KI ist gekommen, um zu bleiben. Ein Gespräch mit Larissa Pohl und Nina Haller

Marke People Data & Tech Lifestyle
31.07.2023

Ein Gespräch mit Larissa Pohl und Nina Haller

Die eine ist WPP Open X Europe Lead für Coca-Cola und GWA-Präsidentin, die andere ist Geschäftsführerin bei Media.Monks und Vorstandsmitglied im GWA mit dem Ressort Technologie. Beide zusammen sind die besten Gesprächspartnerinnen, die man sich wünschen kann, um gemeinsam in die Agenturzukunft zu blicken.

Larissa Pohl

steht als erfahrene Strategin seit Anfang 2022 an der Spitze von Open X in Europa und verantwortet das Geschäft von WPP mit dem Großkunden Coca-Cola in 40 Märkten. Ihre berufliche Laufbahn startete die heute 52-Jährige 1996 bei der Agentur WOB. 2007 wechselte sie zu Ogilvy und stieg dort zur Strategiechefin auf. Es folgten drei Jahre im Vorstand von Jung von Matt, dann ging Pohl zu Wunderman Thompson und wurde dort erst CSO, dann CEO. Seit 2021 ist sie auch Präsidentin des Agenturverbands GWA.

Wie, wofür und warum arbeitet ihr mit KI-Tools und was sind eure Eindrücke und Erfahrungen damit?

JD

Ich benutze es täglich, weil ich einen unglaublichen Mehrwert darin sehe. Ich optimiere Texte, ich benutze es – völlig irre – auch schon als eine Art Kommunikationspartner. Wobei ich nicht vergesse, dass es Künstliche Intelligenz ist. Für mich bedeutet es auch eine neue Art des Suchens. Wer bisher schon versiert mit Suchmaschinen umgehen konnte, dem wird es jetzt ganz intuitiv leichtfallen, zu prompten, behaupte ich jetzt mal. Gleiches gilt für Bildgenerierung. KI spart mir einfach Zeit. Anstatt aufwändig in Stocks zu suchen, kann ich Bilder jetzt nach meinen spezifischen Ansprüchen generieren. Mir ist bewusst – und das ist die Challenge, die wir momentan alle haben –, dass man aufpassen sollte, wie und wofür man KI benutzt. Um nicht in die KI-Falle zu tappen. Sie kann eigentlich nur logisch schlussfolgern und ist nicht wirklich intelligent. Den Begriff Intelligenz empfinde ich persönlich immer noch als missleading. Wir befinden uns aber gerade mitten im Stadium dieser digitalen Besoffenheit. Wir sind einfach total euphorisch und sagen „wow“ zu dem, was sie alles kann. Für mich ist vollkommen klar: Es ist der größte und schnellste Paradigmenwechsel in der Geschichte der Technologie. Ich mache das jetzt auch schon 25 Jahre und so etwas hab ich noch nie gesehen. Und deswegen müssen wir aufhören, dieser digitalen Besoffenheit zu frönen, und uns den wirklichen Herausforderungen stellen, den Challenges neben all diesem glitzernden Hype. Das ist für mich ganz wichtig. KI bleibt und es gibt kein Zurück mehr.

NH

Wenn du sagst, Texte zu optimieren, heißt das, du schreibst Texte und die KI glättet, oder lässt du die KI entwerfen und du machst deinen Text daraus?

JD

Beides, je nachdem, was gerade die Herausforderung ist. Wenn ich zum Beispiel sehr wenig Zeit habe, um zum Skript zu kommen. Diese Zeit, die man früher investiert hat, die kann man so dermaßen reduzieren … es gibt einfach beide Wege für mich. Letztes Jahr habe ich sie zum Beispiel für die Absatzwirtschaft einen Artikel schreiben lassen, komplett. Weil ich im Urlaub war und trotzdem abgeben musste. Ich habe das mit der Redaktion besprochen, ob das okay ist, und nicht ein Wort davon verändert. Wir haben natürlich druntergeschrieben, dass KI den Text verfasst hat. Das war schon letztes Jahr im Juli, also in der Zeit ist ja auch schon wieder ganz viel passiert.

