Das ist alles nur in meinem Kopf

Deutschland in der Krise. Was das mit unserer Psyche macht und wie wir raus kommen.

Ich kann in drei Sekunden die Welt erobern
Den Himmel erstürmen und in mir wohnen
In zwei Sekunden Frieden stiften
Liebe machen, den Feind vergiften

… In 'ner Sekunde Schlösser bauen
Zwei Tage einziehen und alles kaputt machen
Alles Geld der Welt verbrennen
Und heut die Zukunft kennen

Aus: Nur in meinem Kopf, Andreas Bourani, 2011

Deutschland steckt in einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Krise. Und die existiert leider nicht nur in meinem Kopf. 2025 steht das dritte Jahr in Folge ohne Wachstum an. Corona, Putin, Trump, Deglobalisierung, Protektionismus, Energiepreisexplosion, Bürokratie, Infrastrukturmängel, Demographie. Keine gute Mischung für den ehemaligen Exportweltmeister. Detaillierte Erklärungen liefert die Ende Oktober 2024 von der Landesbank Baden-Württemberg veröffentlichte Studie „Woran die deutsche Wirtschaft krankt.“ Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse finden Sie hier: https://www.b-2-b.de/artikel/marke/deutschland-als-marke-update-2025. Die deutsche Wirtschaftsschwäche ist Ausdruck eines grundlegenden Strukturwandels. Dabei belasten sowohl Einflüsse von außen, als auch hausgemachter Ballast. Und als ob das nicht genug wäre, kommt noch ein entscheidender Faktor hinzu: Das deutsche Mindset, unsere Psyche.

Wir sind verunsichert, wirken orientierungslos und suchen nach Konzepten. Wir verlangen nach strukturellen Maßnahmen und erwarten politische Lösungen. Wir wollen schlicht, dass es uns wieder besser geht. Ohne große Umstände. Schließlich sind wir weniger denn je bereit, Veränderungen, Einschnitte in unsere bisherigen Gewohnheiten zu akzeptieren und mitzutragen. Wir stecken in einem Dilemma. Wir können nur Entscheidungen treffen, von denen wir sicher wissen, dass sie weh tun werden, aber nicht, ob sie uns auch helfen können. Wobei: So ganz stimmt das nicht. Mit Ausnahme der Demographie lassen sich die hausgemachten Probleme alle anpacken. Die meisten davon mit ganz und gar nicht unsicheren Ergebnissen. Niedrigere Arbeitskosten und Steuern, weniger Regulierungen durch den Staat, Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Integration werden sich mit Sicherheit positiv und belebend auswirken. Und für den Rest braucht es eine grundlegende Transformation, einen Strukturwandel, zu dem wir bereit sein müssen. In aller Konsequenz. Es wird schmerzen, aber auch ganz sicher helfen. Öffentliche Wahrnehmung, kollektive Psyche und Optimismus werden dabei entscheidende Rollen spielen. Es geht also auch, wie in der Studie der LBBW dargelegt, um das richtige Mindset. Warum, damit beschäftigen wir uns jetzt.

 

Wirtschaftskrise und Öffentlichkeit

Öffentliche Meinung und Wahrnehmung üben in Krisenzeiten einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaft aus. Wird eine Krise als langanhaltend und unlösbar beschrieben und betrachtet, dann kann das dazu führen, dass Konsumenten und Unternehmen grundlegend ihr Verhalten ändern. Eine ganze Reihe von Studien zeigt, dass die Wahrnehmung der Wirtschaftslage in der Regel durch Medien und politische Akteure gefiltert und über diesen Weg das Vertrauen in die Märkte beeinflusst wird. Der amerikanische Managementberater Ken Blanchard und der Sozial- und Organisationspsychologe Daniel Katz weisen nach, dass Vertrauensverlust in der Bevölkerung in Krisenzeiten eine selbstverstärkende Wirkung entfaltet: Wenn Konsumenten und Unternehmen glauben, dass die Krise lange dauern wird, verhalten sie sich vorsichtiger. Dieses vorsichtigere Verhalten führt wiederum zu einer weiteren Verschärfung der Wirtschaftslage. Die Krise wird zu einer Art Self Fulfilling Prophecy, die Erwartung an die Realität schafft eine andere Realität. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit drosseln die Verbraucher ihren Konsum, die Nachfrage wird gebremst und die Rezession vertieft. Die öffentliche Meinung beeinflusst das Konsumverhalten direkt: Die Studie „Macroeconomic Forecasting and Structural Change“ von Luca Gambetti und Domenico Giannone aus dem Jahr 2008 belegt, dass Konsumenten in Krisenzeiten nicht nur von Fakten und wirtschaftlichen Indikatoren beeinflusst werden, sondern stärker noch durch die allgemeine öffentliche Wahrnehmung der Krise, die von Medienberichten, politischer und öffentlicher Diskussionen geprägt wird.

