In Zeiten, in denen von vielen Seiten auf die Marke Deutschland eingehauen wird, interessiert uns natürlich, wie die Unternehmen für die wir arbeiten dieses Thema sehen. Von Peter Strobel, Geschäftsführer für Markt und Innovation bei Siedle, haben wir viel über seine Sicht erfahren.
Peter Strobel, 60, ist seit Januar 2023 neuer Geschäftsführer für Markt und Innovation bei S. Siedle & Söhne in Furtwangen im Schwarzwald. Bis zu seinem Wechsel in die Geschäftsführung war Strobel neun Jahre lang Geschäftsleiter der Unternehmenskommunikation.
Ganz spontan zum Auftakt: Was fällt dir ein, wenn du an Deutschland als Marke denkst, wie sie gerade performt?
Ich finde, dass die Marke gerade sehr beschädigt wird – auch von Wirtschaftsvertretern. Und leider oft aus durchsichtigen, meist politischen Gründen. Ich finde das bedauerlich und eigentlich auch unverständlich.
Du denkst an Leute wie Herrn Weimer (CEO der Börse Frankfurt, Anm. d. V.)?
Ich denke unter anderem an Herrn Weimer. Der ist besonders exponiert, aber das zieht sich durch. Ich denke generell an alle, die den Standort schlecht reden, obwohl sie von ihm leben. Die hauen zwar auf eine bestimmte politische Richtung, aber vielleicht merken sie gar nicht, was sie alles mit treffen. Ich finde das unsinnig und schwer nachvollziehbar, weil ich den Standort Deutschland bei aller berechtigten Kritik nach wie vor exzellent finde. Wir sollten lieber die Auswüchse am Rand bekämpfen, statt das ganze Gebilde im Kern zu beschädigen. Ich mache es am Beispiel Bürokratie fest: Bei den öffentlichen Äußerungen von Herrn Weimer und anderen denkt man ja: Oh Gott, das Land ist total sklerotisch, da passiert gar nichts mehr. Aber die Realität ist, dass wir eine gut funktionierende Verwaltung haben, die nicht korrupt ist. In der Regel ist sie auch verlässlich, indem sie Bezugsrahmen für die Wirtschaft schafft. Das sind Assets, die findet man in vielen Ländern dieser Welt und selbst in Europa so nicht.
Das kommt dir zu kurz?
Ja, schon. Denn stattdessen heißt es beispielsweise: Einen Pass zu beantragen ist bei uns sehr kompliziert. Das mag so sein. Aber es ist nur ärgerlich, nicht wirklich entscheidend. Wichtiger ist: Ändert es sich zum Besseren, und kann man sich auf Termine, Verfahren, Gebühren verlassen? Ich würde diese Fragen mit Ja beantworten. Und schon ergibt sich ein viel positiveres Bild, ohne dass Kritik unter den Tisch fällt. Richtig ist natürlich, dass Unternehmen vielen Regularien unterworfen sind, die man sich smoother im Prozess wünscht. Und oft wäre weniger mehr. Aber Verlässlichkeit in Politik und Verwaltung, das ist doch das, was wir brauchen und was viele suchen. Und da frage ich mich, warum man lieber die Marke Deutschland in ihren Grundfesten kaputtredet, statt gemeinsam an Verbesserungen zu arbeiten.
Aber die Realität ist, dass wir eine gut funktionierende Verwaltung haben, die nicht korrupt ist.
Ein schöner Einstieg. Das Thema Weimer hatte ich mir eigentlich für später aufgehoben (Beide lachen). Aber diesbezüglich hat sich ja auch Stefan Hartung von BOSCH ähnlich wie du geäußert: Dass Deutschland ganz viele Dinge bietet, die so nur am Standort Deutschland möglich sind. Vielleicht eine gute Überleitung: Ihr steht schon immer treu zu eurem Standort Furtwangen. Wo siehst du speziell hier die Vorteile?
Das Bekenntnis zu Furtwangen im Hochschwarzwald ist persönlich begründet – die Unternehmerfamilie Siedle stammt von dort und hat den engen Bezug zum Standort auf das Unternehmen übertragen. Aber Furtwangen ist auch ein Teil von Deutschland. Darum haben wir das, was Deutschland ausmacht, auch in Furtwangen.
