Customer Experience: Von der Lust für jemand anderen was von Herzen zu machen

Marke People Data & Tech Lifestyle
19.05.2021

Die Four Seasons Hotels stehen weltweit für ein außergewöhnliches Hotelerlebnis, das weit über ein bloßes Luxus-Versprechen hinausgeht. Wir unterhalten uns mit Silke Maulick, Director of Housekeeping im Four Seasons Hotel George V in Paris, wie man das macht: Tag für Tag Gästen das Außergewöhnliche zu bieten. Wie wir erfahren haben, hat das meistens sehr viel mit einzelnen Menschen zu tun. Und am Ende des Tages wohl auch ganz besonders viel mit ihr.

Silke Maulick

Silke Maulick Inspiriert durch ihre Großeltern, die begeisterte Gastronomen waren, ist Silke Maulick seit Jahren in der internationalen Luxus-Hotellerie tätig. Mit Menschen für Menschen zu arbeiten war ihr Wunsch, bei Four Seasons hat sie ideale Voraussetzungen gefunden, ihre Lebensphilosophie umzusetzen. Seit zwölf Jahren ist sie Director of Housekeeping im Four Seasons Hotel George V in Paris.

PEOPLE ARE OUR BIGGEST ASSET.

In der Beschäftigung mit Four Seasons ist uns eins aufgefallen: Die Four Seasons Hotels gibt es erst seit 1960, das fanden wir überraschend. Gefühlt scheinen die Four Seasons Hotels einer viel älteren Hotel-Tradition zu entstammen. Können Sie uns was zur Entstehungsgeschichte erzählen?

KH

Unser Gründer war Isadore Sharp, der, 1931 in Toronto geboren, schon immer davon geträumt hatte, ein Hotel zu führen. Als Kind war er in den 40er-Jahren in Hamburg mit seinen Eltern im Hotel Vier Jahreszeiten. Dort hat er eine Hotelerfahrung gemacht, die er nie mehr vergessen hat. Dieser Hamburg-Aufenthalt war somit der Beginn seiner Hotellerie-Leidenschaft und die Inspiration für alles Zukünftige. Aufgrund dieser Reise hat er übrigens auch sein Unternehmen Four Seasons genannt.

SM

Inwiefern macht seine Gründer-Persönlichkeit heute noch den Unterschied?

KH

Ohne ihn gäbe es die Marke Four Seasons so nicht. Er ist verantwortlich für das, wofür Four Seasons heute weltweit steht. So bekommt jeder Mitarbeiter bei der Einstellung das Buch „Business Philosophy“, in dem Isadore Sharp beschreibt, warum er die Dinge so macht, wie er sie macht, was ihn motiviert und wofür er seine Leidenschaft damals in Hamburg entdeckt hat. Das ist sozusagen die Gründungsstory, der Spirit hinter allem. 1960 sagte er schon „People are our biggest asset“, was heute dem „Customer first/Customer Experience“-Gedanken entspricht.
Es ist übrigens großartig, wenn jemand seine Motivation so beschreiben und definieren kann. So vorzugehen, sollte für jeden Unternehmer Teil des Businessplans sein, bevor er anfängt. Wie sonst soll ein Unterschied zu anderen Unternehmen entstehen?

SM

Damit wären wir ja beim Warum, einer Frage, die jedes Unternehmen für sich grundsätzlich beantworten sollte. Die Daseinsberechtigung, die man jedem Mitarbeiter auf den Weg geben sollte.

KH

Absolut. Es muss in der Geschäftsführung ein Grundverständnis genau darüber geben und das muss auch den Mitarbeitern vermittelt werden. Das Schwierige daran ist, dass man nie weiß, wie die Mitarbeiter darauf reagieren.

Als Hotel besteht Ihre Dienstleistung ja explizit aus einer besonderen Luxus-Erfahrung. Das ist Ihr Produkt. Der ganze Aufenthalt bei Ihnen ist ja eine einzige lange Experience mit unzähligen Touchpoints. Wie schaffen Sie es, da eine durchgängig außergewöhnliche Erfahrung für den Gast garantieren zu können?

KH

Oftmals sind es die Mitarbeiter an der Basis, die den Unterschied machen. Die Zimmerfrau, der Kleinigkeiten auffallen, wie eine leere Zahnpasta, die sie dann auffüllt, oder schön zusammengelegte Kleidung oder das Schreiben einer kleinen, netten Karte für den Gast. Das kann nicht der Hoteldirektor machen, sondern muss vom einzelnen Mitarbeiter kommen, weil er das selbst will.