Es liegt also nahe, dass das Vertrauen in Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik entscheidend durch die öffentliche Meinung beeinflusst wird. Laut dem 2020 Edelman Trust Barometer, das seinerzeit auf dem World Economic Forum vorgestellt wurde, nimmt das Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen, also Regierungen, Wirtschaft, NGOs und Medien weltweit jedoch mehr und mehr ab. Dabei wurde ein signifikanter Unterschied im Vertrauen zwischen eher gebildeten Nachrichtenkonsumenten und weniger Gebildeten festgestellt. Unternehmen wurden noch als die kompetentesten Institutionen angesehen, ihnen wurde jedoch häufig mangelhaftes ethisches Verhalten unterstellt. Wenn eine Gesellschaft das Gefühl hat, dass ihre Institutionen die Krise nicht effektiv bekämpfen können, steigt das Risiko einer gesamtgesellschaftlichen Lähmung und einer weiteren wirtschaftlichen Stagnation. Wo Deutschland hier aktuell steht, zeigt meines Erachtens die Berichterstattung über das Scheitern von Friedrich Merz im ersten Durchgang der Kanzlerwahl. Selten wurde mit derartiger Vehemenz versucht, einen zugegeben bislang einmaligen, an und für sich aber relativ normalen demokratischen Vorgang zu einer veritablen Staatskrise aufzubauschen. Nur so nebenbei: Angela Merkel fehlten 2017 35 Stimmen, bei Olaf Scholz waren es 2021 21 Abgeordnete, die nicht für ihn gestimmt haben. Dennoch: Beide wurden im ersten Wahlgang gewählt.

Verlustaversion und Kollektive Resignation. Keine Booster für den Aufschwung

Psychologische Mechanismen spielen also in Krisenzeiten eine zentrale Rolle und beeinflussen uns und unser Verhalten massiv. Dabei lohnt es sich, insbesondere die Konzepte der Verlustaversion und der Kollektiven Resignation näher zu betrachten. Beide stellen entscheidende Einflussgrößen auf das Verhalten der Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer dar. Die Verlustaversion gilt als zentraler psychologischer Mechanismus, der in Krisenzeiten besonders ausgeprägt wirkt. Sie geht aus der Prospect Theory von Kahneman und Tversky (1979) hervor. Diese Theorie besagt, dass Menschen Verluste psychologisch stärker wahrnehmen als Gewinne. Ein wirtschaftlicher Rückgang oder das Gefühl von Unsicherheit führt dazu, dass Konsumenten und Unternehmen ihre Investitionen und Ausgaben stärker zurückfahren, als sie das in guten Zeiten umgekehrt tun würden. Die Angst vor Verlusten überwiegt einfach die Freude über Gewinne. Das beschriebene Verhalten führt zu einer weiteren Reduktion der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und verstärkt die Krise. Ein solches Verhalten kann in einer Abwärtsspirale enden, in der jeder Schritt zur Minderung von Verlusten zu noch größeren wirtschaftlichen Problemen führt.

Dazu kommt die Kollektive Resignation, ein Phänomen, das mittlerweile in zahlreichen Industriestaaten zu beobachten ist. Die Ballung der Krisen zeigt massive Auswirkungen auf unsere Psyche. Kollektive Resignation sorgt dafür, dass wir uns als Gesellschaft insgesamt von der Zukunft entfernen und keine Hoffnung mehr auf eine Besserung hegen. Wir fühlen uns erschöpft. Studien zeigen, dass in Phasen lang anhaltender Krisen das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit sinkt. Viele Unternehmen können damit nicht umgehen oder reagieren kontraproduktiv. Es fehlt an wirksamen Strategien, die bei Unlust, mangelnder Motivation, innerer oder tatsächliche Kündigung helfen. Das Gefühl, keine Kontrolle mehr über die eigene Zukunft zu haben, führt zu einem Rückzug aus unternehmerischen Aktivitäten. Auf beiden Seiten. Betriebe stellen Investitionen ein, Mitarbeitende begeben sich in die innere Migration und halten sich als Konsumenten mit Käufen zurück. Die gesellschaftliche Stimmung wird von einem Gefühl der Ohnmacht dominiert.

