeit in der Unternehmensberatung derart krass die Seiten zu wechseln?

JD

Es gab viele Gründe, die zueinanderkamen. Als ich in Wien bei der Unternehmensberatung war, gab es in meinem privaten Umfeld Veränderungen. Ich hinterfragte mich, ob ich unbedingt in Wien bleiben muss und ob ich mein Leben lang Unternehmensberatung mache. Dann bin ich eben ans andere Ende gesprungen, von Europa nach Afrika und von der Unternehmensberatung zur -Clinton-Stiftung.

SS

Was hast du aus deiner Zeit als Unternehmensberater mitgenommen und dort einsetzen können?

JD

Also ich glaube, dass sich die Arbeit nicht sonderlich unterscheidet. Als Einsteiger lernt man in der Unternehmensberatung vor allem das funktionelle Rüstzeug. Also wie man Projekte managt, kommuniziert, Stakeholdermanagement betreibt. Ob ich das auf einem Projekt anwende, in dem es gilt, Forschungs- und Entwicklungsabteilungen für einen Konzern hochzuziehen, oder ob es darum geht, eine Malaria-Unit in Ostafrika zu re­organisieren, das macht keinen wesentlichen Unterschied. Ich habe also sehr, sehr viel verwenden können von dem, was ich in der Beratung gemacht habe.

SS

Die Idee zu share entstand ja aus deiner Arbeit für die App ShareTheMeal. Gab es da einen spezifischen Punkt, eine Art Tipping Point?

JD

Bei allen meinen Projekten ist der Startpunkt eine große Überzeugung oder Hoffnung, dass sich etwas verändern wird. Bei ShareTheMeal war die Idee, dass man sozusagen einen McDonalds-Schalter für Hilfsbedürftige machen kann. Ich finde immer noch, dass es so was geben sollte. Das ist einfach zu schön, als dass es das nicht gibt. Das hat dann aber in der Form nicht funktioniert und wir haben’s mit der App gemacht.

Bei share ist es der Gedanke, dass ich hier einen Riegel esse und jemand anderes isst ihn woanders auch. Unser 1:1-Prinzip, bei dem ich weiß, dass es sich auch finanziell ausgeht. Alle Projekte, die wir hier machen, haben eines gemeinsam: diesen allerersten Moment, die Idee, die zu schön und zu sinnvoll ist, als dass es sie nicht geben dürfte. Richtig Form angenommen hat share dann nach einem Workshop, zu dem ich eingeladen war. Ich durfte das Management der REWE als Inspirator und Vertreter der Berliner Start-up-Perspektive begleiten. Es ging um Business Model Innovation und mir wurde klar, dass unsere Idee mit einer Supermarktkette wie REWE realistisch und möglich ist. Ein paar der Vorstände fanden das richtig geil und sind bis heute bereit, sich dafür Zeit zu nehmen. Dass das so schnell passieren wird, konnten wir nicht ahnen. Aber es wurde dann so konkret, dass wir uns gedacht haben: Das sollten wir ausprobieren.

SS

Die Spenden-App ShareTheMeal des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen wurde 2014 von Sebastian Stricker und Bernhard Kowatsch in Berlin entwickelt und ging 2015 online. Die App ermöglicht es dem Nutzer, eine Mahlzeit durch eine einmalige oder monatliche Spende mit bedürftigen Menschen zu teilen. Bis heute wurden knapp 150 Millionen Mahlzeiten gespendet.

Was wusstest du über das Spendenverhalten der Menschen?

JD

Da habe ich viel bei ShareTheMeal gelernt, es ist auch nicht wahnsinnig komplex und eigentlich ganz gut bekannt. Die Menschen fragen sich: Wie mache ich das, kann ich dem Ganzen vertrauen, fühlt sich das anstrengend an oder vielleicht sogar cool? Das Vereinfachen des Zugangs ist was ganz Entscheidendes, das war uns von Anfang an klar.

SS

Matthias, wie kamst du ins Spiel? Was hat euch beide zusammengebracht? Welche Rolle hast du bei share gespielt? Welche Rolle spielst du heute?

