Thema Nachhaltigkeit: Wir sind dann mal auf dem Weg

Marke People Data & Tech Lifestyle
30.06.2022

Sind die Nachhaltigkeitsbekenntnisse der Unternehmen Sand in die Kundenaugen, ernstgemeinter Bewusstseinswandel – oder irgendwas mittendrin?

Jetzt wird alles gut: Die bisher nie der Nachhaltigkeit verdächtige BASF hat neulich Klimaneutralität versprochen. Bis 2050. Wow. Das wäre ja schon in 28 Jahren. Fünf Jahre nach 2045 immerhin, wie es im deutschen Klimaschutzgesetz steht. Klimaneutral wollen jetzt alle Konzerne werden. In der deutschen Industrie ist ein veritabler Wettlauf darüber entstanden, wer es wie schnell schafft. Damit protzt so mancher Vorstand heute ja lieber als mit der Dividende. BASF hat jetzt auch einen „President Net Zero -Accelerator“ – den Chef von der Beschleunigung der Klimaneutralität sozusagen. Mit 80 Mitarbeitern, die – hoffentlich – mitarbeiten. Aber, wie im April die Süddeutsche Zeitung schrieb: Alles was er beschleunigt, muss sich rechnen (vgl. SZ 04. 2022).

Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Gewinne erwirtschaften kann kein Unternehmen vernachlässigen in diesem Streben kann man die Manager verstehen. Nur haben halt viele den Eindruck, dass die Herren (und hoffentlich auch ein paar Damen) einfach ein bisschen arg auf die Kacke hauen beziehungsweise arg an den Haaren herbeiziehen, wenn es um bereits erzielte Erfolge geht. Zumindest, wenn es um den Umweltaspekt geht wir lernen ja im Rahmen dieser Ausgabe, dass Nachhaltigkeit viele Dimensionen hat.

Man darf schon ein bisschen zweifeln

Wenn man bei unser aller Lieblings-Bio-Marke Coca-Cola auf die deutsche Website unter der Rubrik „Verantwortung“ schaut, findet man unter dem Titel „Die neuen Einweg-flaschen mit fest verbundenem Verschluss“ folgenden herzerwärmenden Text:

Doch in die Zukunft blicken und mit offenen Augen auf neues zuzugehen- das ist von jeher unser Spirit. Wir verlassen gern mal unsere Komfortzone. Und sei es für das kleinste Detail. Zum Beispiel die Verschlüsse unserer Einwegflaschen.

Zum Thema Verantwortung und Nachhaltigkeit finden sich auf den Seiten des Getränkekonzerns wahre Arien. Hier werden universell gute Taten angekündigt und dokumentiert: für Frauen, für blühende Wasserlandschaften gemeinsam mit dem WWF bis zum kleinsten Bäuerchen in Afrika – alle werden vom großen Sog der Nachhaltigkeit mit fortgerissen ins Glück.

Zu einer speziellen Cola-Lobhudelei (Flaschen aus Meeresmüll) meint dagegen die deutsche Umwelthilfe – meinungsstarke, von konservativen Medien auch mal der Provokation bezichtigte Mahnerin und nicht so große Freundin der Konzerne: „Ausgerechnet der weltweit größte Plastiksünder im Verpackungsbereich präsentiert eine Einwegflasche mit 25 Prozent Meeresplastik und will sich so als umweltfreundlich darstellen – Coca-Cola -produziert jährlich über drei Millionen Tonnen Kunststoff und ist eines der hauptverantwortlichen Unternehmen für Plastikabfall in den Ozeanen.“

Hier sieht man die Grundproblematik. Hier die euphorischen und vielleicht oft auch bewusst schönfärbenden Konzerne, die denken, dass ihre Denke ja bereits stimmt – und auf der anderen Seite all jene, die denken, sie werden doch bestimmt verarscht.

Auch Nestlé haut auf oberster Website-Ebene gleich mal einen raus: Die oft des Wasserraubs bezichtigten Ernährungsuniversalisten starten in ihre Verantwortungsseite ähnlich blumig wie Coke: „Wir alle sind mittendrin. Auf unserem Weg zu mehr Klimaschutz, besseren Verpackungen und einer ausgewogeneren Ernährung. Was wir bei Nestlé schon heute haben? Ein klares Bekenntnis zu unserer sozialen Verantwortung. Lokal wie global.“

Mittendrin, Weg und Bekenntnis – drei Wörter, die auf die Vorherrschaft des Noch-nicht-Faktischen hinweisen. Könnte auch heißen: Viel geht noch nicht.

