Im Gespräch mit Prof. Dieter Leuthold
Gefühlt hocken wir alle nur noch vor unseren Handys und scrollen durch die sozialen Medien. Doch eine Marketingmaßnahme erfreut sich bei Marken und Kund*innen immer größerer Beliebtheit: Firmenmuseen. Der Wissenschaftler Prof. Dieter Leuthold beschäftigt sich bereits sein ganzes Berufsleben mit der Geschichte sowie Kommunikation von Unternehmen und erzählte uns im Interview, warum Firmenmuseen so erfolgreich sind und wieso er den Begriff “Museum” in diesem Kontext als unpassend empfindet.
ist 1942 in Berlin geboren, Wissenschaftler und Experte für Unternehmensgeschichte und -kommunikation. Er studierte Geschichte, Deutsch und Sozialkunde in Bonn sowie Berlin und schlug zunächst eine Laufbahn als Lehrer ein. Ab 1973 widmete er sich zunehmend der Wissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft in Bremen, die er mehrfach als stellvertretender Rektor leitete. 1978 wurde Leuthold zum Professor ernannt. Sein publizistisches Werk umfasst diverse Firmengeschichten und Unternehmerpublikationen. Seit 2000 leitet er das von ihm gegründete Institut für Unternehmensgeschichte (IFUG) an der Hochschule Bremen.
Herr Leuthold, eine Online-Enzyklopädie bezeichnet Sie als Wissenschaftler auf den Gebieten der Unternehmensgeschichte, Unternehmenskommunikation und Berufsbildung. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Das ist eine interessante Geschichte und hängt natürlich eng mit meiner Biografie zusammen. Ich bin in Berlin an der Freien Universität in Seminaren des Historikers Richard Dietrich gesessen, einem Berliner Historiker. Der hat mich darauf gebracht. Ich wohnte damals in Berlin-Kreuzberg. Gucken Sie sich im Vergleich dazu doch einmal um, welche größeren Unternehmen heute bei Ihnen in Stuttgart in der Nähe sind. Bei mir fand ich die Deutschen Telephonwerke, dort habe ich mich als Werkstudent beworben. Damals wie heute übrigens eine wichtige Funktion für Studenten, die mit dem Geld von zu Hause nicht auskommen. Und dann habe ich als Werkstudent relativ schnell das Archiv der Deutschen Telephonwerke kennengelernt. Das war 1961. Als ich 1966 mein Staatsexamen hatte, war ich erstmal Lehrer und habe in dieser Zeit, ausgehend von meiner Staatsexamensarbeit, die Chronik der Deutschen Telephonwerke mitverfasst. Diese ist 1970 erschienen.
Nun beschäftigt sich unser Magazin mit Marken. Jedes Unternehmen ist auch eine Marke. Wie unterscheiden sich diese Begriffe für Sie?
Ich bin historischer Dienstleister, ich stelle den Unternehmen mein Know-how und natürlich auch meine Bibliothek zur Verfügung. Anfangs hat sich das immer sehr auf die Geschichte der Unternehmen, also Unternehmerbiografien und Unternehmensmonografien fokussiert. Ohne ein gutes Unternehmensarchiv kann man kaum eine Unternehmensgeschichte schreiben. Im Laufe der Jahre habe ich dann nach Gesprächen mit verschiedenen Leuten gemerkt: Das reicht eigentlich nicht. Es gibt einen Bogen zum Marketing. Im Grunde ist doch jedes Unternehmen auf seine Art einzigartig. Und es muss versuchen, auf diese Einzigartigkeit aufmerksam zu machen. Sowohl nach innen als auch nach außen. Stichwort: Identifikation mit dem Unternehmen. Das wissen Sie vermutlich selbst in Ihrer Agentur, wie schwierig es ist, vor allem junge, qualifizierte Menschen auf sich aufmerksam zu machen.
Können Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen?
Ich habe mich einmal mit der sogenannten Schokoladenkönigin beschäftigt, Prinzessin Feodora. Eine Schokoladenmarke, die viele Jahre in Bremen im Hause Hachez produziert wurde und deren Name auf eine real existierende Persönlichkeit zurückgeht. Der damalige Unternehmensinhaber hatte mich beauftragt, mich mit dieser Marke zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang habe ich erfahren, dass Hachez ein Schokoladen-Firmenmuseum entwickelt hat, das sogenannte Chocoversum in Hamburg. Dieses existiert bis heute, wird allerdings inzwischen unabhängig von einem anderen Unternehmen betrieben.
Was ist das Besondere an diesem Chocoversum?