NH

Larissa, jetzt du. Deine Erfahrungen, wie setzt du KI ein, wie sind deine Berührungspunkte?

JD

Ich muss zugeben, ich bin nicht so versiert im Umgang wie Nina. Ich experimentiere privat so ein bisschen vor mich hin, wage mich langsam ran und nutze ChatGPT und Midjourney immer mal wieder. Ich schaue mich einfach viel um, was die Leute so machen, und finde es spannend, was es bereits alles gibt. In professioneller Hinsicht arbeiten wir mit dem GWA daran, unter der Federführung von Nina, eine Haltung des Verbands, eine Haltung der Agenturen aufzusetzen. Und bei WPP haben wir natürlich eine intensive Diskussion über den Einsatz von KI. Ich betreue meine Kunden europaweit über alle Gewerke hinweg. Wir reden über 40 Märkte, über Transcreation, Adaptionen, Übersetzungen. Da liegt die Nutzung von KI natürlich auf der Hand. Vielleicht fällt das auch unter Automatisierung, aber es hat natürlich ganz, ganz viel mit KI zu tun. Wäre vielleicht mal ganz interessant, den Unterschied zwischen Automatisierung und KI klarzumachen. Aktuell finde ich es aus GWA-Sicht besonders spannend. Wenn man sich anguckt, wie viel darüber diskutiert wird, welche teils haarsträubenden Meinungen in der Presse kundgetan werden … ich gebe Nina zu hundert Prozent recht: KI ist gekommen, um zu bleiben. Das Internet hat dafür, glaube ich, vier Jahre gebraucht, KI hat das in weniger als einem Monat geschafft. Also das wird uns begleiten und es wird unsere Branche massiv verändern. Und ich finde, nicht unbedingt nur im Negativen, sondern durchaus auch im Positiven.

LP

Da würde ich gerne einhaken: Gibt es Agenturen, die bereits eine Policy haben für den Umgang mit KI?

JD

Ja, wir bei Media.Monks haben das. Ich hab mir auch die Mühe gemacht, andere Guidelines anzuschauen. Also auch durch die Brille des GWA. Die unterscheiden sich aktuell extrem. Es gibt nicht die eine Policy, den einen richtigen Weg. Konkretes Beispiel: Eine Policy sagt, man soll auf keinen Fall die eigene E-Mail-Adresse verwenden. Und die nächste sagt genau das Gegenteil. Da siehst du, dass das noch nicht abgestimmt ist, dass es aber nötig wäre, eine Haltung zu entwickeln. Was gänzlich fehlt, ist das Thema Ethik. Die Richtlinien regeln die technische Nutzbarkeit und noch nicht Ethik und Moral.

NH

Nina Haller

ist eine enthusiastische digitale Strategin mit einem klaren Kundenfokus und einer großen Leidenschaft für Marke, Technologie und digitale Trends. Neue Technologien auszuprobieren und von talentierten Menschen umgeben zu sein, begeistert sie seit über 20 Jahren. Ihre vielen Jahre an Erfahrung in allen Bereichen des Online- und Offline-Marketings machen sie nicht müde, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Sie liebt es, jeden Tag aufs Neue flexibel, motiviert und kreativ zu sein. Seit 2021 ist sie Geschäftsführerin von Media.Monks und leitet als Vorständin des GWA das Ressort Technologie. In ihren Stationen zuvor war sie unter anderem bei Accenture Interactive und WPP für internationale Kunden und Unternehmen tätig.

Wie ist das bei WPP?

