Der Trend zeigt abwärts. Die Ursachen dafür. Und der mögliche Relaunch.
Man kann Nationen wie Marken betrachten und bewerten. Menschen machen in Befragungen die Attraktivität von Nationen an konkreten Punkten wie wirtschaftlicher Stärke, Aufstiegschancen, Lebensqualität, politischer Stabilität, kultureller und sozialer Vielfalt, Innovation, Forschung, Technologie und Infrastruktur fest. Demzufolge müssen positiv bewertete Nationenmarken über eine gesunde Wirtschaft und ein Mindestmaß an Demokratie verfügen, weil nur so Wohlstand, Aufstiegschancen und eine einigermaßen gerechte Verteilung von beidem gewährleistet werden können. Staaten schaffen also im Grunde die Rahmenbedingungen für ein lebenswertes Leben. Und werden ihrer Grundfunktion als Marke gerecht, gemessen an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen.
Wir schreiben das Jahr 2025. Donald Trump wurde zum zweiten Mal zum Präsidenten der USA gewählt, Wladimir Putin kämpft nach wie vor seinen Krieg gegen die Ukraine, Xi Jinping zeigt mit China, dass es für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg nicht unbedingt eine Demokratie braucht und irgendwo zwischen diesen Seilen hängt Europa, in dessen Zentrum Deutschland sich entgegen aller Hoffnung überhaupt nicht von seiner Rezession befreien kann. Ganz im Gegenteil: Die Ampelkoalition hat sich im November 2024 zerschlissen, es stehen Neuwahlen an und Elon Musk tut alles, um diese Wahlen auf ganz spezielle Art zu beeinflussen. Zeit für ein Update unserer Standortbestimmung: Wo steht die Marke Deutschland Anfang 2025?
Brand Finance veröffentlicht auch 2024 sein besonders unter finanziellen Blickwinkeln erstelltes Ranking der wertvollsten Nation Brands. Sprich: Staaten werden finanziell eingeschätzt und mit einem Wert versehen, einer Art imaginärem Kaufpreis. 2023 rangiert Deutschland hinter den United States und China auf Rang drei. Auch 2024 belegt Deutschland unverändert hinter den beiden Riesen Rang drei.
Aber: Der Softpower-Index von Brand Finance bietet ein differenzierteres Bild. Dieser Index soll ein Verständnis dessen bieten, was die Welt als am wichtigsten erachtet, wenn es um Reputation, Einfluss und Empfehlung von Ländermarken als Investitions-, Handels-, Arbeits-, Studien- oder Reiseziele geht. Der Bericht stellt 2024 zunächst mal fest, dass in Zeiten globaler Unsicherheit und Instabilität wirtschaftliche Referenzen einen immer wichtigeren Beitrag zur Wahrnehmung eines Landes leisten. Attribute nationaler Marken wie eine starke und stabile Wirtschaft oder Produkte und Marken, die die Welt liebt, erweisen sich als Schlüsselfaktoren für Einfluss und Ansehen auf der Weltbühne. Deutschland fällt 2024 auf den 5. Platz zurück, nachdem es 2021 den Spitzenplatz, 2022 und 2023 den 3. Platz belegt hatte. Brand Finance: „Deutschland erlebte in diesem Jahr (2024) eine Stagnation und in vielen Fällen eine Verschlechterung der Wahrnehmung in allen Bereichen, mit einem erheblichen Rückgang um 14 Plätze bei „Guten Beziehungen zu anderen Ländern“ im Vergleich zu 2023, zusammen mit Rückgängen bei „Hilfe für Länder in Not“ und bei den Maßstäben der Vertrauenswürdigkeit. Dennoch erreichte Deutschland den Spitzenplatz bei der Regierungsführung und bleibt trotz einiger Punkterückgänge unter den Spitzenreitern beim Streben nach einer nachhaltigen Zukunft.
Der Anholt-Ipsos Nation Brands Index (NBI) befragt seit 2008 jährlich ca. 60.000 Menschen über 18 in 20 Ländern zur Wahrnehmung und zum Image von 60 ausgewählten Nationen. 2022 gehen die Imagewerte der Länder zwar insgesamt zurück, aber Deutschland belegt im Nation Brands Index zum achten Mal insgesamt und zum sechsten Mal in Folge den ersten Platz. 2023 verändert sich das Bild: Deutschland wird von Japan auf den zweiten Platz verdrängt. Für 2024 gibt es noch keine veröffentlichten Ergebnisse.