Jedenfalls werden im Moment noch Konzerne wie Coca-Cola und Pepsi, Danone und Nestlé von vielen Organisationen als üble Vernichter von Existenzen bezeichnet: „Schon vor einigen Jahren haben die Konzerne das Thema Wasser als profitables Geschäftsfeld entdeckt“, heißt es zum Beispiel bei Greenpeace. Die nicht gerade als Umstürzler bekannte „Welt“ schrieb schon vor Jahren: „Sie alle liefern sich einen Wettlauf um die besten Quellen des Planeten, ringen um Förderlizenzen und Baugrundstücke, jagen nach mehr Absatz und höheren Margen. Die Umwelt, das ist naheliegend, schonen sie dabei wenig. An vielen Orten gibt es deshalb tatsächlich Probleme.“ (Die Welt, 2016)

Die, bei denen man all diese Marken kauft – die großen Discounter –, hinter-ließen die letzten Jahre auch nicht immer einen guten Eindruck: Aldi hatte im Jahr 2019 mal eine breit promotete Marketing-Aktion, mit der man einen Cent für jeden Obstbeutel verlangte – und wollte sich -danach partout als Öko-Pionier feiern lassen. Nichts Böses denkt sich, wer sich auch hier irgendwie verarscht vorkommt (vgl. Handelsblatt 07/2019). Wie auch immer – ein grüner Anstrich verkauft sich halt gut: Die Unternehmensberatung PWC fand heraus, dass Verbraucher zum Beispiel für Bio-Milch einen Preisaufschlag von 56 Prozent, für Bio–Schokolade sogar von bis zu 60 Prozent akzeptieren – beim Kaffee sind es noch 38 Prozent (PWC 2021).

Die beliebtesten Tipps und Tricks

Manche Unternehmen betreiben tatsächlich Greenwashing. Dabei lassen sich für bestimmte Branchen typische Muster identifizieren: Energieversorger werden zum Beispiel immer wieder dabei ertappt, dass sie ihren Atom- und Braunkohlestrom legal als „grünen Strom“ verkaufen, weil sie zuvor im Ausland Herkunftszertifikate für Ökostrom erwerben konnten. Die Deutsche Bahn warb mit der „Grünen Bahncard 100“, obwohl auf vielen Nahverkehrsstrecken weiterhin Kohlestrom zum Einsatz kommt. Auch wenn Handelsketten versprechen „konkrete freiwillige Vereinbarungen für weniger Verpackungen“ zu erarbeiten, dann wissen die Ministerien oft noch nicht genau, was dabei wirklich rumkommt. Denn hier besteht die Gefahr, dass es sich um reinen Aktivismus handelt (vgl. Handelsblatt 2019).

In der Modebranche, vor allem bei der sogenannten „Fast Fashion“ mit Protagonisten wie H&M, Zara, ist man anscheinend ganz nachhaltig: Bekleidung aus pflanzlichen Stoffen, ausrangierten Fischernetzen und Nylonabfällen wird da angepriesen, inklusive Rabatt für das Abgeben von Altkleidern. Das Untermenü der H&M-Webseite besteht aus sieben Nachhaltigkeitspunkten, die immer mit „Let’s …“ beginnen. Unter dem ersten – Let’s change – liest man folgenden Text: „Veränderung ist ein Teil von uns. Jetzt ist es Zeit, die Modewelt zu verändern.“

Auf der Internetseite des Unternehmens werden unter dem Punkt „Anerkennung von anderen“ (hey – das hätte doch „Let’s fish for compliments“ heißen müssen – wo bleibt da das Konzept?) werden insgesamt sieben Organisationen aufgeführt, die dem Unternehmen ein gutes Zeugnis in puncto Nachhaltigkeit ausstellen. Wer die Namen liest, versteht, dass es recht viele von den Leuten gibt, die so was machen.

„Alles ein großer Hype“, sagt Viola Wohlgemuth von Greenpeace (eine von vielen Organisationen, die das Geschäftsmodell trotzdem nicht nachhaltig finden) dazu. Nachhaltig sei an den Aktionen eher wenig. Nur 0,4 bis 0,6 Prozent der H&M-Produktion stamme aus wiederverarbeiteten Fasern (vgl. Handelsblatt 2019).
Auch Erzrivale Zara greift zu Tricks: An einer Bluse aus Polyester fanden erstaunte Greenpeace-Tester das Label „100 % organic“, was sich bei Nachfrage buchstäblich als Etikettenschwindel herausstellte. Nicht die Blusen, sondern nur die Etiketten selbst waren aus Bio-Material produziert. Sehr clever …