JD

Wir haben auch Richtlinien. Wir bieten aber vor allem unsere Academy mit Schulungen und Trainings, also entweder von WPP oder den unterschiedlichen Agenturen. In den Agenturen ist das einfach das große Thema. Und, nicht zu vergessen, auch super relevant bei allen Kunden. Die wollen wissen, wie wir KI nutzen und wie sie davon profitieren. Wird jetzt nicht alles billiger für uns? Und, und, und … Also wir haben sehr viele Kundenanfragen. Die Unternehmen sind nicht abhängig von uns Agenturen bei diesem Thema. Trotzdem haben wir als Agenturen den Anspruch, ganz vorne zu sein, wenn es um Innovationen geht. Da entsteht gerade ein ganz interessantes Spannungsverhältnis. Weil eben alle voll reingehen und sich weiterbilden und es für uns Agenturen auch interessant zu sehen ist, wer sich besser auskennt, wo die wirklichen Spezialisten für KI sein werden. Und welche Berufsbilder jetzt entstehen.

LP

intensiv auseinandersetzen. Wir reden ja auch von Regulierung, die wahrscheinlich von der Politik getrieben werden muss. Die Acts werden einfach kommen, das steht ja alles vor der Haustür, also Digital Services Act, Digital Markets Act, Data Governance Act. Und dementsprechend halt auch das Thema AI Act. Also mein Hinweis einfach an jede Agentur, an jedes Unternehmen ist, sich damit rechtzeitig und intensiv auseinanderzusetzen. Denn am Ende geht es um Geld.

NH

Liegt diese ethische Seite überhaupt in unserer Hand? Du hast zwar von digitaler Besoffenheit gesprochen, aber ich meine festzustellen, dass sich vermehrt kritische Stimmen melden, die fürchten, dass alles bereits ausser Kontrolle geraten ist. Ich denke an den Brandbrief von Elon Musk, der an Open AI beteiligt ist und seine eigene Firma ein halbes Jahr stilllegen will. Oder den Ex-Google-Entwickler, der sagt, dass wir sofort dringend stoppen müssen. Da wird es doch Unternehmen und Länder geben, denen das komplett egal ist?

JD

Also das eine ist Regulierung, das andere ist Ethik. Und jetzt muss man natürlich aufpassen, dass wir uns nicht überregulieren. Wir tendieren ja dazu in Europa und besonders in Deutschland. Die Diskussion um KI und Ethik finde ich ganz wichtig, ich persönlich habe eine klare Meinung dazu. Für mich muss Technologie, speziell KI, den Menschen dienen, egal wie. Und daraus entsteht für die Technologie für meine Begriffe schon so eine grundsätzliche ethisch-moralische Verpflichtung. Das bedeutet aber auch, dass das in vielen Layern drunter diskutiert werden muss. Der AI Act geht als Regulierungsinstrument schon in die richtige Richtung, reicht aber noch nicht.
Diese ethische Auseinandersetzung muss einfach geführt werden. Ich appelliere da trotz digitaler Besoffenheit an alle, an unseren gesunden Menschenverstand. Social war und ist ja auch so ein Thema. Unsere Kinder und der Umgang mit Social, das beschäftigt uns doch sehr. Und wir haben gerade etwas wie das große Erwachen. Viele stellen fest, dass das gar nicht so sozial ist, auch wenn es Social Media heißt. Und wir müssen anfangen, uns damit auseinanderzusetzen und zu überlegen, was das für uns als Menschen bedeutet. Wir müssen das ganz schnell und ganz dringend tun. Dieses Learning mit Social bestärkt mich im Glauben an uns selbst. Ich bin ein positiver und optimistisch-utopisch denkender Mensch. Ich glaube, dass wir was gelernt haben aus der Vergangenheit, was wir jetzt auf das Thema KI anwenden sollten.

NH

Den Menschen dienen. Ich habe neulich eine Talkrunde bei Markus Lanz gesehen, in der es um die Glaubwürdigkeit des Journalismus in Zeiten von KI ging. Eigentlich können wir uns doch von der Echtheit von Bildern, vom Fotobeweis verabschieden, oder?

