Meine Experience mit der Customer Experience.

Marke People Data & Tech Lifestyle
25.05.2021

Ein Kunde ist kein König. Ein Kreis ist kein Punkt.

Der Kunde ist König. Meine Güte, wie alt und albern das klingt in Zeiten der Customer Experience. Sowas sagen doch heute nur noch Halbtote. Heutzutage haben wir ganz andere Tools, um dem Kunden ein Markenerlebnis zu bieten, da muss man sämtliche Touchpoints in der Journey im Focus haben, sagte der Englischwortexperte und bekam dafür viel Geld.

Manchmal ist der Touchpoint aber nicht in der Journey, sondern die Journey in einem einzigen Touchpoint. Und so geht es ja nicht!
Zum Beispiel: Jeder hat einen Router. Die meisten Router haben eine extern integrierte Extrafunktion.
Ein Problemfeststellungssystem. Ich habe das in zweifacher Ausführung in Form zweier Mitbewohner,
die energetisch mit dem WLAN verbunden sind und bei technischen Störungen innerhalb von Millisekunden Bericht erstatten. Sie kommen dann aus dem Zimmer, reporten an mich und stehen im Flur neben dem Router und quengeln. Das ist sehr unangenehm.
Da ich die Ruhe in Person bin und außerdem das Drama mit dem Router schon mal erlebt habe, meistere ich die Situation meisterlich. Ich teile mit, dass mir jetzt niemand auf den Sender gehen soll und dass der Scheiß ein paar Wochen dauern kann. Sie brauchen auch nicht alle 60 Sekunden neu zu reporten, dass der Router nicht geht. Wir gehen jetzt stufenweise vor, obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich eigentlich die ersten vier auslassen kann.

Erstens.

Starten Sie den Router neu. Nehmen Sie ihn vom Stromnetz und warten Sie einige Sekunden … und so weiter. Lichtlein blinken. Spannung steigt. Stimmung kippt.

Zweitens.

Mal schauen, ob ’ne Störung im Netz ist. Also im Internet recherchieren, warum man kein Internet hat.
Aber ich bin ja Kunde 2.0 und weiß mir zu helfen. Ich richte einen Hotspot mit Handy ein.
Bei meinem Telefonanbieter brauch ich gar nicht auf die Website, für die ist Störung ein unaussprechliches Fremdwort. Ich schaue mal in den allgemeinen Störungsmeldern. Würde ich auch generell empfehlen: einen Abend im Störungsmelderchat stöbern. Gemeinschaft spüren, gemeinsam Marke erleben. Viele beklagen sich, dass sie Geld zahlen für eine Leistung, die nicht erbracht ist. Viele sagen, sie kündigen. Viele Großbuchstaben, viele Ausrufezeichen. Hass.
Liebe Mitbewohner, lasst uns schlafen gehen. Vielleicht geht es morgen ja wieder.

Drittens.

Es geht nicht. Also gut. Dann gib ihm. Auf Werkseinstellung zurücksetzen. Ich bin super vorbereitet vom letzten Mal und weiß sogar meine Zugangsdaten. Die habe ich auf das Blatt geschrieben, das ich bei der letzten Routerauslieferung erhalten habe. Die Zugangsdaten waren damals sehr gut versteckt in meinem Online-Kundenlogin. Das hat viele Tage gedauert, bis ich das rausgefunden habe, was sie mit Zugangsdaten meinen. Diesmal passiert mir das nicht! Alles steht auf dem Blatt. Es ist das heilige Blatt, auf dem alles steht, was ich alles herausgefunden habe. Kundenloginname mit Passwort. Kennzahl. Zugangscode. Kennziffer. Routerpasswort. Passwort vom Einrichtungsassistenten. Kundennummer. Vertragsnummer. PIN. Alles da! Alles auf einem Blatt! Let’s go!
Ich sitze also im Flur auf dem Boden mit dem Rechner angestöpselt. Das Gewölle von Kabeln unter der Kommode unschön rausgezogen. Ich finde Fussel und Sachen. Mein Meniskus schmerzt. Unter der Haustür zieht kalte Luft rein und neben mir beobachten mich vier Kniescheiben. Hoffnung füllt langsam den Flur.
Der Router fährt wieder hoch und blinkt mit grünen Lichtern. Das sieht doch nicht schlecht aus. Die zwei Herren neben mir kriegen rote Bäckchen. Allgemeine Freude. Ich erwarte Lob und bekomme es auch.
Doch man soll den Router nicht vor dem Abend loben. Das war wohl nix. Das Ding blinkt blöd und geht nicht wirklich. Das ist überhaupt das Schlimmste. Man weiß erst nach einer halben Stunde, ob es wieder geht, weil eine halbe Stunde dauert es immer. Es ist die Hoffnung, die das größte Übel ist, sagt Nietzsche. Gute Nacht, sage ich. Morgen geh ich in die Warteschleife.