Dass es die Besucher zum Mitmachen einlädt. Sie können bei der Produktion zusehen und ihre eigene Schokolade kreieren. Natürlich alles im Miniformat. Im Grunde ist es eine Erlebniswelt, das ist ja auch einer der ganz wichtigen Begriffe: Adventure. Sie können in die Welt der Schokolade eintauchen. Inzwischen haben andere Marken ähnliche Formate. Lindt veranstaltet in Zürich sogenannte Schokoladentouren, bei denen die Besucher den Weg von der Kakaobohne bis zum fertigen Produkt spielerisch selbst erleben können.
Warum ist dieser Erlebnisfaktor so wichtig?
Man will mit solchen Einrichtungen nicht nur Einzelpersonen gewinnen, sondern Familien. Es kommen in der Regel immer Gruppen aller Altersklassen. Denken Sie zum Beispiel an das Museum des Modelleisenbahnherstellers Märklin, das Märklineum. Da kommen die Großeltern, die Eltern, die Kinder und die müssen alle abgeholt werden. Das geht am besten durch Anfassen und Mitmachen.
Dies ist auch der Unterschied von solchen Firmenmuseen zu klassischen Museen mit wissenschaftlicher Orientierung. Im Deutschen Museum in München oder dem Deutschen Technikmuseum in Berlin können Sie wichtige Maschinen und Erfindungen sehen. Aber Firmenmuseen können und wollen am Ende eben auch richtig verkaufen. Deshalb tätigen sie diese Investitionen.
Ritter Sport hat ein Museum für quadratische Kunst. Das ist nochmal ein anderer Ansatz.
Ja, aber da wollen sie auch Eintrittsgeld haben und ständig den Markennamen oder die Verbindung zum Produkt betonen. Das ist auch hier das Ziel, die Marke erlebbar zu machen.
Sie betonen stets, Historiker zu sein. Wie gehen Firmenmuseen denn mit den historisch “dunklen Zeiten” um?
Ein Unternehmen sollte seine Geschichte niemals verschweigen. Erst recht, wenn viele Quellen verfügbar sind. Und es gibt immer wieder jemanden, der Neues findet. Meine Empfehlung: Mit offenem Visier vorangehen. Viele beschäftigen dafür unabhängige Wissenschaftler. Ich persönlich bin der Meinung: Die negativen Ereignisse während der NS-Herrschaft gehören – soweit möglich – aufgeklärt. Mich beeindruckt aber, was danach kam: Enorme Aufbauarbeit. Ich habe einige Biografien und Unternehmensgeschichten verfasst und begriffen: Das gehört dargestellt, das ist ein Wert und letztendlich auch der Wert des Unternehmens. Sowohl nach innen als auch nach außen. Wenn Mitarbeiter mitbekommen, dass nach 1945 alles zerbrochen war und mit welchem Mut und welcher Leistungsbereitschaft alles wieder aufgebaut wurde, dann kann das auch heute noch einen positiven Effekt haben.
Lassen Sie uns ein paar Jahrzehnte springen. Es kamen die sogenannten neuen Medien, allen voran Social Media durch das Internet. Wie passen der digitale Raum und Firmenmuseen zusammen?
Der Begriff “Museum” wird ja von den modernen Einrichtungen kaum noch verwendet. Das klingt so veraltet, etwa nach “wir gehen jetzt in den Gottesdienst”. Das wollen die Firmen natürlich nicht. Ich glaube, dass gerade das zuvor Erwähnte für die reale Welt spricht: Man geht da durch, man fasst etwas an. Im Fall des Schokoladenmuseums kann man sogar etwas essen und schmecken. Ich finde das eine gute Entwicklung. Und am Ende gestehen sich die Firmen damit auch ein, dass es keine Museen sind, sondern Werbeveranstaltungen zur Stärkung des Verhältnisses zur Marke. Wenn es ein schöner und interessanter Tag war, hat die Marke gewonnen.
Sie haben sicher schon viele Firmenmuseen besucht. Welches hat Sie am meisten beeindruckt?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Aber ein schönes Erlebnis war sicher das zuvor genannte Chocoversum, das ich mit meiner Familie besucht habe. Kurz nach der Wende war ich außerdem in einem Automuseum in Zwickau, der Stadt von August Horch, einem Pionier in der Autofabrikation. Heute kennen die meisten nur noch Audi, was die lateinische Form seines Namens ist. Es hat mich beeindruckt, dass nach dem Ende der DDR Unternehmer und Werk in dieser Form gewürdigt wurden. Verglichen mit heute gab es dort aber sehr wenig, etwa ein paar alte Broschüren, die schon damals veraltet waren. Da hat man heute viel modernere und wohl auch bessere Ansätze.