JD

Ja, hundert Prozent. Fotos, Sprache, Stimmen werden alle nicht mehr das sein, was sie vorher waren. Es gibt ja jetzt erste Videos, wo ein Promi oder ein Politiker irgendetwas sagt, was er in Wahrheit nie gesagt hat. Also ich muss zugeben, da wird mir ein wenig anders. Alles, was wir früher in Science-Fiction-Filmen gesehen haben, geht jetzt einfach. Problematisch finde ich, dass die Kräfte unterschiedlich schnell agieren. Die Legislative ist einfach viel zu langsam, um auf das zu reagieren, was gerade passiert. Sprich: Wir haben jetzt erst mal so ein Hippie-Gebiet, in dem jeder macht, was er will. Freiwillige Selbstkontrolle hin oder her, entscheidend sind die Interessenslagen dahinter. Und es ist bestimmt ganz wenig böser Wille, sondern Experimentierfreudigkeit, die das gerade antreibt. Das kann zwar auch schon Schaden anrichten, aber eben nicht so wie irgendwelche bösen Mächte. Ich glaube an das Gute im Menschen und dass aktuell viel gemacht wird, weil es einfach geht.

LP

Wobei sich zum Beispiel ChatGPT doch sehr stark innerhalb der Grenzen der Political Correctness bewegt. Kann man dann damit überhaupt Schaden anrichten?

JD

Ja, es gibt diese Exklusionen, also Namen, die rausgenommen wurden, Nordkorea und so. Aber dann entstehen ja auch Gegenbewegungen, die versuchen, das zu umgehen. ChatGPT ist außerdem nur ein Tool von vielen, es wird andere Tools geben, die diese Einschränkungen dann nicht haben. Ich hoffe, jetzt komme ich wieder zum Positiven, auf einen psychologischen Effekt wegen der Dinge, die uns mit Social und dem Web passiert sind. Ich hoffe, dass wir alles in Frage stellen. Also glaube ich wirklich an dieses Bild vom Papst in den lustigen Klamotten oder eben nicht? Ich hoffe, dass wir viel mehr hinterfragen auf Grund dieser Erfahrungen, und ich hoffe – ich weiß, es ist sehr viel Hoffnung – auf die Regulatorik. Wir selbst können eigentlich nur hinweisen, aufklären und darauf hoffen, dass die Hersteller dieser Tools sich selbst regulieren oder reguliert werden.

NH

Wer sollte das denn tun? Wir brauchen doch dann so etwas wie eine einige Welt. Und das funktioniert ja beim Klima auch nicht.

JD

Guter Punkt, aber genau da müssen wir hin. Wir sollten uns da schon einig werden auf diesem Planeten, weil ansonsten großes Potenzial darin steckt, ihn bald nicht mehr zu haben.

NH

Okay, also gehen wir mal davon aus, die Entwicklung läuft jetzt so weiter und wir kriegen das hin. Mich interessiert eure Einschätzung, wie sich das ganz konkret auf unsere Branche, auf Berufe in Werbeagenturen auswirkt. Wofür werden in Zukunft in Agenturen noch Menschen benötigt?

JD

Wir müssen uns ganz klar bewusst sein, dass es manche Berufe in Zukunft nicht mehr geben wird. Wir haben das ja schon mal erlebt bei Satz, Reinzeichnung, Druck. Da sind Berufe ausgestorben, aber auf Grund neuer, veränderter Aufgaben sind auch neue Berufe entstanden. Und ich glaube, dass das jetzt auch passieren wird. Wenn man das Beispiel Text oder Art nimmt: Es wird ganz viele Projekte und Produkte nicht mehr geben, die diese Menschen bisher bearbeiten. Also zum Beispiel die Durcharbeitung einer umfangreichen Broschüre oder so. Aber es wird Texter und Texterinnen, es wird Gestalter:innen in Zukunft geben, nur für andere Aufgaben. Es werden neue Berufsbilder entstehen, so wie zum Beispiel das Prompten, das muss man ja auch können, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Wir haben bereits erste Bewerbungen für diesen Beruf. Ich glaube also, dass sich Berufsbilder und Projekte überholen werden. Es werden neue Aufgaben auf uns zukommen, die neue Qualifikationen benötigen.