Foto © Monstera

Aktuelle Ereignisse verändern die Diskussionslinien

Dass sich das Denken darüber, was nachhaltig ist und was nicht, auch schnell mal ändern kann, zeigt das Beispiel Rüstung. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), forderte am 1. März gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg: „Ich appelliere an die EU, die Rüstungsindustrie als positiven Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit im Rahmen der ESG-Taxonomie anzuerkennen. Der Einmarsch in die Ukraine zeigt, wie wichtig eine starke Landesverteidigung ist.“ Das hätten sicher viele vor kurzem zumindest komisch gefunden – heute denkt man über so was schon mal nach – denn warum sollen zum Beispiel große Food-Konzerne, die gewinnorientiert sind und sich wichtige natürliche Ressourcen sichern möchten, leichter an Kredite rankommen als die Rüstungshersteller, die diese Ressourcen für sie verteidigen? Das lappt alles schnell ins Philosophische rüber – und der Autor will diese Fragen hier auch nicht beantworten, sondern nur zeigen, was so alles gestrickt wird an Nachhaltigkeitsdiskussionslinien.

Auch am Aktienmarkt wird schöngeredet

Die Initiative „Nachhaltig investieren“ berichtet unter der Frage „Wie nachhaltig sind konventionelle Fondsanbieter wirklich?“ über das Projekt „Influence Map“. Dieses hat seit 2018 rund 50.000 Portfolios, Engagement-Prozesse sowie Aktionärsbeschlüsse von Vermögensverwaltungen ausgewertet. Dazu gehörten auch die Global Player der Finanzbranche. Dabei wurde deutlich: Die großen Vermögensverwaltungen belassen immer noch Kohle-, Öl- und Gasproduzenten in ihren Portfolios und tun damit nicht genug gegen den Klimawandel. Aber sie behaupten das natürlich. Der offene Brief von Blackrock-CEO Larry Fink erregte im Januar 2020 viel Aufsehen – es war ein Aufruf an die weltweiten Konzernchefs. Nachhaltigkeit, so Fink, solle zum neuen Investment-Standard werden. Ein gemeinsamer Report der Organisationen Urgewald aus Deutschland und Reclaim Finance aus Frankreich stellt nun fest: Auch hier ist man noch schwer auf dem Weg – oder mittendrin, wie Nestlé zu sagen pflegt. Die Versprechen von Anfang 2020, nicht mehr in Firmen mit „hohem Risiko in Sachen Nachhaltigkeit“ zu investieren, haben Blackrocks Geschäft kaum beeinflusst, sagen die Autoren der Studie (vgl. SZ 2021). Im Herbst 2021 dann packte auch noch der ehemalige Blackrock-Topmanager Tariq Fancy gegen den „geschönten“ ESG-Investment-Boom aus und riet davon ab, Nachhaltigkeitsfonds zu kaufen. Mit 6.300 Milliarden Dollar verwaltetem Vermögen besitzt BlackRock echt viel Einfluss. Der Verantwortung, die der US-amerikanische Fondsanbieter dadurch hat, wird er laut „Nachhaltig investieren“ aber noch lange nicht gerecht. Auch die ehemalige Nachhaltigkeitschefin der deutschen Fondsgesellschaft DWS Desirée Fixler übte harte Kritik an ihrem Ex-Arbeitgeber. Sie ging nach ihrer Entlassung mit dem Vorwurf an die Öffentlichkeit, die Deutsche-Bank-Tochter habe ihr ESG-Engagement systematisch zu positiv dargestellt (Handelsblatt 09/21).

Moral, Marketing und Realismus

Wir stellen fest: Greenwashing ist nichts Exotisches, sondern überall präsent. Das Gute ist aber: Alle wissen es. Und vielleicht wird ja aus „auf die Finger schauen“ und „einigermaßen ehrlich“ eine ganz gute Mischung, in der ohne allzu viel gegenseitige Vorwurfshysterie wirklich Schritt für Schritt Veränderungen entstehen können. Die Voraussetzungen sind Ehrlichkeit und Realismus auf allen Seiten. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Unternehmen nun mal einer kapitalistischen Logik entspringen und sich aus dieser Logik heraus am Ende alles rechnen muss (siehe BASF ganz oben). Und das Wissen darüber, dass Marketing natürlich versucht, bestimmten Entwicklungen und Bemühungen in den Unternehmen Positives abzugewinnen – um dann emotional darüber zu reden.

Aber es muss auch dringend erlaubt sein, die Unternehmen auf faktischer Ebene zu hinterfragen, denn offensichtliche Lügen oder Verdrehungen sind inakzeptabel. Der gute Wille der Unternehmen kann wohlwollend unterstellt werden, sollte aber immer wieder auf den Prüfstand kommen. Vielleicht muss man den Unternehmen, die es wirklich ernst meinen, – um im Bild des Waschens zu bleiben – erlauben, sich erstmal die Füße zu waschen, danach die Achseln und schließlich den Kopf. Oder vielleicht sogar besser andersherum – denn im Kopf fängt ja alles an.

Autor
Markus Koch

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