Ein Plädoyer für mehr Marke und mehr Mut beim Employer Branding

Marke People Data & Tech Lifestyle
08.12.2022

Herren mit Gesichtsmatte, Damen mit Innenarm-Tattoo

Verkehrte Welt: Arbeitgeber müssen heute um die Gunst von Managern, Ingenieuren, ITlern, Service-Technikern oder Handwerkern buhlen, nicht umgekehrt. Und sie müssen sich gegenüber Wettbewerbern in ihrem regionalen Umfeld, aber auch weltweit so positionieren, dass sie dabei auch im Konzert mit den ganz großen Playern hörbar sind. Wie viel Standard und wie viel Disruption ist dafür notwendig? Ein Blick in die aktuelle Employer-Branding-Kommunikation.

Freundlich lächelnde, meist junge Menschen, gerne auch mit leichtem Hipster-Touch (Herren mit Gesichtsmatte, Damen mit Innenarm-Tattoo), erzählen über die sinnstiftende und weltverbessernde Tätigkeit, die sie bei ihrem Unternehmen ausüben dürfen (#sustainability). Mit ganz viel individueller Freiheit (#kreativität), total flexiblen Arbeitszeitmodellen (#worklifebalance) und Weiterbildungsangeboten, bis der Kopf raucht (#lebenslangeslernen). Nicht zu vergessen die internationalen Perspektiven (#actglobal). Gibt es also Muster, nach denen Employer-Branding-Kampagnen ablaufen, vielleicht sogar ablaufen müssen? Wie die obligatorische perfekte Schaumkrone bei der Bierwerbung? Archetypen und Mechanismen, die von den Jobsuchenden (m/w/d) vielleicht sogar erwartet werden? Bei einer – selbstredend nicht repräsentativen – Recherche fanden wir in der Tat wiederkehrende Muster in Form von Bildern, Videosequenzen und Textbausteinen. Sozusagen das Standard-Toolkit, aus dem sich Arbeitgebermarken häufig bedienen. Aber wir fanden auch Unternehmen, die versuchen, andere Wege zu gehen.

Alles People oder was?

Employee Testimonials – also reale Mitarbeitende, die sich positiv über ihre Arbeitgebenden und Arbeitsbedingungen äußern – sind noch immer sehr en vogue. Einerseits gut, weil authentisch (ha!), andererseits auch nicht ganz ohne, weil: Was ist, wenn der Mitarbeitende kurz nach dem Shooting das Unternehmen verlässt? Dann doch lieber gleich mit Models arbeiten? Vorteil: Man kann sie sich so aussuchen bzw. zurechtretuschieren, dass sie perfekt ins gewünschte Bild passen und allen heutigen gesetzlichen und moralischen Anforderungen gerecht werden (#diversity, #gendergerechtigkeit). Nachteil: Sieht dann halt oft auch aus wie Werbung für Versicherungen, Ferienwohnungsportale oder Familien-Vans.

Alles Vorurteile!

Okay, Real People also. Was beim Thema HR (Human Resources) naheliegt. Aber gibt es hier auch ungewöhnlichere Konzepte und Möglichkeiten? Ein Trend scheint zu sein, mit bestehenden Vorurteilen gegenüber bestimmten Unternehmen und Branchen zu spielen. Die Schnell-Futter-Kette McDonald’s zum Beispiel versucht sich vom Image als mieser Employer zu lösen, indem sie ihre diversen Beschäftigten auf einer gelben Couch lümmelnd sich gegenseitig interviewen und die bestehenden Vorurteile (unterdurchschnittliche Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen, Fremdenfeindlichkeit) entkräften lässt (#authentizität). Real People, aber mal ein bisschen anders.

Ausschnitt aus einem Video der Employer-Branding-Kampagne von McDonald’s. Für mehr Einblicke die offizielle Website besuchen.

Alles recht steif – oder?

Die als superseriös geltende Unternehmensberatungsfirma BCG (Boston Consulting Group) tritt mit schrillen Outfits und Hobbys ihrer Belegschaft gegen das steife Image der Branche an und setzt mit ihrer Employer-Branding-Kampagne „ein Zeichen für Nonkonformismus“. Überhaupt lässt sich gerade die Beraterbranche beim Employer Branding einiges einfallen! Accenture etwa setzt auf den Gaming-Trend und machte auch in diesem Jahr mit seinem Turnier „Accenture League 2.0“ auf sich aufmerksam: Einen Monat lang konnten begeisterte Hobby-Gamer und Mitarbeiter:innen des Unternehmens Teams bilden, die in verschiedenen Spielen gegeneinander antraten und dabei über den Messengerdienst „Discord“ ins Gespräch kamen. Die Gewinner der Games durften sich neben lukrativen Preisen auch über exklusive Karrierechancen freuen.  Die BCG-Konkurrenz PWC (PricewaterhouseCoopers) lädt unter dem Heading „Next Digital Leader Summit“ potenzielle Kandidaten zu hochwertigen Events ein, inklusive Erstattung der Kosten für Anreise, Übernachtung und Verpflegung. Neben der Durchführung von Workshops treten bekannte Gastredner, sorry Keynote Speaker, wie etwa Sascha Lobo (#irokesenschnitt) auf. Einzige Bedingung: Bei der Anmeldung muss man seinen Lebenslauf hochladen.

In Zeiten, in denen sich Unternehmen bei den Kandidaten bewerben müssen und nicht umgekehrt, kommt es beim Employer Branding mehr denn je darauf an, ungewöhnliche Wege einzuschlagen.

Alles ganz anders

Und ganz ohne People? Geht auch. Da tut sich die wertvollste Marke der Welt naturgemäß leichter als andere. Sie nimmt einfach den angebissenen Apfel als Projektionsfläche für Animationen unterschiedlichster Art und lässt eine Sprecherin über den Marken-Purpose „Andersdenken“ philosophieren. Schön und gut gemacht. Aber da das Unternehmen Apple sich die besten, schlausten, disruptivsten Kandidat_innen aussuchen kann, wird dort das Thema Employer Branding möglicherweise entspannter betrachtet als anderswo. Aber was macht man als Employer, wenn man keinen angebissenen Apfel, keinen Stern und keinen „Swoosh“ als Logo aufbieten kann. Was können die vielen Hidden Champions – nicht selten Weltmarktführer in ihrer Branche – tun, um im Battle for Talents zu bestehen? Zwei Empfehlungen dazu.

Alles auf die Marke

Erstens: mehr Marke wagen. Nutzen Sie das Potenzial und die Kraft Ihrer Unternehmensmarke für das Employer Branding. Verzahnen Sie HR- und Marketingkommunikation, damit beide am gleichen (Positionierungs-)Strang ziehen und sich so gegenseitig befeuern. Mit spezifisch interpretierten Kampagnen für die beiden Bereiche. Ein zurecht vielgelobtes Beispiel dafür ist die „Like a Bosch“-Kampagne, die sowohl auf die Unternehmens- als auch auf die Arbeitgebermarke des Mischkonzerns einzahlt. Zweitens: mehr Mut wagen. In Zeiten, in denen sich Unternehmen bei den Kandidaten bewerben müssen und nicht umgekehrt, kommt es beim Employer Branding mehr denn je darauf an, ungewöhnliche Wege einzuschlagen. Sowohl was die Kampagnen-Konzeption als auch was die Kanäle anbelangt. Differenzierung als Geheimwaffe?
Alter Kommunikationshut! Beim Employer Branding offenbar aber noch längst nicht so verbreitet wie in der Markenkommunikation.

Autor
Ekkehard Haug

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