JD

Ein gemeinsamer Bekannter hat den Kontakt hergestellt und dann haben Andreas, Guido und ich uns mit Sebastian getroffen und fanden es alle super überzeugend. Warum? Zum einen die bereits erwähnte Niedrigschwelligkeit, zum anderen die sehr einfache Kernidee. Aus der Kommunikation wissen wir, es geht immer darum, etwas zu verdichten und den kleinsten ­gemeinsamen Nenner zu finden, um das dann auch skalierbar zu machen, und das ist hier der Fall. Eine sehr einfache Formel – jeder konsumiert täglich und share macht daraus den guten Konsum. Viele Spendenprozesse werden abgebrochen wegen Bedenken, Formularen, Komplexität. Hier ist das ganz einfach und für uns vom ersten Moment an catchy gewesen.
Sebastian und seine Co-Founder sind sehr charismatische Persönlichkeiten, uns war sofort klar, dass wir da gerne mitmachen. Alles, was es brauchte, war gesetzt. Der Name wurde diskutiert – also das Deskriptive, keinen Eigennamen zu entwickeln. Ich glaube das war ein wichtiger Schritt, weil man so eine ganze Kategorie besetzen und in jeden Bereich führen kann. Wir haben uns also sehr frühzeitig kennengelernt, konnten uns direkt beteiligen und auch von der ersten Minute an dabei sein.

MVB

Der Entscheidungsprozess, ob wir zusammenarbeiten oder nicht, hat maximal zehn Sekunden ge­dauert. Und wir waren mit einigen in Gesprächen. Ich frage mich, ob das nicht bei den meisten guten Partnerschaften so am Anfang ist. So smooth, so viel Vorwärtsenergie. Ich frage mich, ob man so was nicht sogar in allen Partnerschaften suchen sollte.

SS

Matthias, du bist zusammen mit deinen Partnern finanziell bei share eingestiegen, ihr habt das ganze Markendesign und die Kommunikation beeinflusst. Du hast mir erzählt, dass du nicht nur investierst, sondern auch aktiv mitwirkst. Welche Rolle spielst du?

JD

Das mit share und Heimat ist mittlerweile getrennt. Die Aufgaben haben sich geändert, share ist ­gewachsen und hat sich viele Ressourcen in dem Bereich selbst aufgebaut. Für meine Rolle haben wir verschie­dene Modelle ausprobiert, heute bin ich so etwas wie ein ­Advisor. Sebastian und ich pflegen einen regelmäßigen Austausch und versuchen, intensiv Kontakt zu halten – die Leitung ist kurz. Es tut gut, wenn man das Produkt und die Marke versteht und mit aufgesetzt hat, das Ganze aber dann auch aus einer gewissen Distanz begleitet. Erst so wird ein Advisor-Blick möglich. Wenn man sich in einer ­anderen Tiefe tagtäglich einbringt, verliert es schnell den Reiz und manches nutzt sich ab.

MVB

Sebastian – eine Frage zur Vergangenheit und eine Frage zur aktuellen Situation. Was war dein erstes Produkt und wie schwer war es, dafür einen Partner zu finden?

JD

Meine ersten Partner waren REWE und dm. REWE hatte ich ja schon durch den Workshop. Und es waren drei Produkte: Mineralwasser, Müsliriegel und Handseife. Das lief mit einem großen Knall an und hat in der Operativen erstaunlich funktioniert. Die Produkte haben sich gut verkauft, die Preise haben gestimmt. Faszinierend war das Echo in Deutschland, das einzigartig war. Nur beim Launch von ShareTheMeal habe ich Ähnliches erfahren. Sonst kenne ich keine Projekte, die mit ein paar hunderttausend Euro Marketingbudget so eine Präsenz und Relevanz vom allerersten Tag an entwickelt haben. In den Abendnachrichten, im SPIEGEL – alle haben groß berichtet. Nach zehn Tagen wurde die erste Million geknackt, die erste Million Shares. War ganz gut.

SS

REWE kann Reach, also Marktzugang, und ist mit einer beeindruckenden Konsequenz als Partner eingestiegen. Mit großer Kraft, starkem Willen und der festen Absicht, unsere Partnerschaft auch langjährig aufzusetzen. Das passte schon sehr gut.

MVB

Matthias, was denkst du, welchen Nerv trifft Sebastian in der Bevölkerung? Was ist der entscheidende Punkt?