Beim Best Countries Ranking von U.S. News handelt es sich um eine Umfrage, bei der mehr als 17.000 Menschen in 36 Ländern verschiedene andere Länder mit spezifischen Attributen assoziieren. Platz eins belegt 2023 die Schweiz. Gefolgt von Kanada, Schweden, Australien, United States und Japan. Auf Rang sieben kommt dann Deutschland. 2024 sieht das Ranking so aus: Auf Platz eins erneut die Schweiz. Dann folgen Japan, USA, Kanada, Australien und Schweden. Deutschland belegt nach wie vor den siebten Platz.
Den Global Innovation Index 2023 führt ebenfalls die Schweiz an. Und Deutschland taucht hinter Schweden, den USA, UK, Singapur, Finnland und den Niederlanden auf Rang acht auf. 2024 sieht das Ranking so aus: Schweiz, Schweden, USA, Singapur, Großbritannien, Südkorea, Finnland, Niederlande und erneut auf dem achten Platz Deutschland.
Fazit: Die Veränderungen in der Wahrnehmung der Marke Deutschland scheinen sich zwischen In- und Ausland zu unterscheiden. Innerhalb Deutschlands wird die Situation wesentlich dramatischer angesehen als von außen. Aber es gibt einen Trend. Und der zeigt eindeutig abwärts.
Wie war das nochmal? Entscheidend für die Wahrnehmung einer Nationenmarke erachtet die Welt laut Soft Power Index von Brand Finance derzeit vor allem zwei Themen: Stärke und Stabilität der Wirtschaft. Und: Welche Produkte und Marken werden in der Welt geliebt? Genau die beiden Themen, bei denen Deutschland zunehmend schwächelt. Arbeitgeberpräsident Dr. Rainer Dulger fordert in seiner Rede zum deutschen Arbeitgebertag 2024 eine Befreiung des Wirtschaftsstandorts Deutschland: „Wir können den Wirtschaftsriesen Deutschland wieder entfesseln. Trotz aller Diskussionen sind wir ein starkes Land. Doch die Wirtschaft schrumpft. Die Arbeitslosigkeit steigt. Gleichzeitig nehmen Regulierung und Bürokratie zu und gut ausgebildete Fachkräfte werden knapper. Arbeitskosten und andere Belastungen steigen weiter. Je teurer ein Investitionsstandort ist, desto besser muss er sein. Das ist in Deutschland nicht mehr der Fall. Unsere Unternehmen sind noch wettbewerbsfähig, der Standort jedoch nicht mehr. Deutschland, einst ein Premiumprodukt, verliert an Qualität zu einem immer höheren Preis.“ Dulger unterscheidet also in der Betrachtung der Wirtschaftsstärke zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Standorts. Und der Zustand des Standorts scheint tatsächlich eine entscheidende Rolle für die Situation der deutschen Wirtschaft zu spielen.
Eine Ende Oktober 2024 von der Landesbank Baden-Württemberg veröffentlichte Studie versucht, dem auf die Spur zu kommen. Ihr Titel: „Woran die deutsche Wirtschaft krankt.“ Brachial zusammengefasst lässt sich sagen, dass die deutsche Wirtschaftsschwäche Ausdruck eines grundlegenden Strukturwandels ist. Dabei belasten sowohl Einflüsse von außen als auch hausgemachter Ballast. Die Aufholjagd wird laut den Autoren länger als der Abstieg der letzten vier, fünf Jahre dauern. Dabei geht die Studie aber noch tiefer und legt schonungslos offen, was derzeit mit der Wirtschaft, also mit dem Markenkern der Marke Deutschland passiert.