Viertens.

Beim letzten Mal musste ich die Hotline-Nummer in irgendwelchen Ich-hasse-meinen-Telefonanbieter-Chats recherchieren. Immerhin wurde sie inzwischen auf der Website der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dann kanns also losgehen. In der Warteschleife kommt atmosphärische Musik für das angenehme Kundengefühl. Sie weisen darauf hin, dass es etwas länger dauern kann wegen Corona, dann fragen sie, ob sie das Gespräch zur Verbesserung ihres Services aufzeichnen dürfen. Ich will mal nicht so sein und sage ja. Nach einiger Zeit fragt eine Stimme mich, um welchen Anschluss es sich handelt, und ich solle die Nummer ansagen. Ich fange an, sehr deutlich einzelne Ziffern zu arrrrrtikulieeren. Nach etwa fünf Zahlen werde ich jäh unterbrochen von zwei verschiedenen Stimmen, die behaupten, sie könnten mich nicht verstehen.

Es sind eine Frau und ein Mann, die fast gleichzeitig, aber doch etwas zeitversetzt Anweisungen geben, ich soll die Ziffern neu einsprechen. Das geht so eine Weile. Auflegen, nochmal anrufen, auflegen, nochmal anrufen und so weiter. Inzwischen bin ich dazu übergegangen, dass sie lieber das Gespräch vorsichtshalber nicht aufzeichnen sollen. Falls es je zu einem kommt. Irgendwann haben der Mann und die Frau keine Einwände mehr und ich darf aus mehreren Optionen auswählen, was ich für ein Problem habe. Hurra. Wenn man dann aber sagt „Router defekt“, bedanken sie sich für das Gespräch und senden eine SMS, die mir weiterhelfen soll. Lieber Kunde, mit unserer hervorragenden Service-App können Sie die meisten Ursachen bei Verbindungsproblemen selbst beheben …Installieren Sie die kostenlose App auf Ihrem Smartphone.
Oh, kostenlos, wenn das kein Argument ist.

Fünftens.

Auf dem Startbildschirm der App steht so kurz, dass man es kaum lesen kann: „my Service. Wie ich ihn will.“ Ich denke, ich habe mich verlesen, und wills jetzt wissen. Bei Google werde ich fündig … Unter dem Slogan „my Service. Wie ich ihn will“ vereinen wir die vielfältigen und ausgezeichneten Möglichkeiten, die TippiToppiTele seinen Kunden bietet, damit ihr von einem exzellenten Service profitiert… Gut, dass ich es gegoogelt habe. Ich hätte sonst nicht bemerkt, wie exzellent der Service ist.
Ich klicke alle Knöpfe in der App, die man drücken kann. Doch der Router geht nicht. Meine Mitbewohner stehen derweil im Türrahmen und halten Mahnwache. Ihre Münder bilden ein umgekehrtes U. Ich biete ihnen an, auszuziehen. Dahin, wo WLAN aus güldenen Büchsen üppig fließt.
Dann geh ich ins Bett.

Sechstens.