Lars Vollmer spricht in einer Capital-Kolumne im September 2024 von der Sorgenrepublik Deutschland. Er schreibt, dass es genug Anlässe gibt, sich Sorgen zu machen. Je nach Perspektive besorgen Rechtsruck, Linksruck, die Energiepolitik, unkontrollierte Migration oder die Entkopplung der Finanzmärkte, KI oder die Verrohung der Gesellschaft. Weit oben im Sorgenangebot rangieren darüber hinaus die USA, die Lage in Nahost, die Ukraine. Jeder bekommt inzwischen einen Grund geliefert, um ständig zutiefst besorgt zu sein. Auch die Wirtschaft und ihre Akteure. Diese Stimmung ist ansteckend – und besorgniserregend. Was daraus entsteht, ist besagte Kollektive Resignation über den Fortschritt in diesem Land. Der Trübsinn kriecht wie Fließbeton in alle Ritzen und lässt das Land erstarren. Ein plastisches wie treffendes Bild. Auch hier gilt wieder die wechselseitige Beeinflussung zwischen Tatsachen und Wahrnehmung: Die Erstarrung spiegelt sich in den Wachstumszahlen, die im Vergleich zu allen anderen EU-Ländern schlecht ausfallen. Vielleicht ist Deutschland mal wieder der kranke Mann Europas. Vielleicht ist er nicht krank, sondern nur alt. Jeder darf für sich entscheiden, was von beidem weniger frustrierend klingt. Jedenfalls fühlen sich viele Unternehmen durch die derzeitigen Wachstumsprognosen in ihren Sorgen bestätigt und halten erst mal ebenfalls still. Bleibt die Frage: Wie ziehen wir uns da wieder raus?

Animal Spirits: Psychologische Faktoren als wirtschaftliche Hebel

George Akerlof und Robert Shiller, zwei renommierte US-amerikanische Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträger haben 2009 ihr Buch „Animal Spirits: Wie menschliches Verhalten die Wirtschaft steuert“ veröffentlicht. Sie zeigen darin auf, dass wirtschaftliches Verhalten nicht nur durch rationale Überlegungen, sondern vor allem durch psychologische Faktoren beeinflusst wird. Diese „Animal Spirits“ erklären Phänomene wie Immobilienblasen, Konsumverhalten oder Finanzkrisen besser als klassische Modelle. Die fünf zentralen Animal Spirits heißen: Vertrauen, Fairness, Korruption (und schlechtes Verhalten), Money Illusion und Geschichten. Vertrauen gilt als entscheidend für Investitionen, Konsum und wirtschaftliche Stabilität. Wenn Vertrauen zusammenbricht (zum Beispiel während einer Finanzkrise), funktioniert die Wirtschaft nicht mehr wie gewohnt. Vertrauen ist der Anfang von allem. Ohne Vertrauen kaufen Menschen nicht, Unternehmen investieren nicht, Märkte funktionieren nicht. Ohne Vertrauen ist kein funktionierendes Wirtschaftssystem möglich.

Fairness beschreibt den Punkt, dass Menschen nicht nur auf Gewinnmaximierung achten. Sondern auch darauf, ob etwas als gerecht empfunden wird. Lohnverhandlungen, Preiserhöhungen, die als unfair wahrgenommen werden, können zu Widerstand führen. Korruption und schlechtes Verhalten zielt darauf, dass wirtschaftliche Entscheidungen oft von moralischem Verhalten - oder dessen Fehlen – beeinflusst werden. Gier, Betrug, mangelnde Transparenz tragen zu Instabilität bei. Man führe sich nur die Amtseinführung von Donald Trump vor Augen, als Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg Spalier standen. Und welche Wirkung dieses Bild in manchen Öffentlichkeiten hatte. Der Animal Spirit Money Illusion beschreibt, dass Menschen häufig bei Löhnen oder Preisen nominale mit realen Werten verwechseln. Diese Verwechslung kann wirtschaftliches Verhalten verzerren, etwa bei Lohnforderungen oder Inflationswahrnehmungen. Last but not least: Geschichten. Der Animal Spirit, der Kommunikationsmenschen am meisten in den Ohren klingen müsste. Menschen denken in Geschichten, nicht in Statistiken. Narrative prägen das Konsum- und Investitionsverhalten, nicht technische Daten, Fakten, Aufzählungen, Statistiken. Letztendlich fordern die Autoren in ihrem Buch eine realistischere Wirtschaftstheorie, die psychologische Faktoren stärker einbezieht. Besonders auch in der Wirtschaftspolitik. Nur so lasse sich erklären, warum Märkte irrational reagieren, wie Krisen entstehen. Und wie man am besten damit umgeht.