Seit Jahren pendelt die deutsche Wirtschaft zwischen minimalem Wachstum und ebenso kleiner Schrumpfung hin und her. Im Ergebnis lässt sich maximal von Stagnation sprechen. Das ist ungewöhnlich, wenn man auf die historischen Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes blickt, setzt aber die tendenzielle Abflachung der vergangenen Jahre fort. Das deutsche Wirtschaftswachstum hat im Verlauf der Jahrzehnte an Dynamik eingebüßt. Sorgen muss der internationale Vergleich machen. Nimmt man die entwickelten Volkswirtschaften, laut IWF 41 Staaten, lässt Deutschland auf Rang 33 im Jahr 2023 nur ein Fünftel der einbezogenen Länder in den Wachstumsraten hinter sich. Seit 2011 geht es für Deutschland in diesem Ranking tendenziell abwärts. Laut Prognosen des IWF wird Deutschland 2029 auf Platz 39 unter den 41 Ländern liegen. Nur Italien und Japan schneiden noch schlechter ab. Selbst wenn man berücksichtigt, dass wirtschaftlich höher entwickelte Nationen prinzipiell kleinere Wachstumsraten verzeichnen, muss diese Prognose große Sorgen machen.
Trotzdem herrscht in Deutschland häufig die Meinung, unverändert zu den reichsten Ländern der Welt zu gehören. Betrachtet man unter diesem Aspekt die Entwicklung des kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukts pro Kopf, dann zeigt sich, dass Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre noch im obersten Drittel der reichsten Volkswirtschaften verortet war und aktuell nur noch knapp zur oberen Hälfte gehört. Dazu passt: Das für Deutschland traditionell enorm wichtige verarbeitende Gewerbe verliert Jahr für Jahr an Bedeutung. 1991 lag sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt bei 25 %, 2023 bei 19 %. Von 1997 bis 2007 leistete das verarbeitende Gewerbe nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nahezu immer positive Beiträge zum Wirtschaftswachstum, die teilweise sogar über einen Prozentpunkt betrugen. In den vergangenen Jahren dagegen kam der Konjunkturmotor Industrie ins Stottern. Seit 2018 ist die Produktion des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland rückläufig. Und: Die Exporte geraten mehr und mehr unter Druck. Eine ausführlichere Zusammenfassung der Studie lesen Sie im angehängten Beitrag, in dem vor allem die acht wesentlichen Gründe aufgeführt werden, warum der deutschen Wirtschaft in den letzten beiden Jahren jegliche Wachstumsdynamik verloren gegangen ist.
Und die ist notwendig, Deutschland braucht diese Hoffnung. Denn aus Hoffnung entsteht Zuversicht und wer derartige Aufgaben vor der Brust hat wie unser Land, sollte sie mit Mut und Zuversicht angehen. Es wird keine einfachen Lösungen geben. Damit die Wirtschaft langfristig und strukturell wieder Tritt fasst, braucht es ein umfassendes und mutiges Reformpaket, das möglichst viele der in der Studie beschriebenen Wachstumshemmnisse aus dem Weg räumt. Dazu reicht es nicht, bei der nächsten Bundestagswahl die handelnden Personen auszutauschen. Es braucht mehr. Und hier könnte die Marke Deutschland eine Menge beitragen. Denn es geht darum, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, ihren persönlichen Beitrag zu leisten. Marken können so etwas auslösen. Sie sind in der Lage, Menschen hinter sich zu bringen, an sich zu binden. Marken können Begeisterung auslösen, Veränderungen einleiten und begleiten. Genau diese Fähigkeiten braucht die Marke Deutschland mehr denn je.