SM

Das erfordert ja eine sehr hohe eigene Motivation der Mitarbeiter. Wie bekommen Sie das hin?

KH

Es ist bei uns ein großes Thema, alle unsere 500 Mitarbeiter teilhaben zu lassen an dem, was uns als Unternehmen motiviert. Ich habe 87 Mitarbeiter und die müssen wissen, warum ich das mache, eben nicht aus Geldgründen oder einer guten Visitenkarte wegen, sondern aus Leidenschaft, den Gästen eine unvergessliche Zeit zu bescheren. Das ist das erwähnte „Warum“. Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten, zu kommunizieren, im Team zu arbeiten, nicht nur einer zu sein, sondern 87. Jeder Einzelne ist wichtig.
Jeder Mitarbeiter muss sich über diese Vision definieren können, er muss sich fragen: „Ist das auch mein Ziel und mein Wunsch?“ Ein Team muss sich über die gleichen Werte, über die gleiche Vision definieren können. Dass alle in die gleiche Richtung gehen, ist die Grundlage von allem, dann muss man nicht mehr die Kundenerfahrung vereinheitlichen, dann hat man die Freiheit, die Kundenerfahrung zu personalisieren und zu individualisieren. Jeder Mitarbeiter kann er selbst sein auf Basis der gemeinsamen Werte. So schafft man eine ganz spezielle Kultur im Unternehmen.

SM

Das heißt, bei Ihnen läuft ganz viel darüber, wie sich der Einzelne versteht und wie er sich gibt. Ihr Job ist es ja dann auch, Ihrem Team aus 87 Mitarbeitern genau das mitzugeben?

KH

Ich muss mitgeben, um welche Werte es geht, vermitteln, dass jeder Einzelne wichtig ist und seinen Beitrag mit Leidenschaft leisten kann, ohne sich dabei verstellen zu müssen. Die Lust und Bereitschaft, etwas mit dem Herzen für jemand anderen zu machen, das kann neben dem Gast übrigens auch ein Kollege sein, die ist sehr wichtig.

SM

Damit kommt der Personalauswahl doch auch eine entscheidende Rolle zu. Was sind Ihre Einstellungskriterien?

KH

Wir stellen ein nach „Attitude“. Wie sind die Leute von ihren Werten eingestellt? Welche Leidenschaft bringen sie für ihren Beruf mit? Ist es nur ein Broterwerb für sie oder steckt dahinter eine echte Begeisterung für Hotellerie? Leuchten die Augen? Ist es ein Lebenstraum und den Leuten wichtig? Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind die Leute auch bereit, etwas zu lernen? Es ist doch so: Das „Was“ oder „Wie“ kann ich jedem beibringen, das ist kein Problem. Aber nicht die Art zu sein – die Begeisterung, das kann man nicht beibringen. Man muss die Leute teilhaben lassen am Erfolg, zum Beispiel an guten Gästekommentaren.

SM

Wie schaffen Sie es bei Four Seasons, das umzusetzen? Das ist ja keine geringe Herausforderung für einen weltweit tätigen Konzern.

KH

Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht. Bei uns im Unternehmen gibt es aber die goldene Regel, dass wir jeden so behandeln, wie wir gerne selbst behandelt werden wollen. Ich glaube, es gibt keinen einzigen Mitarbeiter, der, was diese Regel betrifft, nicht schon einmal ein bisschen grenzwertig unterwegs war. Aber diese Regel kann auch ich immer wieder zur Hand nehmen, wenn mich jemand nicht gut behandelt, auch gegenüber Vorgesetzten. Man muss das in jede Richtung, nach oben und nach unten, spielen. Das ist stärker als alles. Bei 40.000 Mitarbeitern ist es natürlich schwierig zu gewährleisten, dass sich jeder durchgängig daran hält – dennoch besteht diese Regel immer, uneingeschränkt für jeden. Den Erfolg daraus kann man allerdings nicht direkt messen. Oftmals sind genau deswegen solche Ziele nicht so beliebt bei Unternehmern oder Investoren. Wobei ja oftmals genau solche Ziele und Regeln den Erfolg messbar größer machen. Oft sind es die kleineren Unternehmen, die authentisch sind und alles automatisch richtig machen. Je größer das Unternehmen, desto schwerer wird das alles, weil es anonymer wird für den Arbeitnehmer und auch für den Kunden. Es ist dennoch wichtig, authentisch zu sein und Werte festzulegen, mit denen sich jeder identifizieren und auch selbst definieren kann. Das ist meiner Meinung nach die Chance für kleinere Betriebe und Hotels, erfolgreich zu sein. Sie haben es leichter, ihre Mitarbeiter mit ihrer Philosophie zu erreichen als riesige Unternehmen wie Four Seasons mit 30.000–40.000 Mitarbeitern. Trotzdem ist jeder Einzelne extrem wichtig und muss funktionieren – man braucht auch denjenigen, der im Hotel die Tür öffnet für die perfekte Experience.