Ich bin gespannt…
Wir haben wie alle Unternehmen ein Rekrutierungsproblem vor uns – speziell im Fachkräftebereich. Dort wiederum vor allem bei digitalen Themen. Es fängt bei Elektronikern an und reicht über Social-Media-Expertinnen bis zur KI-Exzellenz. Unser Riesenglück ist die Hochschule Furtwangen, die junge Menschen anzieht und ausbildet. Wir profitieren von den jungen Leuten, die aus aller Welt kommen, aber durchs Studium in Furtwangen heimisch geworden sind. Ein zweiter Vorteil – und da sind wir wieder eher bei der Marke Deutschland – ist die Tradition im Hochschwarzwald: Da ist das Tüfteln, dieses Mindset, das noch aus der Uhrenherstellung stammt und sich tradiert hat. Früher war es Feinmechanik, heute geht es immer mehr in den Bereich Elektrotechnik und Elektronik. Dazu eine gewachsene Struktur aus Familienunternehmen, die Siedle ähneln – also überschaubare, mittlere Größe, sehr flexibel, agil, vorwärtsgewandt, aber gleichzeitig nicht auf die Quartalsrendite fixiert. Und das wissen die Politiker in der Region auch. Landräte, Bürgermeister, die kennen und schätzen die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Und das kaputt zu reden – siehe oben – ist eigentlich ziemlich fahrlässig. Denn wenn ich so etwas höre, warum soll ich dann als Investor nach Deutschland kommen? Oder hier bleiben?
Ist die Marke Deutschland für die Marke Siedle hilfreich – oder eher hinderlich?
Sie bringt uns viel Gutes. Wir arbeiten aktiv damit, integrieren sie in unsere Kommunikation. Auf Verpackungen und Medien steht „Made in Deutschland“ mit einem kleinen Flaggensignet. Darin schwingt unser ganzer Wertekanon mit, samt der Standorttreue zu Deutschland – und natürlich zum Schwarzwald.
Wenn wir das als Markenmanager betrachten, die wir ja beide auf verschiedene Weise sind: Die Marke Deutschland ist wahnsinnig stark. Das fängt bei der Bekanntheit an – man kennt sie weltweit. Dann kommt die Beliebtheit hinzu – es ist noch immer eine starke Marke, trotz des ganzen Geredes. Die ganze Welt will so sein wie wir, oder wenigstens solche Bedingungen haben. Und dann ist es auch noch eine begehrte Marke, also eine Premium-Marke. Das erleben wir als Siedle auch – zum Beispiel in Saudi Arabien, wo ich kürzlich geschäftlich war. Dort hat man einfach Lust auf deutsche Wertarbeit. Obwohl sie genau wissen, dass Asien viele andere Vorteile hat – zum Beispiel weniger bürokratische Hürden. Also scheint unser Ruf dort immer noch hervorragend zu sein.
Unsere Erfahrung ist außerdem, dass es gut sein kann, nicht der Erste, aber dafür der Solideste unter denen zu sein, die etwas Neues anbieten.
Die Qualität stimmt also noch, sagst du. Nun gibt es ja viel Kritik, was unsere Innovationskraft betrifft. Wie sieht es denn bei diesem Thema aus – wird da dann drüber weggesehen oder ist die Marke da auch gar nicht so schlecht wie die Kritiker meinen?
Also zum einen glaube ich, dass wir bei weitem nicht so schlecht sind wie der Eindruck, den wir vermitteln. Wir sind immer noch führend, zum Beispiel bei Patentanmeldungen. Was schon bemerkenswert ist, wenn man die Größe des Landes in Relation dazu nimmt. Es gibt aufstrebende Wirtschaften, die viel größer sind, aber nicht im gleichen Umfang innovativer.
Unsere Erfahrung ist außerdem, dass es gut sein kann, nicht der Erste, aber dafür der Solideste unter denen zu sein, die etwas Neues anbieten. Wir waren zum Beispiel nicht die Ersten mit einer App für Türsprechanlagen – aber die Siedle App wird verlässlich unterstützt, hat den besten Support, sie wird solide gepflegt und up-to-date gehalten.