Um unsere Marke für uns nutzen zu können, muss sich unser Land ihrer an erster Stelle bewusst werden: Ja, Deutschland ist eine Marke. Eine Marke mit einem geradezu genialen Claim, der uns unabsichtlich geschenkt wurde: Made in Germany. Wir waren lange in der Lage, aus dieser Botschaft durch unser Verhalten, durch Können und Fleiß ein starkes Markenversprechen zu machen. Wir wurden gekauft für Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Organisationstärke, Ingenieurshöchstleistungen. Wir konnten uns lange, sehr wahrscheinlich zu lange, auf den Glauben darauf verlassen, dass das noch ewig so weitergehen wird. Jetzt haben sich aber – siehe Studie – entscheidende Rahmenbedingungen geändert. Wir haben uns geändert, wir können keine Flughäfen oder Bahnhöfe mehr in weniger als 10, 15 Jahren bauen, unsere Autos werden in der Welt nicht mehr in der Menge gekauft, die wir gewohnt sind, unser Internet ist zu langsam, unsere Autobahnbrücken marode und unsere Züge sind ständig unpünktlich. Und weil wir über all die Jahre unsere Marke mit ihrem überragenden Ruf einfach hingenommen haben, wie selbstverständlich als gegeben betrachtet und nichts dafür getan haben, verblasst unser guter Ruf, unsere Reputation schneller, als wir erwartet haben. Das, um was wir uns bislang nie wirklich gekümmert, was wir einfach gelebt und irgendwie erfüllt haben, entgleitet uns zunehmend. Zur Erinnerung: Die Marke Deutschland ist laut Brand Finance 4,98 Trillionen USD wert. Dafür lohnt es sich, etwas zu tun.
Made in Germany braucht einen Relaunch. Für diesen Relaunch müssen alle, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft ihren Beitrag leisten. Die in der Studie der LBBW aufgezeigten, hausgemachten Probleme müssen gemeinsam, unmittelbar und zeitnah angegangen werden. Dabei handelt es sich um die Klassiker, die in jeder politischen Talkshow rauf- und runtergebetet werden: Zeitgemäße Energiepolitik, Zuwanderung von Fachkräften, die zumindest teilweise die durch die Demografie ausgelösten Engpässe ausgleichen kann, weniger Arbeitskosten und Steuern, weniger Regulierung, mehr Arbeitsanreize und Erleichterungen für Gründerinnen und Gründer. Plus: Mehr Investitionen in die Infrastruktur, Verbesserung von Bildung und Ausbildung. Und, ganz wichtig: Ein verändertes Mindset.
Und genau bei diesem letzten Punkt schlägt die Stunde der Marke. Unternehmen, Vertretungen, Verbände, Hochschulen und Organisationen aus Marketing und Werbung müssten sich zusammentun und deutlich machen, wie wichtig es für uns alle ist, dass wir uns unserer Marke bewusst werden. Dass wir die aufgezählten Projekte gemeinsam angehen. Dass wir unsere Reputation, unseren guten Ruf in der Welt wieder zurückgewinnen, unser Markenversprechen neu aufladen, Made in Germany neu definieren. Dass wir zu einer frischen, modernen, attraktiven Brand Experience von Deutschland alle unseren Beitrag leisten können. Und müssen. Und dass wir vor allem zusammenhalten und gemeinsame Ziele verfolgen.
Und noch was: Wir laden nicht nur Made in Germany neu auf. Es braucht noch einen zweiten wichtigen Schritt. Zum ersten Mal in der Geschichte sollten wir auch verbindlich verankern, was man dafür tun muss, um diesen wertvollen Claim nutzen zu dürfen. Olaf Scholz schlägt zum Auftakt seines Wahlkampfs im Januar 2025 einen „Made in Germany-Bonus“ vor. Er verspricht eine „unkomplizierte Steuerprämie“ in Höhe von zehn Prozent pro Investitionskosten. Das erspare Unternehmen „unnötige Bürokratie“ und unterstütze „dringend notwendige Zukunftsinvestitionen direkt am Standort Deutschland“. Dass das nicht unbedingt von großem Glauben an die eigene Markenstärke zeugt, muss ihm vielleicht mal jemand erklären. Und dass es nicht darum gehen kann, den Unternehmen einerseits höchste Belastungen am Standort Deutschland zuzumuten, um sie andererseits wieder mit Subventionen anzufüttern ist eine Diskussion, die in der Politik geklärt und von Wählerinnen und Wählern bewertet werden muss. Experten aus Wirtschaft und Forschung haben zum angesprochenen Vorschlag jedenfalls eine sehr eindeutige Meinung. Aber zurück zum Thema: Marke verankern. Was meinen wir damit?