JD

Jeder will heute etwas Gutes tun, der private Konsument und auch der CEO eines Unternehmens. Der möchte Profit, aber mit Anstand, und liebt seine Partner­schaft mit share, weil es dem Unternehmen ­ermöglicht, ganz einfach Gutes zu tun. Deshalb hat das einen wahnsinnig guten Nährboden gefunden. Das ist ein Zeitgeist, der die Bedürfnisse ganz vieler Menschen vereint.
Die soziale Ungerechtigkeit nimmt zu. Im Lokalen und ­Nationalen sieht man, dass es immer mehr Reiche und immer mehr Arme gibt und der Mittelstand – der Bauch – wegbricht. Das Bedürfnis zu helfen ist da, in allen Bevölkerungsschichten, auf allen Seiten – da hilft diese Idee wahnsinnig gut weiter.

MVB

Sebastian, worauf verlässt du dich, wenn Marken an dich herantreten? Wie beurteilst du, ob die das auch wirklich ernst meinen? Erlebst du so was wie Socialwashing?

JD

Da gibt es ja inzwischen einige Begriffe: Greenwashing, Bluewashing etc. Wir erhalten häufig Anfragen, bei denen wir uns denken, die machen das jetzt nicht für die Sache, sondern weil sie gerne darüber sprechen. Die Einschätzung dazu muss man für sich treffen. Wir überlegen uns trotzdem manchmal, ob wir nicht gerade mit solchen Partnern zusammenarbeiten. Oft können diese Unternehmen erst durch ein echtes Projekt ihre gesellschaftliche Verantwortung entwickeln oder kennen­lernen. Deshalb macht es Sinn, mit solchen Marken zusammenzuarbeiten: um ihnen auf dem Weg zur gesellschaftlichen Verantwortung zu helfen.

SS

share hat das Potenzial, eine Verhaltensver­änderung in der Gesellschaft zu bewirken. Sebastian ist da deutlich bescheidener – ich kann das als Externer etwas bolder formulieren: Ich glaube, dass diese Marke das ­Potenzial hat, eine globale Brand zu sein, die wirklich einen Behavioral Change evoziert. Das gelingt vor allem und viel schneller, wenn man auch mit nicht so erwart­baren Unternehmen Partnerschaften eingeht. Sonst bist du in dieser Bubble der Gutmenschen und da bleibst du dann auch. Wenn du einen Behavioral Change in der Gesellschaft erreichen willst, musst du eigentlich auch ­Nestlé – um mal ein Unternehmen zu nennen, das prestigetechnisch nicht so zweifelsfrei dasteht – als ­Partner gewinnen. Nur so kommst du in allen Dimen­sionen an.

MVB

Matthias, wenn du die Tür schon in die Richtung aufmachst, dann würde ich gerne mit euch beiden da durchgehen. Welche Möglichkeiten seht ihr denn für B2B-Unternehmen?

JD

Wir erkennen aktuell, dass es sehr viele Opportunitäten gibt. Nicht nur in den Partnerschaften, sondern auch in den Kanälen, wie wir überhaupt mit den verschiedenen Stakeholdergruppen kommunizieren können, ob es Kunden oder Konsumenten sind. Die spannendsten ­Möglichkeiten, das muss ich klar sagen, sehen wir aktuell alle im B2C-Markt. Wir haben drei globale Marken, allesamt sehr gewichtige Stakeholder, die im B2C-Bereich aktiv sind und Projekte mit uns umsetzen. Das ist maximal für uns. So groß sind wir noch nicht, dass wir genug Kapazität darüber hinaus hätten. Trotzdem habe ich was für diese Idee mit B2B übrig.