LP

Das sehe ich ähnlich. Ich wünsche mir aber, dass man insgesamt offener und proaktiver damit umgeht. Also, dass man in den Agenturen Aufgaben, Anforderungen und Rollenbeschreibungen aktiv neu gestaltet, um entsprechend vorbereitet zu sein. Ich rede in diesem Zusammenhang ganz gerne von einem Content-Tsunami, der auf uns zurollen wird, gerade in unserer Branche. Der Anstieg des „Amateur-Contents“ wird sich massiv auswirken. Kunden werden sich natürlich fragen: Hey, wenn das jetzt jeder kann …? TikTok testet gerade ein Videotool, mit dem mein elfjähriger Sohn unglaublich wertige Videos erstellen könnte, wenn er denn Zugang zu TikTok hätte (lacht). Was ich sagen will: Diese Tools sind so leistungsfähig, dass wir zwangsläufig eine Demokratisierung der Produktion von Inhalten bekommen werden. Und das wird der normale Mensch irgendwann gar nicht mehr auseinanderhalten können, ob das ein Profi mit jahrelanger Erfahrung oder ein experimentierfreudiger Amateur erstellt hat. Vielleicht liegt darin ja aber auch eine Lösung für den Fachkräftemangel. Dass wir mehr Quereinsteiger für neue Aufgaben und Projekte bekommen könnten. Also ich sehe das durchaus positiv.
Womit wir allerdings zu kämpfen haben werden, ist diese Informationsflut, die auf uns alle zukommt. Ich meine, jeder kann jetzt ein Buch schreiben. Amazon wird gerade geflutet mit KI-erstellten Büchern. Wie kann man unterscheiden, ob das gut ist oder schlecht? Oder auf Journalismus bezogen: wahr oder unwahr? Welche Auswirkungen, auch wirtschaftlicher Art, das auf uns haben wird, wird uns wahrscheinlich erst bewusst werden, wenn wir damit einige Jahre gelebt haben. Uns wird also nichts anderes übrig bleiben, als uns ganz offen damit zu beschäftigen, gerade auch als Branche.

NH

Nochmal zu den Promptern. Mir wurde erzählt, dass der Beruf des Prompters eine kurzfristige Erscheinung sein wird. Weil derartige Technologien, wie du gesagt hast, Nina, nicht nur den Menschen dienen, sondern auch allen Menschen zugänglich sein sollen. Bedeutet: Spezialisten werden über kurz oder lang nicht mehr gefragt sein.

JD

Ja, das sehe ich genauso.

NH

Aktuell zeichnet sich wohl schon ab, dass es vor allem den eher handwerklichen Jobs in unserer Branche an den Kragen gehen wird, also Design, Illustration, Text, Fotografie …

JD

Ja, das kann ich mir vorstellen.

LP

Die Frage ist, was braucht die KI noch als Basis? Ich habe zum Beispiel meinem Sohn gesagt: „Wenn du in Zukunft einen coolen Beruf haben möchtest, dann mach Programmierer.“ Das war vor einem halben oder vor einem Jahr. Jetzt würde ich sagen: „Um Gottes willen, mach das nicht.“ Aber trotzdem muss man die Grundlagen dessen ja verstanden haben. Ich kann der KI auch nur das mitgeben, was ich selbst verstanden habe. Sie verarbeitet ja auch nur, womit sie gefüttert wird. Und sie ist, anders, als der Name sagt, meines Erachtens eben noch nicht intelligent, so dass sie Kontext und Kausalität verstünde. Ich befasse mich in meinem Job schon immer mit Technologien: CRM, Systeme, Analytics, Datenprozessierung und solche Geschichten … Und ich habe irgendwann ChatGPT gefragt, ob sie meinen Job machen kann. Anfangs dachte ich, krass, ja, das kann sie. Aber dann, wenn du dir die Antworten näher anschaust, merkst du eben doch: Sie kann es nicht. Vielleicht lernt sie das noch, sie wird ja von mir ständig gefüttert, ich mache sie ja auch schlauer, aber sie kann es meiner Meinung nach nicht challengen. Sie kann es nicht umsetzen in eine Strategie eines Unternehmens. Und da braucht es meiner Meinung nach auf jeden Fall die Menschen. Gerade diese gegenseitigen Einflüsse verschiedener Systeme aufeinander, das kriegt sie überhaupt noch nicht hin. Ich sage immer „sie“, das ist ja irgendwie auch komisch.