Es braucht eine Initiative, die für eine gesetzliche Verankerung der Marke Deutschland mit ihren Werten und Eigenschaften sorgt. Die Bedingungen für Made in Germany verbindlich definiert. Nach dem Vorbild der Schweiz, die bekanntlich den Nations Brand Index in der Markenstärke anführt. Was machen die Schweizer anders? Bereits 1971 wurde die erste Fassung des sogenannten Swissness-Gesetzes erlassen. Der Anlass: Zu verhindern, dass die prestigeträchtige Herkunftsbezeichnung durch minderwertige Produkte und eine inflationäre Verwendung von ähnlichen Begriffen entwertet wird. Fakt ist, dass zum Beispiel Uhren, die das Siegel Swissmade führen, in einer Größenordnung zwischen 20 und 50 Prozent besser bezahlt werden als qualitativ vergleichbare Produkte aus anderen Ländern. Während Deutschland also Made in Germany einfach hinnimmt und dabei zuschaut, wie die Entwertung durch die Verwendung ähnlicher Begriffe und Herkunftsbezeichnungen stattfindet, hat die Schweiz vor über 50 Jahren die Zeichen der Zeit erkannt und sich davor geschützt. Das Gesetz wird laufend aktualisiert, die letzte Version stammt aus dem Jahr 2017. Das Ergebnis: Eine eindeutig wahrgenommene Markenstärke der Schweiz. Und in Deutschland wird mittlerweile diskutiert, ob man Firmen mit Subventionen davon überzeugen muss, Made in Germany nutzen zu dürfen. Wir brauchen ein Made in Germany-Gesetz, eine Made in Germany-Verordnung. Mehr als dringend.
Kommen wir zum Abschluss noch einmal auf die Studie der LBBW zurück. Unter der Überschrift „Verändertes Mindset“ heißt es da: Motivation, Veränderungsbereitschaft und Risikofreude der Menschen wirken sich auf unterschiedliche Weise auf Arbeitseinsatz, Kapitalstock und Produktivität aus. Zusammenfassend kann man sagen: Deutschland braucht mehr Mut, weniger Angst vor neuen Herausforderungen, höheren Arbeitseinsatz und eine größere Veränderungsbereitschaft. Klassische Themen, die von Marken und Markenkommunikation direkt beeinflusst werden können. Wir arbeiten also erstens gemeinsam an unserem großen Projekt, am Standort Deutschland. Wir gehen die strukturellen Probleme an, die wir ändern können und müssen. Zweitens: Wir leiten parallel einen Relaunch der Marke Deutschland ein. Ein Prozess, der ideal ist, um die Umwälzungen im Land zu begleiten. Drittens: Wir schützen unsere Marke per Gesetz und dokumentieren damit, wie ernst es uns ist. Schwierig, aber machbar. Und vor allem ein Silberstreif am Horizont.
Zusammenfassung der Studie der LBBW vom Oktober 2024
Für ein besseres Verständnis der Gründe für die schrumpfende Wachstumsdynamik in Deutschland hilft laut den Autoren das Konzept der Produktionsfunktion. Sie besagt, dass das Wirtschaftswachstum durch die Vermehrung der Produktionsfaktoren Arbeits- und Kapitaleinsatz sowie durch die Steigerung der Produktivität bestimmt wird. Arbeit bedeutet die menschliche Arbeitsleistung im Rahmen des Produktionsprozesses. Die Menge an Arbeit kann durch Bevölkerungsgröße oder Arbeitsmarktbedingungen beeinflusst werden. Kapital umfasst die materiellen Ressourcen, die für die Produktion verwendet werden, also Maschinen, Gebäude und Infrastruktur. Investitionen in den Kapitalstock eines Landes erhöhen in der Regel die Produktionskapazitäten und fördern damit das Wirtschaftswachstum. Eine höhere Produktivität bedeutet, dass mit den gleichen Mengen an Arbeit und Kapital mehr produziert werden kann. Produktivitätssteigerungen können zum Beispiel durch technologischen Fortschritt oder eine bessere Ausbildung von Arbeitskräften erreicht werden. Wenn also, wie in Deutschland durch die demografische Entwicklung absehbar, die Erwerbsbevölkerung massiv schrumpft, muss das Wirtschaftswachstum aus einer Steigerung von Kapital und Produktivität kommen.