SM

War die Four-Seasons-Philosophie ein Grund für Sie, dort anzuheuern?

KH

Ich bin 2004 zu Four Seasons, obwohl ich eigentlich nie zu einer großen Kette wollte. Doch auch damals hatte Four Seasons schon den Ruf, dass sie die Menschen in den Mittelpunkt stellen und Service das Wichtigste ist. Mir ist immer aufgefallen, dass Leute, die bei Four Seasons arbeiten, stolz darauf sind, dort zu arbeiten. Ich habe mich auch immer gefragt, was die da für ein Brainwashing veranstalten. Ich dachte, ich kann das nur verstehen, wenn ich das selber erfahre. Im Sinne von „ich muss da hin, sonst werde ich das nie begreifen“. Als ich dann dort war, habe ich verstanden, warum – weil ich als Mensch meine Werte dort wiederfinde, mich darüber definieren und deswegen gut fühlen kann. Ich konnte ich selbst sein, weil es gepasst und übereingestimmt hat.

SM

ICH MUSS DA HIN, SONST WERDE ICH DAS NIE BEGREIFEN.

DER GAST SOLL SICH EMOTIONAL DARAN ­ERINNERN.

Würden Sie sagen, das ist der Unterschied zu anderen Luxus-Hotels? Machen die das ähnlich oder machen Sie das besser?

KH

Das ist ganz schwierig zu beantworten. Es ist natürlich vor allem eine persönliche Erfahrung. Ich will mich gar nicht messen mit anderen Hotels in Paris. Für unsere Mitarbeiter und für unsere Gäste, die zu uns kommen, sind wir die Nummer 1. Der Erfolg zeigt sich, angefangen bei Mitarbeitern, die lange bleiben oder unbedingt bei uns arbeiten wollen, bis hin zu Gästen, die nur bei uns sein wollen – also funktioniert das irgendwie. Aber ich will nicht sagen, dass es nicht vergleichbare Hotels, gibt was Ausstattung, Lage und Preisniveau betrifft. Entscheidend ist die Kultur. Ich habe schon Mitarbeiter eingestellt, die davor in Hotels waren mit unterschiedlicher Kultur. Das ist dann oft ganz schwierig zu ändern. Ich denke immer, man sollte sich nicht vergleichen, so was ist doch ziemlich arrogant.

Der Gast will keine Arroganz wahrnehmen, dem bringt es nichts, wenn er gesagt bekommt: „Wir sind die Nummer 1 in Paris.“ Der will eine tolle Erfahrung machen, nicht enttäuscht werden, er will das perfekte Produkt. Als Gast will ich mit Freundlichkeit und Emotion berührt werden, ich will mich gerne daran erinnern und vielleicht will ich sogar, dass meine Erwartungen übertroffen werden – mit etwas, was ich nicht bezahlt oder reserviert habe.
Du erinnerst dich am Ende nicht an eine tolle Matratze oder einen Fleck auf dem Teppich – die Mitarbeiter können da viel wieder gutmachen mit ihrer Art. Das ist auch bei Unternehmen untereinander so, da ist das Produkt nebensächlich, am Ende kooperiere ich mit dem Unternehmen, mit dem ich menschlich am besten zusammenarbeiten kann und das die gleichen Werte hat.
Alles, was wir machen, machen wir am Ende für die Menschen. Wenn wir die nicht erreichen, keine Kultur im Unternehmen herrscht, mit der man sich identifizieren kann und aus der heraus jeder Mitarbeiter exzellente Arbeit abliefern will, dann kann man zumachen. Zu viele Unternehmen konzentrieren sich nicht auf diese „Basis“ und bestehen deswegen nur kurz am Markt, obwohl sie ein gutes Produkt haben. Die Leute verzeihen einem eine persönliche schlechte Erfahrung heute nicht mehr, da sie meistens die Wahl haben, woanders hinzugehen.

SM

Hat sich grundsätzlich was an den Erwartungen der Gäste in den letzten Jahren geändert?