SS

Wenn man im FMCG-Bereich gestartet ist, kann man sich natürlich fragen, wie wachse ich harmonisch so weiter, dass es ein konsistentes Bild ergibt? Oder im Gegenteil: Wie kann ich diesen Reizpunkt setzen, wo kann ich überraschend auftauchen, wo erwartet man mich nicht? Wie bekomme ich schnell eine höhere Awareness? Das ist immer auch mit Kapazitäten verbunden: Ab wann über­fordere ich eine Organisation, was die Expansionsgeschwindigkeit und die Weiterentwicklung angeht? Das Potenzial von share ist riesig. Es geht also darum, den richtigen Weg so zu finden, dass man das im richtigen Maße eskaliert, damit am Ende – nach fünf, nach zehn Jahren – wirklich die Verhaltensänderung eingetreten ist. Das ist das, was Sebastian und sein Team treiben und warum wir glücklich sind, dabei zu sein. Das ist toll! Ich schließe ganz grundsätzlich B2B nicht aus, trotzdem sehe ich es innerhalb der nächsten Jahre nicht.
Für mich bleibt vor allen Dingen der soziale Nutzen als der gemeinsame Nenner stehen. Was mir bei B2B gerade in der Vorstellung schwerfällt, ist die Umsetzung unseres 1:1-Prinzips. Diese einfache Formel, ich kaufe mir etwas, was ich zum Leben haben möchte, und rette damit jemanden, der es zum Leben braucht. Das muss man im B2B-­Bereich dann nochmal neu denken. Und dann muss man schauen, ab wann es ein zu großer Markenstretch wird. Ist der Zeitpunkt für B2B schon gekommen? Aktuell würde ich sagen: nein. Potenzial in der Zukunft? Ja.

MVB

Ich könnte mir schon das Konzept aus der Entwicklungshilfe vorstellen, also Hilfe zur Selbsthilfe. Nehmen wir mal an, ihr würdet einen Traktorenhersteller als ­Partner gewinnen, der im Verhältnis zur verkauften Zahl in Deutschland Traktoren in Afrika spenden würde?

JD

Genau. Da sind viele Anknüpfungspunkte, über die wir sprechen könnten. Dass es spannend ist, ist gar keine Frage. Dennoch sprechen uns heute schon fast zu viele B2C-Partner an, da wir hier bereits unterwegs sind und auch Endkundenkommunikation nicht ganz irrelevant für diese Partner ist. Das ist ein gelernter Mechanismus, den man da verwenden kann. Ausschließen würden wir das sicher nicht.

SS

Wenn wir solche B2B-Partnerschaften ein­gehen würden, wie du es gerade schilderst, dann gäbe es sicher einen relativ hohen Impact. Man bewirkt damit ziemlich viel … aber vielleicht eben nicht mit der langfristigen ­Perspektive des Behavioral Change in der Gesellschaft.
Man muss bei allem Reiz danach entscheiden, wo die Marke wirklich steht und was ihr übergeordnetes Ziel ist. Für mich ist das schon das Maximum, dass alle Menschen sagen: „Warum konsumiere ich eigentlich zukünftig nicht so, dass bei jedem Konsumakt jemandem geholfen wird, der in Not ist?“ Wenn dir das gelingt, kann man gerne noch Impact aus der B2B-Welt mitnehmen. Aber trägt ein B2B-Abschluss mit einem Partner dazu bei, den gesellschaftlichen Behavioral Change zu befördern? Ich würde erstmal sagen, dass nicht.

MVB

Da hast du auch recht, weil es eben nicht diese Publikumswirksamkeit hat. Nachhaltigkeit ist aber ge­rade ein heißes Thema und wir sehen, wie die Dinge teils an­gegangen werden: schön zu lesende CSR-Berichte, Absichtserklärungen … Unser Bild ist, dass gerade B2B-Unternehmen dringend Kooperationen, Learnings und Beispiele bräuchten, an denen sie sich orientieren ­können. Eigentlich sind das genau die Partner, die Sebastian ­vorher beschrieben hat: diejenigen, die ihre aktive Rolle in der gesellschaftlichen Verantwortung finden wollen. Nächstes Thema: Nach zwei Jahren Pandemie, die immer noch nicht ganz vorbei ist, beginnt Russland diesen schrecklichen Krieg in der Ukraine. Welche Wirkung hat das auf share, inwiefern hat das zu einer Veränderung geführt?

JD

Tatsächlich haben wir das in unseren Daten bisher nicht zu finden versucht. Wenn wir das tun ­wollten, dann würde es uns sicher gelingen, irgendeinen Zusammenhang nachzuweisen. Ich glaube aber, dass die Themen sozialer Zusammenhalt, gesellschaftliche Verantwortung, Nachhaltigkeit, Moral aktuell im Aufwind sind. Das ist natürlich sehr unterstützend für die Sache, für die wir arbeiten. Weil man das Gefühl hat, dass man sozusagen mit dem Strom schwimmt und nicht dagegen. Und ich glaube, dass sich der Trend in Zukunft noch verstärken wird. Ich befürchte, dass die Inflation nicht spurlos an uns vorbeigehen wird – das Thema sozialer Zusammenhalt wird immer wichtiger werden, wodurch unsere Aufgabe nur noch größer wird.

