Johann Sebastian, Richard, Till … Gibt es so etwas wie deutsche Corporate Music?

Marke People Data & Tech Lifestyle
11.03.2024

Auf die Frage, welche deutsche Musik international für Furore gesorgt hat, würden die meisten wahrscheinlich spontan mit Klassikern wie Bach, Beethoven oder Wagner antworten. Nach kurzer Bedenkzeit würden dann möglicherweise Namen wie Kraftwerk, die Scorpions oder – ja – auch Rammstein fallen. Und diejenigen, die in diesem Zusammenhang akustische Blendgranaten wie Modern Talking oder Tokio Hotel nennen, würden wir einfach ignorieren. Aktuelle, international erfolgreiche Musik aus Deutschland? Ähm, tja ... eben! Okay, die Riege der von Kraftwerk beeinflussten Elektroniker von Sven Väth bis Robin Schulz vielleicht noch, aber so ganz taufrisch sind die mittlerweile auch nicht mehr.

Allen voran: die Beatles

Viele Länder sind da ganz anders durchgestartet. Ganz weit vorn: die USA. Aus dem Blues der aus Afrika verschleppten Sklaven haben sich Musikstile entwickelt, die ganze Generati- onen beeinflusst haben: Jazz, Soul, Rock ’n’ Roll. Und Weltstars wie Aretha Franklin, Sinatra, Elvis, Bob Dylan, Stevie Wonder, Michael Jackson oder Prince hervorgebracht. Dicht gefolgt von England. Dort hat man das Erfolgsrezept aus den USA übernommen und britisch interpretiert. Allen voran: die Beatles. Dann die Stones, The Who, Deep Purple, Led Zeppelin, Pink Floyd, David Bowie, Elton John, Eric Clapton, Adele ... irgendwann geht einem bei der Aufzählung britischer Top-Stars die Puste respektive die Tinte aus ...

 

Phänomene wie Volksmusik, Schlager, NDW ...

Im selben Zeitraum hat Deutschland musikalische Phänomene wie Volksmusik („Herzilein“), Schlager („Ein bisschen Frieden“) und NDW („Blaue Augen“) geboren. Oder singende Abiturient*innen wie Max Giesinger, Cro und Co. Zugegeben allesamt erfolgreich. Aber eben nur Propheten im eigenen Land.
Wie konnte das passieren? In erster Linie ist das mit Sicherheit der Sprache geschuldet. Die Welt versteht Englisch nun mal besser als Deutsch. Und deshalb hatten es Musiker aus den Staaten und von der Insel einfacher, international zu reüssieren. Andererseits Wagner. Und Rammstein. Da wird in Deutsch gesungen. Okay, für viele Geschmäcker auch zu deutsch. Erwiesenermaßen war Richard Wagner Antisemit. Weshalb die Nazis im Dritten Reich ihn hypten, wie man heute sagen würde. Und Rammstein? Von frau- enfeindlich über pädophil bis gewaltverherrlichend kommen einem beim Sondieren der Songtexte einige Adjektive in den Sinn, die politischer Correctness gewaltig zuwiderlaufen.

 

Der Töne gewordene „hässliche Deutsche“

Aber der Töne gewordene „hässliche Deutsche“ scheint in vielen Ländern nach wie
vor eine große Anziehungskraft auszuüben. Die Frage ist nur, warum? Weil man die Sprache nicht versteht. Oder, ganz im Gegenteil, weil man das Gesungene gut findet. Rammstein spielten im Vorprogramm von internationalen Supergroups wie Kiss oder AC/DC. Ihre Konzerte waren und sind auf der ganzen Welt sofort ausverkauft. Und zu den Bayreuther Wagnerfestspielen strömen nach wie vor Promis, Kulturschaffende und Politiker jeglicher Couleur, um die musikalische Interpretation alter deutscher Helden- sagen in sich aufzusaugen. („Der Ring war mir dieses Jahr etwas zu exaltiert inszeniert, finden Sie nicht auch, meine Teure?“)

 

Deutschlandlied reloaded

Musik, die Deutschland in der Welt repräsentiert, ist wie es scheint, ein weites Feld.
Und eins, das schwer zu beackern ist. Das zeigt auch die Geschichte des deutschesten aller deutschen Musikstücke: des Deutschlandlieds von Hoffmann von Fallersleben. Es wurde 1922 von Reichspräsident Friedrich Ebert mit allen drei Strophen zur National- hymne erklärt. Von den Nazis zu Propagandazwecken ausgeschlachtet („Deutschland, Deutschland über alles ...“) wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg von Westdeutschland unter Weglassen der beiden ersten – politisch unkorrekten – Strophen („Von der Maas bis an die Memel ...“) reanimiert. Übrig geblieben ist dies:

Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!

 

Es gibt Länder, in de- nen die Empathie eher zu Hause ist

Demnach wären die deutschen Core Values also folgende: Recht, Frei- heit, Brüderlichkeit, Empathie (Herz) und Tatkraft (Hand). Recht? Ja. Im Vergleich zu vielen anderen Staaten ist Deutschland ein Rechtsstaat. Freiheit? Auch das. Jeder darf hier ein Leben nach seiner Façon leben und seine Meinung – innerhalb der Leitplanken des Grundgesetzes –
frei äußern. Brüderlichkeit? Na ja. Ein Blick in den aktuellen Bundestag spricht da Bände. Herz? Es gibt sicher Länder, in denen die Empathie mehr zu Hause ist als in Deutschland („Isch habe gar keine Auto, Signorina“). Hand? Bis vor nicht allzu langer Zeit hätte man uneingeschränkt mit „ja“ antworten können. Inzwischen ist es mit der deutschen Tatkraft aber etwas den Bach runtergegangen – von der Autoindustrie über den Klimaschutz bis zum Fußball (s. weitere Artikel in diesem B2B Magazin).

 

„Lass uns nochmal aufdrehn“

Zurück zur Musik und der Frage, ob das deutsche Volk seine Hymne liebt – so wie die Italiener, die Franzosen oder die Spanier ihre Hymne lieben ... Geht so. In meiner Adoleszenzphase in den 1970er-Jahren war die Hymne verpönt. Bei öffentlichen Gelöbnissen der Bundeswehr wurde sie von Pfeifkonzerten übertönt. Nationalspieler verweigerten das Absingen. Und nach der Weihnachtsansprache des Kanzlers oder Präsidenten schalteten wir die Glotze aus, bevor die Hymne gespielt wurde. Ein Hit ist sie bis heute nicht.
Fazit: Auch in der Musik hat Deutschland weltweit an Bedeutung verloren. Die Genies von einst haben bisher keine Nachfolger gefunden. Ein Bach oder Beethoven des 21. Jahrhunderts muss erst noch geboren werden. Richten wir uns einstweilen auf an einer Textzeile aus einem der 2023 meistverkauften deutschsprachigen Hits namens „Komet“, gesungen von den Herren Apache 207 und Udo Lindenberg:

„Lass uns nochmal aufdrehn
Da-dei-da
Lass uns nochmal aufdrehn, yeah“

Autor
EKKEHARD HAUG
Search form

Advanced search