Jammern gilt nicht. Weil’s nicht hilft

Legen wir die Erkenntnisse von George Akerlof und Robert Shiller zugrunde, dann kann das für Deutschland, für unsere Institutionen wie Regierung, Medien und Öffentlichkeit eigentlich nur heißen: Hört auf zu jammern. Ändert euer Mindset. Schafft Vertrauen und verbreitet Optimismus. Optimismus und Vertrauen spielen entscheidende Rollen, wenn es darum geht, in Krisenzeiten das Blatt zu wenden. Optimismus hat die Kraft, das Vertrauen der Konsumenten und Unternehmen zu stärken und so zu einer Erholung der Wirtschaft führen. Optimistische Erwartungen können das Verhalten von Marktteilnehmern beeinflussen und wirtschaftliche Aktivitäten in Gang bringen. Akerlof und Shiller argumentieren, dass die Bereitschaft, Risiken einzugehen, stark von den Erwartungen über die Zukunft abhängt. Wenn Optimismus herrscht und Menschen das Gefühl haben, dass die Krise vorübergehen wird, steigt die Bereitschaft, Investitionen zu tätigen und Konsum zu fördern. Eine positive Erwartungshaltung kann also nicht nur die kollektive Psyche stabilisieren, sondern auch die realen wirtschaftlichen Ergebnisse beeinflussen.

Peter M. Gollwitzer, deutscher Psychologe, Professor an der New York University und Spezialist für Motivations- und Handlungspsychologie zeigt, dass Menschen, die zuversichtlich in die Zukunft blicken, eher bereit sind, in ihre Fähigkeiten zu investieren und kreative Lösungen zu entwickeln. Konkrete Handlungspläne (Wenn ich ins Büro komme, dann schreibe ich in zwei Stunden meine Präsentation fertig) machen seinen Studien zufolge das Erreichen von Zielen deutlich wahrscheinlicher. Diese Pläne helfen, Absichten in tatsächliches Verhalten umzusetzen. Das funktioniert auch bei der Beeinflussung von Konsumentenverhalten. So brachte eine Kampagne, die statt „Essen Sie gesünder“ gezielte Handlungspläne formulierte deutlich bessere Ergebnisse. Also: „Wenn ich Lust auf etwas Süßes habe, dann greife ich ab jetzt zum Apfel“ wirkt mehr als der Appell. Für Unternehmen heißt das, dass die Firmen, die auch in Krisenzeiten Pläne entwickeln, weiterhin in Innovationen und neue Technologien investieren, langfristig erfolgreicher sind. In der Vergangenheit haben viele deutsche Unternehmen durch langfristigen, innovationsgetriebenen Optimismus in schwierigen Zeiten nicht nur ihre Marktanteile gehalten, sondern auch neue Märkte erschlossen. Warum soll das jetzt, trotz schwieriger Rahmenbedingungen nicht auch funktionieren?

Dass Optimismus als Selbstverstärker wirkt, gilt in der psychologischen Forschung als wissenschaftlich bewiesen. Menschen mit einer optimistischen Grundhaltung neigen dazu, Herausforderungen mit mehr Zuversicht anzugehen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie erfolgreich sind. Der Erfolg wiederum stärkt den Optimismus weiter, wodurch ein positiver Kreislauf entsteht. Nicht umsonst sehnen sich Fußballtrainer während einer Ergebniskrise ihrer Mannschaft nach dem berühmt-berüchtigten Erfolgserlebnis. Sie wissen, was das auslösen kann. Die Trainer wissen aber auch, wie eine lang anhaltende Krise sich auf ihre Mannschaft auswirken kann. Wenn Unternehmen in die Zukunft investieren und positive Signale aussenden, dann sorgt das für Erfolgserlebnisse. Das fördert nicht nur ihr eigenes Wachstum, sondern stärkt auch das Vertrauen der Konsumenten insgesamt. Optimistische Unternehmen ziehen positive Medienberichterstattung an, was zu einer breiteren Wahrnehmung und zum Eindruck einer wirtschaftlichen Erholung führen kann. Unter diesem Eindruck beginnen andere Unternehmen, ebenfalls wieder zu investieren, was dann zu einem allgemeinen Aufschwung führt.