NH

Larissa, das wäre doch eine gute Nachricht. Mit Mario Pricken war ich mir einig: Planning wird es erst mal nicht erwischen.

JD

Siehst du, zukunftssicher geplant (lacht).

LP

Na ja, genau aus den Gründen, die Nina eben genannt hat. Es wird wohl immer noch jemanden brauchen, der eine Marke in ihrem Wesen versteht, der orchestrieren und im Rahmen einer Strategie inszenieren kann.

JD

Ja, du kannst ChatGPT nicht sagen: „Finde mir den entscheidenden Insight zum Kaffeekonsum in Nordamerika.“ Sie wird damit wahrscheinlich überfordert sein. Sie wird irgendwas finden, aber diese Intelligenz, diese Kombinationsgabe, das glaube ich auch, dass das vom Menschen kommen muss. Alles dann auszuformulieren und die Präsentationen zu schreiben, das ist wieder eine andere Sache. Aber die Intelligenz reinzugeben und eine Positionierung zu finden, das wird hoffentlich bei uns Menschen bleiben.
Und ich glaube auch, dass das Thema Beratung uns erhalten bleiben wird. Klar gibt es viele Programme, die Kommunikation und Arbeit zwischen Kunden und Agenturen einfacher machen. Man sieht das ja bei Teams, wie viel Erleichterung das fürs Projektmanagement gebracht hat. Aber es wird die Beratung noch geben, es wird immer noch die Menschen geben, die mit anderen Menschen arbeiten. Wenn auch nicht mehr in allen Bereichen.

LP

Ein Thema würde ich gerne noch ansprechen, weil da so ein paar Leuchten bei mir zu blinken angefangen haben. Larissa, die Diskussionen und Erwartungen der Kunden: Übernehmen Kunden künftig mehr selbst? Holen sie uns die Spezialisten aus den Agenturen? Kommen jetzt die grossen Kostendiskussionen? Was meint ihr?

JD

Im Moment herrscht eine richtige Goldgräberstimmung, fast schon ein Goldrausch. Das betrifft wirklich alle Unternehmen. Weil KI uns Menschen so massiv beschäftigt, beschäftigt es eben auch alle Industrien. Der erste Reflex ist natürlich klar: Dann wird jetzt alles billiger. Wenn irgendeine Technik was macht, was Menschen nicht mehr machen müssen, kommt das immer. Aber: Wir haben im Moment noch eine ziemlich heftige rechtliche Hürde in dem ganzen Thema. Also Rechteverwertung, woher kommen die Informationen und wie wird mit ihnen umgegangen? So, wie ich es verstanden habe, nutzt ChatGPT die Informationen, die ich eingebe, und gibt sie ja auch an andere weiter. Das bedeutet, dass ich bei der Entwicklung neuer Produkte oder generell bei Innovationen eigentlich meine Hoheit, meinen Wissensvorsprung verliere. Das sind ja alles Informationen, die ich für mich behalten möchte. Aber ja, wahrscheinlich wird alles das kommen, was du gefragt hast. Ich meine, wir sprechen von KI und Automatisierung. Und da liegt einfach vieles auf der Hand.
Aber wir sehen auch, wie langsam sich die Welt hier im Gegensatz zur KI bewegt. Bis große Unternehmungen, weltweit agierende Konzerne, so ein Thema wie KI in einem SOX- oder Compliance-relevanten Rahmen für sich umgesetzt haben, dauert das einfach. Viele Konzerne sind komplex organisiert, verflochten, die brauchen Sicherheitsmechanismen, um zum Beispiel Texte rauszugeben, die in Afrika, in Europa, in Amerika richtig verstanden werden. Die brauchen Governance, dringend. Deshalb glaube ich, dass das für die Unternehmen nicht so einfach werden wird. Das wird noch eine Weile dauern, bis die Industrie alles selbst machen wird. Wenn ich mir überlege, wie lange die Abstimmung eines Social-Media-Posts bei einem global agierenden Konzern dauern kann, da macht KI-generierter Content dann auch keinen Unterschied mehr. Insofern glaube ich: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