Die Sonne lacht. Weiter gehts. Rein in die Hotline. Nein, sie dürfen nicht aufzeichnen! Das ist meine Nummer! Mein Router ist nicht defekt! (Das darf man nicht sagen, sonst fliegt man ja raus.) Ich will meinen Router tauschen! Dann wollen wir mal sehen, ob ich hier so mal jemand an die Strippe bekomme. Das wäre theoretisch auch so, wenn es mir gelingen würde, eine Kundennummer einzugeben, die in ihren Augen die richtige ist. Was soll ich sagen. Ich geb immer die ein, die auf dem Brief steht, der mit dem Router kam. Das ist aber nicht die Kundennummer, da steht nur Kundennummer und eigentlich ist es eine Nummer, die keine Bedeutung hat und nur zufällig auch Kundennummer heißt. Ich versuche mich mit meinem Online-Kundenlogin einzuloggen, um rauszufinden, ob ich vielleicht noch ein paar andere Kundennummern habe. Der Login wird verweigert, weil mein Passwort nicht stimmt. Ich muss mir ein neues schicken lassen, was erst beim dritten Versuch funktioniert. Endlich in meinem Kundenbereich angekommen, stelle ich fest, dass mein Festnetzanschluss einfach nicht existiert. Offiziell habe ich weder Router noch Festnetz, ich habe anscheinend nur ein Handy. Mir wird das langsam unheimlich. Vielleicht bin ich auch nicht ich und jetzt ist nicht jetzt und meine traurigen Mitbewohner sind nur Geister, die kommen, wenn der Router nicht geht.
Mir wird ganz anders. Wir werden nie mehr WLAN haben! Ich komm hier niemals raus aus dieser kreisförmigen Serviceapokalypse, wenn ich meine geheime Kundennummer orakeln muss!
Jetzt möchte ich sehr gerne mal einen Verantwortlichen sprechen. Wer ist denn hier verantwortlich?
Der König von WLAN-Hausen? Ja, der dicke König aus dem WLAN-Reich räkelt sich frivol auf samtenem Bette in der Farbe Bleu. Ein Krönchen materialisiert sich kunstvoll geschwungen auf seinem Haupt in Gestalt eines staubigen, endlos verknoteten Netzkabels. Brenne Router, brenne!
Seine fett gequetschten Silikonwürste, die sich Lippen nennen, geben Unbehagen kund: Ihm sei es schrecklich öd ums Gemüt. Nicht einmal ein Furz mag ihm die Stimmung heben. Man bringe ihm den Kasperlkopf aus der Markenerlebnis-Abteilung. Was kann man nur tun?
Der Kasperlkopf hat einen Einfall: Wir machen eine Schnitzeljagd. Hasch mich, ich bin der Service.
Und die Kunden bekommen jetzt alle erst einmal eine neue Kundennummer, die nicht in ihren Daten hinterlegt ist. Service-Level-Pro, Kampf der Gladiatoren, Spaß für die ganze Familie.
Das klingt wunderbar, sagt der König und ein Krümel Essbares aus seinem Mundwinkel gibt sich nebenbei der Schwerkraft hin. Kunde gegen König. So solle es sein.
Und so werde ich erneut dem Kreislauf der besonderen Kundenerlebnisse hinzugefügt.
Mit fantastischen 0 Mbit/Sekunde. Das nennt man 360 Grad Customer Experience.
Erstmal schlafen, würd ich sagen.

Siebtens.