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Die ganze Wahrheit

Ingeborg Bachmann hatte recht. Man kommt an der Wahrheit nicht vorbei, die Menschen müssen sie aushalten. Diese Wahrheit sieht im Moment zwar nicht rosig aus. Aber: Trotz der aktuellen Herausforderungen gibt es berechtigte Gründe zur Hoffnung. Also schauen wir doch mal auf die ganze Wahrheit und nicht nur auf die negative Seite der Medaille. Deutschlands Wirtschaft ist durch ihre Diversifizierung und Innovationskraft eigentlich gut positioniert, um selbst schwere Krisen zu überwinden. Die Schlüsselindustrien Maschinenbau und Automobil befinden sich zwar inmitten einer schwierigen Transformation, deren Ausgang nicht wirklich sicher ist, aber sie verfügen über Forschungs- und Entwicklungskompetenz, die zukunftsfähige, neue Technologien hervorbringen kann. Viele Unternehmen haben in den guten Jahren massive Investitionen in die weitere Entwicklung automatisierter und nachhaltiger Produktionsmethoden getätigt, die sich heute auszahlen können. Zahlreiche Statements aus Unternehmenskreisen geben scheinbar wenig Anlass zu Optimismus. Aber es schimmert immer wieder durch, dass man die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben hat. Der deutsche Mittelstand, der traditionell das Rückgrat unseres Wohlstands bildet, zeigte in der Vergangenheit regelmäßig seine Fähigkeiten, sich in Krisenzeiten anzupassen. Kleine und mittelständische Unternehmen, die flexibler agieren können als große Konzerne, haben schon immer mit Ideenreichtum, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit neue Märkte erschlossen und sich so ihre Zukunft erarbeitet. Es könnte spät sein. Vielleicht zu spät. Vielleicht aber auch nicht.

Die Politik scheint auch begriffen zu haben, was die Stunde geschlagen hat. Die Ampel hat bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaft zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen. Dazu gehören Investitionen in digitale Infrastruktur, Förderprogramme für den Übergang zu nachhaltigen Produktionsmethoden und Unterstützung für Unternehmen in Form von Kurzarbeitsregelungen und Kreditprogrammen. Die von der neuen Bundesregierung angekündigten Gelder werden den strukturellen Wandel unterstützen und zu einer Stärkung der deutschen Wirtschaft führen. Die neue Koalition aus CDU/CSU und SPD nennt sich unprätentiös „Arbeitskoalition“ und will damit ihren Charakter als pragmatisches, lösungsorientiertes Bündnis beschreiben, das sich auf konkrete Reformen und Investitionen konzentriert. Die Reaktionen darauf in Presse und Bevölkerung waren, wie nicht anders zu erwarten, neutral bis kritisch. Dabei hätte immerhin die Chance bestanden, hierauf mit einem Schuss Optimismus einzugehen. Wie es insgesamt gut täte, wenn in Talkshows, öffentlichen Debatten und Veranstaltungen die allgemein vorherrschende Tristesse durch einen mutigen Blick nach vorn ersetzt werden würde. Denn wir haben ja jetzt gelernt: Sowohl Pessimismus als auch Optimismus wirken als Selbstverstärker. Wohin wollen wir also gehen?

Die Kommunikation der B2B-Unternehmen: Schluss mit Schweigen. Und mehr Optimismus bitte.