Betrachtet man alle drei Faktoren, dann muss man leider zu dem Schluss kommen, dass Deutschland seit dem Jahr 2000 insbesondere beim Zuwachs im Kapital gegenüber den USA, aber auch der EU deutlich zurückgefallen ist. Ebenso bei der Steigerung des Faktors Arbeit konnte Deutschland insbesondere in den vergangenen Jahren nicht mehr mithalten. Bei der Produktivitätssteigerung sieht es ab 2015 sogar ziemlich dramatisch aus. Hier hat sich die deutsche Volkswirtschaft schlechter als die EU als Ganzes entwickelt. Von den USA ganz zu schweigen. Und für diese Entwicklung werden acht ganz konkrete Gründe genannt.
Erstens: Die Globalisierungsparty ist vorbei
In den jüngsten Jahren versuchen viele Länder, ihre Wirtschaft durch Zölle und Handelshemmnisse zu schützen. Allen voran China und die USA. War vor der Finanzkrise nur 1 % der weltweit gehandelten Güter von Importrestriktionen betroffen, lag die Quote 2023 bei 9,9 %. Mit einer Exportquote von 43 % des BIP im Jahr 2023 hängt Deutschlands Wertschöpfung stark an der Auslandsnachfrage. Die Zunahme von Einfuhrhemmnissen und Sanktionen führt dazu, dass Unternehmen Produktionen ins Ausland verlagern, um dort zu produzieren, wo die Absatzmärkte sind. Hinzu kommt, dass die Politik in den USA und China mit Subventionen, Steueranreizen oder einfach nur Drohungen und Druck Unternehmen zur Ansiedlung bewegen wird.
Zweitens: Rohstoffe und Energie
Deutschland ist auf eine stabile Versorgung mit Energie und Rohstoffen angewiesen. Einen Großteil davon muss das Land aus dem Ausland beziehen. Insbesondere bei Energieträgern hat der Anteil der Importe seit 2015 sowohl für Deutschland als auch für die EU stark zugenommen. Geopolitische Spannungen und weltweite Krisen haben die Verwundbarkeit der globalen Lieferketten und eine hohe Abhängigkeit von wenigen Zulieferländern zum existenziellen Problem werden lassen. Der deutliche Anstieg der Energiepreise sowie eine wackelige Versorgungslage bei kritischen Rohstoffen verstärken die Sorge, es könnte eine Deindustrialisierung drohen. Angesichts der Notwendigkeit von mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit wird die Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen zum zentralen Faktor. Laut Umfragen der DIHK denken mehr als 50 Prozent der industriellen Großbetriebe wegen Energiefragen an Produktionseinschränkung oder Abwanderung.
Drittens: Klimaneutralität 2045
Bis zum Jahr 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine umfassende Energiewende notwendig. Das erfordert massive Investitionen. Der Produktionsausstoß erhöht sich damit aber nicht automatisch. Der Wohlstand steigt dadurch ebenfalls nicht. Der komplexe und tiefgreifende Transformationsprozess wird mindestens das kommende Jahrzehnt prägen. Praktisch alle Branchen der Industrie sind betroffen, was in Deutschland deutlich massivere Auswirkungen hat als in Staaten mit weniger Industrieprägung. Im Zentrum dürften Chemie-, Stahl- und Autoindustrie stehen. Allein in der Automobilindustrie dürften laut einer ifo-Studie bis 2030 rund 215.000 Arbeitsplätze vom Wandel betroffen sein.
Viertens: Demografie, Deutschland altert zu sehr
Die in den 1960er Jahren geborenen geburtenstarken Jahrgänge verlassen sukzessive den Arbeitsmarkt. Das wäre an sich kein Problem. Allerdings hat die sogenannte Boomer-Generation selbst zu wenige Kinder in die Welt gesetzt. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren stagniert im Vergleich zu anderen Industrienationen. In den kommenden Jahren wird der deutsche Arbeitsmarkt jährlich netto eine knappe halbe Million Menschen altersbedingt verlieren, weil mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als junge Leute nachkommen. Das entspricht ungefähr einem Prozent der derzeitigen Beschäftigung in Deutschland. Es bräuchte also ein Prozent Arbeitsproduktivitätswachstum pro Jahr, damit die Wirtschaft nicht schrumpft. In der letzten Dekade lag der Anstieg immer darunter.