SS

Wie reagiert die Politik auf euch? Welche Annäherungsversuche gab es von der Seite?

JD

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in verschiedenen Ministerien war. Es gibt ja eine Symbiose zwischen Politik und Wirtschaft, und die kennen wir sehr gut. Die Politik profitiert davon, sich mit trendigen Themen zu positionieren, wir profitieren davon, damit Relevanz ­demonstrieren zu können. Im besten Fall befruchtet sich das gegenseitig. Wir nehmen ein Stück weit Einfluss auf die Politik in unserem Sinne und die Politik kann uns verwenden als Beispiel, um andere Unternehmen zu ­inspirieren, wie man gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann. Dieser letzte Punkt ist wichtig für uns. Wie messen wir denn überhaupt unseren gesellschaftlichen Nutzen? – Ein riesiges Thema. Wir glauben, dass es funktioniert, gleichzeitig gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und ein tolles Unternehmen aufzubauen.
Für uns ist das ein wesentliches Motiv. Andere zu inspirieren, die Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, zu ermutigen, einen Beitrag zu leisten, vielleicht sogar die besseren Unternehmen zu werden. Das ist aus unserer Sicht ein nicht zu unterschätzender Hebel, um gesellschaftlichen Nutzen zu generieren, mal ganz abgesehen von all den Nahrungsmittel-, Hygiene-, Trinkwasser- Projekten.

SS

Wie sehr kommt euch da die jüngere Generation entgegen?

JD

Es ist schon so, dass es immer mehr zum Kriterium wird, wenn du nicht sozial verantwortlich agierst und ökologisch verantwortungsvoll. Dann darfst du ­irgendwann auch nicht mehr mitspielen, das ist einfach so. Du kennst das Problem mit dem Nachwuchs in unserer Werbe­branche. Das hatten wir vor 10 bis 20 Jahren so noch nicht. Das wird u. a. größer, weil junge Leute den Anspruch haben, ihren Broterwerb nicht nur zur ­Gehaltsoptimierung zu betreiben, sondern auch ideell etwas mit nach Hause nehmen wollen. Deswegen liegen Unternehmen und Marken wie share absolut im Trend. Das spürst du in allen Bereichen. Jeder will gerne sozial verantwortlich sein. Die Gegenfrage hierauf wäre: Willst du mit deinem Konsum nur Gutes für dich selbst tun? Das ist schnell mit „Nö“ zu beantworten. Statussymbole, um sich abzugrenzen, die aufzeigen, wie die eigene wirtschaftliche Potenz ist, sind ein Auslaufmodell.

MVB

Warum wurde share bisher noch nicht ernsthaft kopiert? Habt ihr da eine Erklärung?

JD

Wäre es so schlecht, wenn share kopiert werden würde? Und: Hat’s wirklich noch niemand versucht? Auf die erste Frage würde ich antworten: wäre super. Ein Bekannter von mir spricht immer wieder davon, das indische share zu gründen. Wie toll das wäre, wenn es in ­einem Megamarkt wie Indien auch share gäbe. Da stimme ich vollkommen zu, finde ich affengeil. Ich wäre wahrscheinlich einer der größten Fans.
Zur zweiten Frage: Die Nestlés und Unilevers dieser Welt haben erstaunlich ähnliche Dinge gestartet wie wir. Aber nicht dauerhaft. Ich spreche mittlerweile deutlich seltener mit anderen Projekten, Start-ups oder Innovationsabteilungen von verschiedenen Konzernen, denen ich gerne er­kläre, wie wir die Dinge machen, sehen oder empfehlen. Also ich glaube schon, dass wir durchaus schon viele inspiriert haben. Der eine große Wettbewerber ist noch nicht entstanden. Und ich könnte lange darüber reden, warum ich glaube, dass es sehr schwierig ist, uns zu ­kopieren. Also da mache ich mir wenig Sorgen. Investoren ­machen sich öfter Sorgen, dass wir kopiert werden. Ich halte das für relativ schwierig.