KH

Der Gast sucht heutzutage mehr emotionale Erfahrungen, da diese in der schnelllebigen Zeit oft zu kurz kommen. Die persönliche Erfahrung, etwa dass etwas speziell für mich gemacht wird, um mir Freude zu bereiten, diese softe Komponente fehlt oft. Das können auch nur ganz kleine Aufmerksamkeiten sein. Als Hotel müssen wir uns dem anpassen. Wir sind Menschen, die für Menschen da sind. Die Frage ist immer wieder: Was kann ich tun, dass der Aufenthalt für den Gast zu etwas ganz Besonderem wird?
Das alles hat viel mit emotionaler Intelligenz zu tun, entscheidend ist es, unsere Mitarbeiter auch dahingehend zu schulen. Der Gast soll sich emotional daran erinnern. Wenn wir ihn zum Träumen bringen, dann waren wir erfolgreich.

SM

Um Ihren Gästen individuell begegnen zu können, müssen Sie ja ihre Vorlieben kennen, oder?

KH

Exakt, für die Personalisierung muss ich meinen Gast kennen. Wenn wir eine Anfrage haben, dann starten wir erstmal eine kleine Recherche zu der Person. Was macht die so, in welcher Branche ist sie tätig? Welche Altersgruppe, wie spreche ich sie am besten an?

Da erfahren wir übrigens viel über die Social-Media-Kanäle. Manchmal bereiten wir dann direkt etwas vor, damit der Kunde sich wiederfindet. So drucken wir gelegentlich die Bilder von seinem Instagram-Channel aus und hängen die Bilder dann einfach an Ballons in sein Zimmer. Er merkt dann schnell: „Wow, die haben geschaut, wer ich eigentlich bin, und haben was gemacht, was ganz persönlich ist“, und er ist gleich schon mal emotional berührt.

SM

SOFORTIGES FEEDBACK IST EIN MUSS.

Haben Sie diesen Prozess professionalisiert? Und was machen Sie da sonst noch?

RTS

Das geht gar nicht anders. Wir haben jemand, der sich nur um Social Media kümmert, der das füttert und Fragen beantwortet. Dort herrscht eine große Erwartungshaltung vonseiten der Kunden, die auch immer sofort bedient werden wollen. Sofortiges Feedback ist ein Muss. Darüber hinaus schicken wir Kunden zum Geburtstag gerne auch eine WhatsApp-Nachricht oder eine kurze Instagram-Story auf ihr Handy.

Die Gäste mögen das: eine Beziehung herstellen und nicht nur als Gast behandelt zu werden. In der heutigen Gesellschaft ist das „Persönliche“ ein Trend, eben weil es uns auch fehlt im Alltag. Man beschäftigt sich mehr mit seinem Smartphone als mit dem Gegenüber. Das Hotel soll ein Platz sein, wo ich mich emotional gut fühlen kann, ein Gegenentwurf zu der Welt draußen. Wir haben Gäste, die ein paar Straßen weiter wohnen und nur in das Hotel kommen, um mal wieder ein Gespräch zu führen und um Leute um sich zu haben. Das Emotionale und das Persönliche sind für die Zukunft ein gutes Konzept.

SM

Wie sind Sie denn mit Ihren Gästen über den konkreten Aufenthalt hinaus verbunden?

RTS

Dafür haben wir unter anderem eine spezielle App. Seit wir die haben, gibt uns das auch die Möglichkeit, mit den Gästen zu chatten, da hat sich definitiv was geändert. Der Gast kann darüber auch direkt bei uns buchen, hier können wir auch viel erfragen, zum Beispiel seine Vorlieben.
Ich glaube, das wird auch die Zukunft sein, dass man sich direkt ans Unternehmen und nicht an irgendwelche Provider wendet. Die App ist im App Store verfügbar und wird vermehrt genutzt. Man kann damit einen Web-Check-in machen, den Roomservice bestellen oder so Sachen wie beispielsweise Kleiderbügel. Das hilft uns natürlich, da wir im Voraus planen und alles vorbereiten können, noch bevor der Gast im Haus ist. Früher ist man ins Hotel gegangen, weil es Restaurant, Pool, Tennisplatz etc. hat, und man hat erwartet, dass das alles perfekt ist. Heute gibt man erst im Nachhinein Bescheid, ob es auch perfekt war. Bei einem 5-Sterne-Hotel erwarten die Gäste heutzutage eine tolle, außergewöhnliche und emotionale Erfahrung, da reichen Tennisplatz & Co. nicht mehr aus.

SM
Autor
Kai Hafner

Ähnliche Themen

Search form

Advanced search