Fünftens: Der Staat. Zu hohe Arbeitskosten und Steuern, zu viel Regulierung, zu wenig Arbeitsanreize
Arbeit ist in Deutschland zu teuer. Das beginnt bei den Lohnnebenkosten. Unter den OECD-Ländern weist Deutschland die zweithöchsten auf. Mit einer Quote von fast 50 % für einen alleinstehenden Arbeitnehmer rangieren wir deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 34,8 %. Die USA, Australien und Korea liegen dagegen unter 30 %. Auch die Arbeitskosten liegen in Deutschland vergleichsweise hoch. Nach einer Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) rangiert Deutschland hier 2023 in einer Liste aller Staaten im Euroraum auf Platz 5 von 27. Weiter fällt die hohe Steuerbelastung der Gewinne auf: Neben der Körperschaftsteuer von 15 % kommt die Gewerbesteuer, die zwischen 7 und 22,75 % schwankt und landesdurchschnittlich 13,5 % beträgt. Andere Länder haben hier in den zurückliegenden Jahren gesenkt. Deutscher Stillstand bedeutet also eine Verschlechterung der Position im Wettbewerb um Ansiedlungen.
Regulierung: Das deutsche Unternehmertum hängt an der bürokratischen Leine. Dabei fühlen sich insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen überfordert. Der Papierkram nimmt überproportional viel Zeit in Anspruch, die dann in produktiven Bereichen des Unternehmens fehlt. Umfragen ergeben regelmäßig, dass Bürokratie in deutschen Unternehmen als größtes Investitionshemmnis gilt, gefolgt von der Wirtschaftspolitik. Internationale Vergleiche bestätigen, dass Deutschland in besonderem und zunehmendem Maße von Bürokratie-Overkill geplagt ist. Der Normenkontrollrat (NKR) bezeugt regelmäßig den Anstieg der Erfüllungskosten. 2023 hat sich die aus Bundesrecht stammende Belastung von Unternehmen, Behörden und Bevölkerung gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht. Zusammen mit dem aus der EU entstehenden Aufwand ergibt das eine zunehmend schwieriger zu stemmende Belastung.
Gründen ist komplex und deshalb selten. Marktwirtschaft lebt vom Kommen und Gehen. Veraltete Geschäftsmodelle gehen, zukunftsträchtige Geschäftsideen kommen. Beides gehört dazu, sollte aber einigermaßen im Gleichgewicht sein. Genau das fehlt aktuell. Steigenden Insolvenzzahlen stehen zu wenige Gründungen gegenüber. Gerade im Strukturwandel kommt es aber besonders auf junge Unternehmen an. Umso wichtiger, Unternehmensgründungen zu vereinfachen. Im internationalen Vergleich ist es in Deutschland jedoch viel mühevoller, ein Unternehmen zu gründen als anderswo. Nach Untersuchungen der Weltbank bedurfte es 2020 in Deutschland neun administrativer Prozesse, in Großbritannien waren es vier, in Kanada nur zwei. Auf einer Skala, die 190 Länder nach dem Kriterium sortiert, wo es am einfachsten ist, ein Unternehmen zu starten, landet Deutschland auf Rang 125, zwei Plätze vor Österreich. Am einfachsten ist es in Neuseeland, Großbritannien landet auf Rang 18, die USA auf Platz 55.
Zu wenig Arbeitsanreize für mehr Wachstum. Tatsächlich ist Deutschland nicht besonders auffällig in seinen Sozialtransfers. Im Vergleich der 27 EU-Länder befinden wir uns im oberen Mittelfeld. Ob Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld, Rente - Deutschland ist in den letzten 25 Jahren von der Spitze ins Mittelfeld abgerutscht. Trotzdem: Eine großzügige Arbeitslosenversicherung kann die Bereitschaft reduzieren, eine Beschäftigung zu suchen. Im internationalen Vergleich scheint die Unterstützung für Arbeitslose in Deutschland zwar nicht außergewöhnlich großherzig, oft ist es weniger als anderswo. Aber: Die maximal mögliche Unterstützung ist in Deutschland deutlich höher als anderswo. Und: Der Berechtigungszeitraum liegt mit maximal 24 Monaten am oberen Rand der internationalen Standards. Für Langzeitarbeitslose gilt das Bürgergeld, dessen Regelbedarfe zuletzt deutlich gestiegen sind. Es gilt also, Arbeitsanreize zu schärfen und die Lücke zwischen Sozialtransfer und Erwerbseinkommen wieder wachsen zu lassen.