SS

Einmal ist da der Kategoriename als Marke schon gut. Jede weitere Unternehmung, die jetzt nicht Copycat sein will, sondern mit einer eigenen Idee daherkommt und die vielleicht in einem ganz anderen Bereich umsetzt, wird im Zweifelsfalle ja immer in die größere, ­etabliertere Marke mit einzahlen. Der Marktführer, der share im Moment ist, profitiert immer davon. Der Name share thront eben kategorisch obendrüber.
Ganz so trivial ist die Kopie aber aus einem weiteren Grund nicht. Der hat was mit Sebastians Historie zu tun, mit seinen hervorragenden Verbindungen zu den United Nations, zur Clinton-Stiftung und auch zu BCG. share arbeitet mit den besten Organisationen zusammen, wenn es heißt, den sozialen Ausgleich zu leisten. Das zu er­füllen, das dann auch so umzusetzen, dass du auf deinem Produkt erkennen kannst, wo dein Beitrag genau hingeht, das ist komplex. Die Herausforderung lautet, das in der Qualität so hinzustellen, dass es dann auch die Glaub­würdigkeit besitzt. CSR ist ja bereits von der Randkategorie auf der Website sozusagen auf die zentrale Seite gekommen. Aber wenn das dann eben nur ein Teil ist, dann ist es zu wenig und genauso wenig reicht es eben, mal schnell mit einem Versprechen nach draußen zu gehen, das du dann nicht auch erfüllt bekommst. Das ist schon eine echte Aufgabe.

MVB

Also: Die Produktidee zu haben und einen Kooperationspartner zu finden, ist eher easy. Das entsprechende Hilfsprojekt zu organisieren, nicht. Ist das der Grund, ­Sebastian?

JD

Ich glaube, es sind verschiedene Gründe. Der wichtigste ist aus meiner Perspektive die Authentizität.
Es ist schwierig, eine Marke im Reagenzglas oder im Labor entstehen zu lassen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man sich mit der Materie tatsächlich auch auskennt und identifiziert. Das tun viele nicht. Und dann gibt’s ja noch all die anderen Dinge, die man so als junge Marke machen kann, um es den Etablierten schwerzumachen – Risiko­bereitschaft, Agilität, Anderssein. Große Corporations kommen da gar nicht mit, wenn man anfängt, die ganzen Vorteile von jungen, kleinen, dynamischen, überzeugten Teams für sich zu nutzen.

SS

Wie schafft ihr’s denn bei all dem Wachstum, genau diese Eigenschaften so lange wie möglich zu halten? Wie kriegt ihr hin, als Marke authentisch zu bleiben?

JD

Das ist eine sehr berechtigte Frage, weil sie nicht so einfach ist. Das ist wie das Venture Management in etablierten Unternehmen. Du startest alleine und musst Dinge nur mit dir selbst ausmachen. Und irgendwann sitzen da wie in unserem Fall 120 Leute, die ganz andere Prozesse, ganz andere Erfahrungen, ganz andere Management-Skills erfordern. Wie macht man das am besten? Ich glaube, das ist eine Management-Aufgabe in wachsenden Organisationsstrukturen, das erfordert ein permanent sich entwickelndes Verständnis für Organisationen, für Venture Building. Am Ende ist es die Verantwortung der Geschäftsführung, des CEOs, dort die richtige Führung an den Tag zu legen.

SS

Ich glaube, spätestens dann geht es weniger um die eingangs geschilderten BCG-Fähigkeiten, also operative Intelligenz, Struktur und organisatorische Exzellenz. Dann geht es klar um Personality, um Authentizität und darum, dass eben auch mit Feuer geführt wird. Empathie ist ein ganz wichtiger Faktor in einer solchen Marke, finde ich. Es geht nicht ums Bewahren des Feuers, sondern um das Weitergeben der Flamme. Ein Klischee-Spruch, aber darum geht’s wirklich. Dass du da vorne stehst und das auch so verkörperst, dass du – nicht falsch verstehen – eine Gefolgschaft findest, die mit durchs Feuer gehen möchte und diesen nicht immer einfachen Prozess, mit all seiner Komplexität, auch bewältigen will.

MVB

Trotzdem werdet ihr wahrscheinlich irgendwann den Gang all dieser Unternehmen nehmen müssen und an die Börse gehen?