Nochmal: Es ist Krise. Und die Reaktionen der deutschen Industrie, insbesondere des Teils, der zur B2B-Fraktion gehört, war so krass wie absehbar. Es wird gespart, knallhart. Der Topf, der vermeintlich am schnellsten, folgenlosesten und einfachsten zu räubern ist, dient der Finanzierung von Marke, Marketing und Werbung. Geradezu reflexhaft werden sämtliche Budgets, die der Markenarbeit, dem Kundenverständnis oder der Kommunikation dienen, im besten Fall auf Eis gelegt, im schlimmsten Fall gänzlich gestrichen. Alles, was der Wahrnehmung des Unternehmens dient, was das Unternehmen selbst beeinflussen kann, wird unterlassen. Schlimmer noch: Es wird anderen überlassen. Die Unternehmensführung verkündet den unvermeidbaren Abbau von Arbeitsplätzen, spricht von Entlassungen und Sozialplänen, die Presse schreibt darüber, die Öffentlichkeit nimmt wahr und die B2B-Marke schweigt. Aus mehreren Gründen ist dieses Verhalten großer Teile der deutschen Industrie schon beinahe fatal. Bei der Krise und ihrer Wahrnehmung, bei Verlustaversion und kollektiver Resignation lassen die B2B-Marken ihre relevanten Öffentlichkeiten allein. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Lieferanten, Partner, Kunden, regionale Institutionen erleben Krise. Und Stille. Das Mindset zu ändern, Vertrauen zu schaffen, Optimismus zu verbreiten bleibt anderen überlassen.

Ok, ich gebe zu, ich überzeichne vielleicht ein Stück. Nicht alle B2B-Unternehmen agieren so. Nicht so krass und nicht so konsequent. Aber viel zu viele eben doch. Dabei könnte jede B2B-Marke ihren Beitrag zum Umschwung in den Köpfen leisten. Erinnern wir uns: Laut dem 2020 Edelman Trust Barometer werden Unternehmen als die kompetentesten Institutionen angesehen. Ihnen wird geglaubt. Das kann doch im Rückschluss nur bedeuten, dass sie sich ihrer daraus entstehenden Verantwortung bewusst werden und stellen. Dass sie als Institutionen eben nicht schweigen. Dass sie sich klarmachen, welchen Wert Markenarbeit, Marketing und Werbung in Zeiten wie diesen nicht nur fürs Unternehmen haben kann. Vertrauen schaffen, Loyalität erzeugen, Optimismus verbreiten, Lust auf die Zukunft wecken. Wollen die Unternehmen das ernsthaft der Politik und den Medien überlassen? Warum nicht mit den eigenen Markenbotschaften eine positive Stimmung erzeugen? Den Glauben zurückbringen? Fürs Unternehmen, für die relevanten Öffentlichkeiten, für ein neues deutsches Mindset? Letztendlich profitieren wir alle davon, die Unternehmen ganz besonders. Wenn aktuell zu lesen ist, wer sich gerade wieder mit Abwanderungsgedanken ins Ausland trägt oder dass die Mehrheit der Unternehmen sich aufgrund der unsicheren Situation in Deutschland mit Investitionen am Standort zurückhält, welche selbstverstärkende Wirkung soll das denn bitte entfalten? Und finden wir das gut?

Unternehmen müssen in Krisenzeiten sparen, vollkommen richtig. Ganz besonders die vielen mittelständischen B2B-Unternehmen, auch klar. Aber sie müssen nicht schweigen. Nein, sie dürfen nicht schweigen und still halten. Wenn Unternehmen zurzeit laut werden, dann jammern sie oder rufen nach Subventionen, Investitionen, besseren Bedingungen am Standort, weniger Regulierungen und Arbeitsnebenkosten. Auch das ist sicher berechtigt und notwendig. Mir geht es aber um ehrliche, geradlinige, finanzbare Kommunikationsarbeit, mit der B2B-Marken in die Öffentlichkeit gehen. Um Investments, die signalisieren, dass es weitergehen wird. Die Zeit ist reif dafür. Wir brauchen den Umschwung in den Köpfen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Lieferanten, Partner, Kunden, regionale Institutionen sehnen sich danach, Vertrauen zu schöpfen, wieder optimistisch sein zu dürfen. Das ganze Land tut das. Die Auswirkungen auf Wirtschaft, Märkte und Menschen, auf die ganze Nation, könnten frappierend sein. Die Wissenschaft zeigt, dass Vertrauen und Optimismus entscheidende Motoren für den Erfolg in Krisenzeiten sind. Gezielte politische Maßnahmen, Investitionen in Zukunftstechnologien und die Resilienz der deutschen Industrie machen Hoffnung. Wenn es gelingt, eine positive Stimmung zu erzeugen und den Glauben an die eigene wirtschaftliche Stärke wiederherzustellen, kann Deutschland gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. B2B-Marken können dazu ihren Beitrag leisten. Worauf warten wir? An die Arbeit, alle.

Autor
Jörg Dambacher
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