Von Südkorea liest man viel. Da war Herr Habeck jetzt bestimmt auch nicht umsonst …
Südkorea begegnet man oft, beispielsweise auch in Saudi Arabien. Nur an China zu denken, ist verkürzt. In diesem Bereich verschieben sich die Gewichte – Deutschland steht aber auch im Bereich Innovation noch gut da. Wir haben eher ein Problem bei der Monetarisierung, bei der Industrialisierung von Ideen. Das sehe ich unseren großen Nachteil. Wir sind nicht so gut drin, die guten Ideen dann auch zu Unternehmen zu formen. SAP ist da eine Ausnahme; ansonsten gibt es wenige große Unternehmen, die Innovation auch in den Wirtschaftskreislauf einbringen. Das geschieht dann oft woanders.
So ungefähr hat das auch Prof. Dr. Carsten Baumgart kürzlich hier auf der Plattform gesagt: Dass wir in Deutschland zwar viele technologisch führende Marken haben, dass aber gerade im B2B-Bereich dieses Vermarktungs-Gen fehle.
Ja, das ist das Thema Entrepreneurship – der unternehmerische Geist, der Risiken akzeptiert und Scheitern erlaubt. Da gibt es sicherlich Defizite, und da ist Kritik an Verwaltung und Politik durchaus berechtigt. Aber das wird auf der anderen Seite auch erkannt und es wird daran gearbeitet. Das erlebe ich sowohl regional zum Beispiel in Freiburg wie in nationalen Gremien, die versuchen, eine Start Up-Mentalität zu fördern.
Das geht bis ins Mindset von Traditionsunternehmen wie unserem, wo man teilweise noch im Alten verhaftet ist, in dem, was früher den Erfolg ausgemacht hat. Da gibt es sicher einiges nachzuholen. Ich glaube aber, wenn wir das schaffen und die neuen, innovativen Produkte dann wiederum aus Deutschland sind – dann tragen sie wieder den wichtigen Stempel der Wertarbeit und profitieren von der Marke Deutschland.
Eine bewusste Markenführung findet in Deutschland nicht statt.
Hast du das Gefühl, man denkt neuerdings mehr über Start-Up-Förderung nach?
Ja, das wird spürbar. Da werden Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, da gibt es Finanzierungsvermittlungen. Wir sind bei der Venture Capital-Kultur nicht da, wo Amerika ist – aber der Weg stimmt schon mal.
Was ist mit den anderen Rahmenbedingungen, über die gerne gelästert wird: Bildung, Bahn und so weiter?
Die Bildung, wie man sie landläufig sieht – also das Schulsystem und die universitäre Ausbildung - hat schon viele Mängel, an die man ran muss. Einen Hauptgrund dafür sehe ich im Föderalismus. Auch beim Digitalisierungsgrad kommen wir zu langsam voran – das sind aber lösbare Probleme für ein reiches Land. Aber auf der anderen Seite werden wir weltweit beneidet um unser duales Ausbildungssystem. Und da sehe ich eine Riesenstärke. Das sage ich jetzt auch direkt aus der eigenen Erfahrung bei Siedle. Wir haben nicht viele Berufsfelder, wo wir lupenreine Akademiker benötigen, beispielsweise Juristen. Aber der duale Ansatz, die Verzahnung von betrieblicher Ausbildung mit schulischem oder akademischem Lernen, bietet ein Riesenspektrum. Auch die Flexibilität im Arbeits- und Berufsweg, die junge Leute bei uns finden, gibt es meines Wissens kaum irgendwo sonst. Das ist eine immense Stärke des deutschen Bildungssystems, die einfach nicht gesehen wird, weil alle nur auf Mängel und Belastungen des Schulsystems schauen, durch Migration zum Beispiel.
Kürzlich las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel, in dem es um die schlechte Kommunikation der Bundesregierung ging – da wären wir wieder bei unserem Thema, der Kommunikation. Der Autor nahm als Beispiel die deutschlandweite Energiespar-Aktion am Anfang des Ukrainekrieges, mit der die bundesdeutschen Haushalte ja wirklich im Jahr 21% Energie gespart hatten. Da habe sich dann niemand von der Regierung gemeldet, im Sinne eines Dankeschöns hinterher oder so.