JD

Ich denke, das ist eine Möglichkeit. Ich würde aber auch eine Lanze dafür brechen wollen, dass nicht jede Idee ihre Wirkung entwickelt, weil sie auf Teufel komm raus skaliert. Das ist nicht das, was mich per­sönlich antreibt. Ich will, dass wir unser Potenzial ausschöpfen und dass wir unsere Energie dort investieren, wo sie den größten Hebel hat. Folglich sehe ich das eher kritisch, wenn man den klassischen Wachstums­paradigmen nachläuft. Das muss für mich nicht unbe­dingt sein. Es gibt eine strategische Überlegung, nach der wir tatsächlich eher schrumpfen. Was ist es denn, was wir gut können? Sind es die Produkte? Wahrscheinlich gibt es andere, die die zumindest günstiger machen ­können als wir. Wenn das bedeutet, dass wir uns auf unsere Kernkompetenz, die Marke und die gesellschaftliche Verantwortung, fokus­sieren, dann mag das be­deuten, dass wir schrumpfen, aber andere befähigen, mehr gesell­schaftliche Verantwortung zu übernehmen. Da gibt es also verschiedene Wege, die diese Geschichte da noch nehmen kann.

SS

Also personell schrumpfen, aber nicht im ­Impact.

MVB

Das wird dann schon die Kunst in der Zukunft sein, bei nach wie vor höchster Glaubwürdigkeit genau diesen Weg zu finden, bei dem die gesellschaftlichen Veränderungen nicht unter die Räder geraten.

JD

Genau das ist die Kunst. Und wenn der Dialog mit uns Investoren gesucht wird, werden wir unsere ­Meinung dazu sagen. Sebastian und ich, wir tauschen uns da schon aus. Wir stellen uns immer wieder die Frage, ob wir das Potenzial, das unstrittig da ist, optimal ausschöpfen.

MVB

share-Gründer von links: Tobias Reiner, Iris Braun, Sebastian Stricker, Ben Unterkofler

Ihr macht eben auch was völlig Neues. Für share gibt es keine Blaupause, ihr seid der Wegbereiter.

JD

Das ist für mich das Schöne. Es ist aber auch das, was vielen Leuten Angst einflößt. Man arbeitet an etwas sehr Innovativem, es gibt kein Playbook dafür. Keine Anleitung, wie man es macht. Wir machen mit share etwas, was es so noch nicht gab. Wir spüren, es kann sehr groß werden. Für mich geht’s eigentlich darum, eine Plattform zu bauen, die Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen ist. Es sind immer mehr Leute hier, für die ich ­Sparringspartner bin. Meine Kernkompetenz sehe ich nicht unbedingt darin, den Management-Zampano zu spielen, sondern Dinge zu organisieren und hoffentlich so viele interne wie externe Leute dazu zu befähigen, für dieses Ziel zu arbeiten, von dem ich glaube, dass es so sinnvoll ist: gesellschaftlicher Zusammenhalt. Und auch zu demonstrieren, dass die Wirtschaft dabei durchaus profi­tabel eine Rolle spielen kann.

SS

Ein fast perfektes Schlusswort: Sei dir deiner Kernkompetenzen bewusst und lass dich davon leiten. share ist die Marke, die Konsum mit Hilfe verbindet und damit eine gesellschaftliche Veränderung bewirken will. Das ist aktuell so weit weg von klassischen Businessmodellen, dass es noch Zeit brauchen wird, bis ein B2B-­Unternehmen auf diese Idee aufsetzen wird. Dennoch: Ich persönlich bin der Überzeugung, dass wir heute mit der Zukunft gesprochen haben. Alle Unternehmen werden von euch lernen, weil sie über kurz oder lang in irgend­einer Form ähnliche Wege gehen müssen. Die Veränderung, die aktuell stattfindet, macht ja an den Eingangstüren der Unternehmen nicht halt. Das Potenzial ist da, insbesondere in den zahlreichen Familienunternehmen, die bis heute darauf achten, dass sie für die ­Menschen da sind.
Herzlichen Dank für dieses inspirierende Gespräch. Ich wünsche euch weiterhin alles Gute. Ihr habt schon so viel erreicht mit der Marke, ich glaube, sie wird nicht aufzuhalten sein.

JD

Danke dir, für das Gespräch und für die guten Wünsche.

MVB
Autor
Jörg Dambacher

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