Neuer Tag, neue Idee: Auf meinen Kontoauszügen muss ja auch die Kundennummer stehen. Aha! Es ist in der Tat eine andere als auf dem Lieferschein vom Router. Warum auch immer, aber die muss ja doch passen. Begeistert von der eigenen Intelligenz begebe ich mich wieder in die Warteschleife. Ich kann es kaum erwarten, das nächste Türchen zu öffnen, mit meinem geheimen Kundennummerzauberspruch.
Bald werde ich mit einem echten Menschen sprechen. Dann lasset die Spiele beginnen.
Ich wieder: Telefonnummer arrrrtikulieeeren! Router tauschen! Kundengeheimzaubernummer! Bähm! …„HerzlichwillkommenbeimTippitoppiTelefonanbieter, meinNameistMaxMustermann,waskannichfürSietun?“
Ich berichte ihm, dass ich mir vorkomme wie der Depp bei versteckte Kamera und schildere fast sachlich mein Problem. Er meint, er erstellt jetzt ein Service-Ticket und in den nächsten Tagen wird sich jemand bei mir melden. Was heißt jemand, was heißt melden, was heißt Tage? Bekomme ich dann eine SMS, wo wieder ein Link drin ist, der wieder dahin führt, wo sie sagen: „Herzlich willkommen auf unserer Serviceseite! Unser besonderer Service für Sie: Erleben Sie unsere Marke nach dem innovativen Reparier-deinen-depperten-Router-selbst-Prinzip!“?
Öhm, Frau Walkenforst, das kann ich nicht sagen, ob das eine SMS ist, aber es wird sich der Techniker melden. Ich heiße nicht Walkenforst, sondern Walken-fort, wie fort-gehen, wie Kunde-verlieren. Das sage ich auch immer, wenn einer von euch anruft, um mir einen „besseren“ Vertrag anzubieten, der 5 Euro teurer ist. Jedes Mal sagen Ihre Kollegen, sie ändern meinen Namen in meinen richtigen Namen und rechnen mir dann vor, dass 5 Euro mehr für mich eigentlich günstiger ist. Warum werde ich regelmäßig angerufen, damit mir jemand alternative Algebra beibringt, aber wenn ich ein Problem habe, seid ihr alle temporarily not available? Junger Mann, sie können ja nichts dafür. Na gut, dann warte ich eben, bis der Herr Techniker sich meldet.
Ich gehe dreimal schlafen.

Achtens.

Der Techniker hat sich nicht gemeldet. Das Service-Controlling aber funktioniert umso besser. Sie kontrollieren heute schon mal abschließend den Service, den es auch morgen noch nicht gegeben haben wird. Zur optimalen Überwachung der Customer Experience erhalte ich also eine SMS, in der Folgendes steht: Hallo Frau Walkenforst! Zur Verbesserung des Tippitoppi-Services möchten wir Ihnen einige Fragen zu Ihrem Kontakt am 2.1.21 stellen. Bitte klicken Sie zur Teilnahme auf den Link: Ach, ich soll jetzt Sternchen verteilen? Könnt ihr haben. Ich gebe 0 von 1000 Punkten mit Hinweis darauf, dass der junge Mann aus der Hotline nichts dafür kann, ich aber nicht gerade der zufriedenste ihrer Kunden bin, da mein Problem in gewisser Weise, wie soll ich sagen, NOCH NICHT BEGONNEN HAT, GELÖST ZU WERDEN! Noch ein paarmal schlafen, dann meldet sich bestimmt der Techniker …

Neuntens.

So schließe sich der Kreis. Zwar hat sich immer noch kein Techniker gemeldet, aber man nennt mich seit heute „Lieber Kunde!“.
Es wird mir mitgeteilt, dass das Problem gelöst wurde und ich bei Rückfragen gerne bei der Hotline-aus-der-Hölle anrufen kann. Die SMS verfügt außerdem über einen verheißungsvollen Link zu genaueren Informationen, der mich zu einem Link zu noch genaueren Informationen führt. Verkettet man viele Links, entsteht eine Linkerkette. Die Linkerkette hat nur den Zweck, den Kunden in Bewegung zu halten, so hat er das Gefühl, an der Lösung des Problems mitzuwirken, und hat auch keine Hand mehr frei, die Nummer von der Hotline zu wählen. Ich bin dumm genug, auch auf den letzten Link zu klicken, und stelle fest: Hier bekommt man quasi wortgleich dieselbe aufschlussreiche Information wie in der SMS, nämlich keine.
Der Kunde kotzt, der König lacht. Wenn das mal kein Erlebnis war!

Ps.

Doch noch in der selbigen Nacht führte frisches WLAN die Geister mit einem strahlend grünen Lichtlein in ihre Zimmer zurück. Dort lebten sie fortan glücklich und zufrieden.

Autorin
Stefanie Walkenfort

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