Das ist definitiv der Fall, und das ist sehr bedauerlich. Ich glaube, es wird erkannt, dass es so ist und man da nacharbeiten muss – zum Beispiel im Wirtschaftsministerium. Das Ministerium ist grün geführt, und die Grünen sind für viele zum Angriffsziel geworden, das macht es nicht einfacher. Kommunikation im Sinn von verlässlicher Information ist aber auch generell für alle schwieriger geworden – durch Social Media, durch die vielen Informationskanäle, die mediale Zersplitterung. Dazu kommt das erodierte Vertrauen in die seriösen Medien. Es gibt nicht mehr die Instanzen mit Interpretationshoheit, denen prinzipiell erst einmal vertraut wird.
An das Thema Nachhaltigkeit glauben wir. Es wird langfristig gewinnen.
Um nochmal ein Markenthema aufzugreifen: Denkst du auch, dass es durch die parteipolitische Fragmentierung gerade einfach schwer ist, eine gemeinsame Vision für die Marke Deutschland zu entwickeln? So wie die Schweizer das tun?
Eine bewusste Markenführung findet in Deutschland nicht statt. Es gibt zwar gewisse Kriterien, die man einhalten muss, um „Made in Germany“ nutzen zu dürfen. Da gehört auch eine gewisse Wertschöpfungstiefe dazu. Meines Wissens wird das aber nicht bewusst gesteuert. Ein Brand Management wie in der Schweiz täte uns sicher gut, dafür ist aber Konsens Bedingung. Es tritt ja nicht nur die Regierung kommunikativ schwach auf, auch die Opposition verhält sich kläglich.
Die Versuche, statt der Einheitlichkeit die Vielfalt nach vorne zu stellen, das ist alles löblich, aber es wird nicht zentral, bewusst und mit einem breiten Konsens angegangen. Der dürfte dann meinetwegen auch gerne auf Nationalstolz beruhen, solange der nicht ins Braune überschwappt. Aber so etwas gibt es derzeit in Deutschland nicht. Das würde ich mir wünschen – und dazu würde gehören, dass sich ein Herr Weimer mäßigt und nicht die Marke Deutschland und einen ins Amt gewählten Minister und Vizekanzler in aller Öffentlichkeit herunterputzt. Das würde, denke ich, kein Amerikaner, Franzose und auch kein Schweizer tun.
Siehst du auch Chancen für die Marke Deutschland, bestimmte neue Entwicklungen, Trends und soziostrukturelle Veränderungen zu neuen Stärken zu machen – zum Beispiel das Thema Nachhaltigkeit?
An das Thema Nachhaltigkeit glauben wir. Es wird langfristig gewinnen. Uns fehlen aber die Leuchtturmprojekte – und dass wir das Positive daran kommunikativ herausheben. Und sie schließlich wirtschaftlich verwerten. Das ist bei der Solarindustrie schlecht gelaufen, bei der Windkraft ist Ähnliches gerade im Gange. Saudi-Arabien, um wieder das Beispiel zu nennen, kauft da zum Beispiel in China oder Korea ein – und neuerdings auch gerne in Indien.
Könnten wir als Staat da massiver reingehen, nach dem Motto: Erneuerbare Energie, das ist jetzt unser Ding, dafür stehen wir in aller Welt – gerade auch als Marke?