LP

Also ich glaube, dass die KI beziehungsweise der aktuelle Hype um diese KI-Tools die Spitze vom Eisberg ist. Wir reden in Wahrheit ja nicht erst seit einem halben Jahr über diese generativen Tools. In Wirklichkeit gibt es traditionelle KI schon lange und die Herausforderungen sind ja auch schon lange da. Nur sind sie im Moment größer, sichtbarer. Einen Punkt finde ich wichtig: KI lebt von Daten. Die Datenmenge, die ich erheben kann, wird eigentlich immer geringer. Der Kunde selber sitzt auf einem Schatz: CRM-Daten, First-Party-Data. Am Ende funktioniert es nur, wenn ich diese Daten nutzbar machen, wenn ich damit irgendwas trainieren kann. Also ein Modell, eine KI oder was auch immer. Die Unternehmen sind da aber noch gar nicht angekommen. Die Data-Foundation existiert nicht, sie haben nicht den Reifegrad, um daraus funktionierende Systeme oder Modelle zu bauen.
Und B2B hat ja noch weniger Daten zur Verfügung. Also heißt die Herausforderung auch da: relevante Größen an Daten für Automatisierung und KI nutzbar zu machen. Trotzdem glaube ich, dass speziell für B2B große, große Potenziale in der KI schlummern. Weil der Beschaffungsprozess komplizierter ist als anderswo. Wenn große Unternehmen sich zum Beispiel entscheiden, CRM-Tools einzusetzen … der Weg dahin ist doch da schon eine komplexe Sache. Wir reden von, ich glaube, ungefähr sieben Entscheidern, die in irgendeiner Form involviert und abgeholt werden müssen. Und da kann KI oder Automatisierung einen unfassbaren Mehrwert für den Erfolg eines solchen Prozesses bieten.
Der Mittelstand verhält sich anders. Er kann unglaublich davon profitieren, weil er selbst neue Dinge kann, also zum Beispiel KI-unterstütztes CRM einführen. Es wird einfacher, schneller, machbarer und da macht es Sinn, andere Menschen mit anderen Qualifikationen einzustellen, weil man neue Themen nach drinnen holt. Im großen Kundenkontext bin ich aber überzeugt, dass dieser Reifegrad entscheidend ist. Ich glaube, dass kein Unternehmen dieser Welt es sich leisten kann und wird, all diese Intelligenz, von der es umgeben ist, nach drinnen zu holen. Ich glaube an eine Mischung. An individuelle Agenturmodelle für alle Kunden, die ja davon leben, dass Innovation regelmäßig von außen reingetragen wird. Das alles alleine inhouse zu bauen, diese Inspiration, dieses Befruchten, das wird auch KI nicht schaffen.

NH

Das mit der Datenbasis und dem Reifegrad empfinde ich gerade für B2B als wirklich relevant.

JD

Das ist ja nichts Neues: Im Marketing nutzen wir ja schon lange Machine Learning, zum Beispiel Marketing Mix Modeling oder Next Best Offer Engines. Fast schon ein alter Hut. Und trotzdem haben wir unsere Hausaufgaben bis heute nicht geschafft, Punkt. Ich weise immer gerne auf den systemischen Bruch hin, gerade im B2B. Also du hast CRM, Lead-Nurturing und alles funktioniert super, wirklich top. Aber der Upper Funnel und die Verbindung zwischen Marketingaktivitäten, Onside-Daten, CRM-Daten und Vertrieb, dieser systemische Bruch ist eben gegeben und bisher kaum gelöst. Bevor wir also überhaupt Ende zu Ende automatisieren oder hier Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt, müssen wir erst mal das lösen. Und dafür braucht man uns noch, da bin ich fest überzeugt.

NH

Was für ein wunderbares Schlusswort. Liebe Larissa, liebe Nina, vielen Dank für eure Zeit und für das spannende Gespräch.

JD
Autor
Jörg Dambacher

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