Sechstens: Der Investitionsstau in der Infrastruktur
Der Rückstand der öffentlichen Investitionen lässt sich in Deutschland auf einen mittleren dreistelligen Milliarden-Euro-Betrag beziffern. Eine im Mai 2024 veröffentlichte Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung listet allein 200 Mrd. EUR bei kommunalen Investitionen (vorrangig ÖPNV) auf, dazu 40 Mrd. EUR für Schulen und Hochschulen sowie 100 Mrd. zum Ausbau der Fernstraßen und Schienennetz. Zusätzlich sind pauschal 200 Mrd. EUR für Maßnahmen der Anpassung an den Klimawandel vorgesehen. Alles in allem fehlen laut dem Institut der Hans-Böckler-Stiftung also 540 Mrd. EUR. Die Bedeutung der Infrastruktur für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes liegt auf der Hand. Angesichts der Umstände, die wir hierzulande täglich erleben, erscheinen diese Zahlen keineswegs zu hoch gegriffen.
Siebtens: Bildung und Integration: Note mangelhaft
Deutschland hat Defizite bei Bildung, Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung. Und die haben Konsequenzen. Im jüngsten PISA-Vergleichstest ist Deutschland abgestürzt, im Fach Mathematik befinden sich unsere Schüler unter dem OECD-Schnitt. Fast 50.000 junge Menschen verlassen jedes Jahr die Schule ohne Hauptschulabschluss. Eine Folge: Es wird mehr einfache Arbeit angeboten und weniger hochqualifizierte. Für ein hochentwickeltes Land eine ungute Tendenz. Auf längere Sicht drückt die Betonung einfacher Arbeit das Produktionspotenzial der gesamten Volkswirtschaft. Ein Nachlassen bei den Bildungsanstrengungen schlägt sich demnach in einem flacheren Produktivitätsfortschritt nieder. Die Alternative könnte ein Zuzug gut ausgebildeter Fachkräfte aus dem Ausland bilden. Dem steht jedoch eine zunehmende Ablehnung in Teilen der deutschen Bevölkerung gegenüber. Auch gelingt die Integration gut Ausgebildeter in Deutschland nur eingeschränkt. An Investitionen in Bildung, Weiterbildung, Ausbildung, Fortbildung führt also kein Weg vorbei.
Achtens: Das andere Mindset
Neben den harten Daten und Fakten zur ökonomischen Wirklichkeit der ersten sieben Gründe gibt es noch einen weiteren wichtigen Einflussfaktor: Motivation, Veränderungsbereitschaft und Risikofreude der Menschen wirken sich auf unterschiedliche Weise auf Arbeitseinsatz, Kapitalstock und Produktivität aus. Sieht man von geographischen Voraussetzungen und historischen Abhängigkeiten ab, so sind für die Wachstumsquellen eines Landes kulturelle und soziale Entwicklungen langfristig entscheidend. Sie beeinflussen maßgeblich Gesetze und Normen einer Volkswirtschaft, die dann wiederum ökonomische Verhaltensanreize für die Bürger setzen. Das Mindset, die Summe unserer Haltungen, prägt durch unser tägliches Handeln den Arbeitsmarkt und das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum:
Je fleißiger wir sind, desto größer ist der Input des Produktionsfaktors Arbeit. Je digitaler wir heutzutage sind, desto stärker wächst die Produktivität. Und unsere Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, wirkt indirekt auf die Kapitalbildung in unserer Volkswirtschaft. Das Mindset bestimmt aber auch das staatliche Handeln. Denn das wird letztlich durch die Wünsche und Bedürfnisse der Wählerinnen und Wähler angetrieben. Zusammenfassend kann man sagen: Deutschland braucht mehr Mut, weniger Angst vor neuen Herausforderungen, höheren Arbeitseinsatz und eine größere Veränderungsbereitschaft.