Ja, das könnte ein Differenzierungsmerkmal im Standortwettbewerb sein. Als Label, aber auch ganz handfest. Immer mehr Unternehmen brauchen grüne Energie. Und kommen dorthin, wo sie angeboten wird. Allerdings ist die Aufgabe nicht einfach, weil es ideologisch zu werden droht. Von Seiten der Befürworter und von Seiten der Kritiker. Und mit Subventionen und Förderpolitik muss man so umgehen, dass es nicht in Richtung Abschottung und Protektionismus geht. Aber eine strategische Industriepolitik würde ich mir wünschen. Die wäre keine Planwirtschaft, sondern eine gemeinsame Vision, an der sich gemeinsames Handeln ausrichtet. Das ist für Unternehmenslenker banal – es ist Teil des Jobs. Den würde ich mir auch für das Land wünschen. Und zur Nachhaltigkeitswirtschaft könnte man sagen: das ist jetzt unser USP. Da zeigen wir, was wir können. Auch was die Digitalisierung und die Vernetzung in andere Wirtschaftsbereiche hinein betrifft: Infrastruktur, Tiefbau, Energieerzeugung und -verteilung – riesige Volumen müssen bewegt werden. Wie lenke ich die? Wie binde ich den Bereich Mobilität ein? Wie bringe ich individuelle Mobilität, öffentlichen Verkehr und Wirtschaft zusammen? Wenn derart große Projekte auf den Weg gebracht werden müssen, glaube ich nicht an entgrenzte Märkte. Die bringen zwar Dynamik ins Spiel. Aber vorher braucht es den Anschub und die Richtung. Darum glaube ich nicht an weniger Staat – sondern an einen klug und konsequent handelnden Staat.
In Deutschland müssen wir jetzt beweisen, dass unser System [...] vielleicht langsamer ist, aber am Ende bessere Ergebnisse bringt.
Ist unser System dafür aber eventuell zu komplex strukturiert?
Die Erfolge von China, Indien und anderen dynamischen, aufstrebenden Wirtschaftsräumen sind faszinierend. Aber für uns auch bedrohlich, denn viele sind autoritär regierte Länder. Die können leichter eine gemeinsame Vision verordnen und durchsetzen. In Deutschland müssen wir jetzt beweisen, dass unser System mit all seinen Checks and Balances und Hemmnissen vielleicht langsamer ist, aber am Ende bessere Ergebnisse bringt. Darum muss die Marke Deutschland auch dieses Demokratieverständnis und die Vielfalt in allen Bereichen zu ihrem Kern machen und als Vorteil begreifen.
Siedle und Deutschland – im Großen und Ganzen also alles ok?
Wir haben als Mittelständler gar nicht die große Wahl. Mit unserer Unternehmensgröße und Wirtschaftskraft können wir keine Milliarden bewegen, um mal eben in Mexiko oder Polen ein Werk aus dem Boden zu stampfen. Zudem verbietet unser Wertekanon, global nach den besten Standortbedingungen zu schauen. Wir sind also auf unser Umfeld angewiesen. Und wir haben es in der Region gemeinsam mit anderen Unternehmen unserer Größenordnung mit aufgebaut. Das ist ja nicht zufällig alles so entstanden, und das macht einen Teil unserer Stärke aus. Aber jetzt brauchen wir dieses Umfeld auch. Für uns ist es daher sehr wichtig, dass wir in Deutschland die Bedingungen so gestalten, dass wir wettbewerbsfähig bleiben.
Wie siehst du hier generell die Skala von Offenheit bis zur Fokussierung auf einen Weg? Auch hinsichtlich deiner Aussage, dass du dir mehr Plan seitens der Politik wünschst?
Man könnte beispielsweise grüne Energie stärker zur Policy machen. Aber egal, wofür man eintritt – man muss es auch breit verankern. Im Moment erleben wir Zersplitterung, und die schafft Unsicherheit. Technologieoffenheit ist eigentlich etwas Wertvolles. Aber gleichzeitig muss jeder, der ein Unternehmen leitet, möglichst genau wissen, wohin die Reise führt. Da kann man sich nicht ewig verschiedene Wege offenhalten, schon gar nicht im Mittelstand. Dafür sind die Maßstäbe zu groß. Wir müssen uns über die Richtung einigen und dann auf Basis dieser Einigung die besten Wege finden, gern im Ideen-Wettstreit. Wir dürfen aber nicht immer wieder alles in Frage stellen und zum Beispiel sagen, wegen der Technologieoffenheit dürfen wir nicht auf Wärmepumpen setzen. Oder den Wechsel zur Elektromobilität nicht unterstützen. Solch riesige Aufgaben kann man nur im Konsens angehen, mit einer Vision und einer Aussicht auf positive Entwicklung. Ich halte es für Zeitverschwendung, parallel noch Wasserstoff- oder andere Antriebe im Spiel zu halten. Wer soll denn Riesensummen in die nötige Infrastruktur investieren, wenn niemand weiß, ob sie sich in absehbarer Zeit amortisieren wird? Da vermisse ich Klarheit, Verlässlichkeit und Konsequenz – zum Beispiel in der Frage, was wie lange gefördert wird. Und noch ein Punkt: Du musst auch das Mindset der Menschen verändern – auch eine Markenaufgabe, und keine einfache.
Du musst auch das Mindset der Menschen verändern – auch eine Markenaufgabe, und keine einfache.
Wirkt sich das auf euch als Siedle auch aus?
Ein Beispiel ist unser Fuhrpark. Da stellt sich die Frage, welche Antriebe man wählt. Wir hatten früher Dieselautos, weil Diesel für Vielfahrer effizienter als Benziner sind. In letzter Zeit hatten wir Plug-in-Hybride angeschafft, aus zwei Gründen: erstens die staatliche Förderung und zweitens die Verfügbarkeit der Modelle. Jetzt wollen wir einen weiteren Schritt hin zur Elektrifizierung machen – und stellen fest: Die Autos, die wir brauchen, gibt es nicht. Und wenn es sie gibt, kommen sie nicht von der deutschen Autoindustrie. Da sind wir wieder bei einem Markenthema, bei der Glaubwürdigkeit. Wer wie Siedle auf „Made in Germany“ setzt, muss das auch im eigenen Wirtschaften leben. Dann kommt on top, dass die Förderung von heute auf morgen entfällt. Und ganz praktisch haben viele Vertriebsmitarbeiter*innen im Außendienst ein Problem mit dem Laden.
Da sind wir jetzt wieder bei der Infrastruktur: Wenn der Außendienst unterwegs nicht ordentlich laden kann, dann ist es blöd.
Ja, und darüber hinaus hat das Ganze auch noch eine psychologische Komponente. Viele Menschen hängen am traditionellen Auto mit Verbrennungsmotor. Das wird von Teilen der Politik und von Interessenverbänden geschürt, und plötzlich wird aus der Aufbruchstimmung eine Hemmung, und Strategien geraten ins Stocken. Nicht aus Technologieoffenheit. Sondern aus Ungewissheit. Dass man als Unternehmen in Transitionen geht, ist normal. Aber die Rahmenbedingungen müssen funktionieren und verlässlich sein. Am kleinen Beispiel Fuhrpark wird das schon sichtbar. Wir wüssten gern: Gibt es einen Plan, und wie lange ist er gültig? Hilfreich wäre zum Beispiel eine Aussage wie: Im Moment gibt es vielleicht nicht genug Lade-Infrastruktur in eurer Gegend – aber bis in fünf Jahren haben wir sie. Folgendes tun wir dafür. Verlasst euch darauf.
Da hätten wir wieder die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Marke.
Man merkt bei uns kleinen Unternehmen im Schwarzwald, wie sich's konkret auswirkt, wenn die Vision fehlt.
Du würdest also sagen: Insgesamt ist nicht alles schlecht. Kritik ist trotzdem an manchen Punkten angebracht – aber sie sollte eben eher konstruktiv geäußert werden und nicht im Stil von Theodor Weimer.
Kritik ist nicht nur angebracht, sondern notwendig. Man muss aber die Sensibilität haben, die Marke Deutschland zu schonen. Wenn kritische, auch drastische Aussagen in Hintergrundgesprächen fallen, ist das etwas anderes. Aber man sollte sie nicht in Social Media rausposaunen. Denn dort werden sie politisch instrumentalisiert. Wenn sie nicht von vornherein politisch gemeint waren.
Nehmen wir den Standpunkt des Brand Managers ein. Der arbeitet intern an der Verbesserung seiner Marke, auch mit scharfer Kritik, aber er macht sie nicht öffentlich schlecht und empfiehlt obendrein den Wettbewerb, der alles besser kann.
Ein schönes Schlusswort zum Nachdenken, würde ich sagen. Ich danke dir für dieses Gespräch, lieber Peter.