Von Mensch zu Mensch.
Marketing-Update #5 mit Waldemar Pförtsch.

Über den Einkauf. Und ganz viel anderes.

Lieber Waldemar, schön, dass wir uns nach der Sommerpause wieder sehen. Wir wollten eigentlich mit verschiedenen Fallstudien Anwendung und Umsetzung der 5Es vertiefen. Ich habe aus unserem letzten Gespräch aber eine Frage mitgenommen, die mich nicht mehr losgelassen hat. Sie betrifft Exchanging Knowledge, was ein essenzieller Teil der 5Es ist: Warum spielt der Einkauf nach wie vor in den Unternehmen die Rolle, die er immer spielt?

Also eigentlich arbeitet der Einkauf doch gegen die Verbindungen zwischen Unternehmen und Kunden, zwischen Zulieferer und Hersteller. Die werden immer enger oder sollten immer vertraulicher werden. Und dann kommt der Einkauf und will anonymisieren und die Verbindungen kappen. Was ist deine Meinung dazu? Wie schätzt du das ein?

JD

Also ich habe da keine fertige Antwort. Ich habe aber persönliche Erfahrungen und kenne dazu verschiedene Phänomene. Und die persönlichen Erfahrungen sind sowohl positiv als auch negativ. Wenn du mit kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeitest, dann hast du meistens direkt mit Eigentümern, Managern zu tun. Oft auf einer sehr persönlichen Ebene. Das ist positiv. Da wirkt das Vertrauen eminent, als Basis aller Entscheidungen. Dann gibt es aber Situationen, und jetzt kommt die negative Seite, wenn zum Beispiel Großkonzerne etablierte Strukturen haben, also Einkaufsprozesse, Auktionsabläufe und so weiter. Und da tritt plötzlich das Gegenteil ein, so wie du das gerade beschrieben hast. Ich habe aktuell bei meinem Verleger, dem Springer Verlag, die Situation, dass ausländische Editionen verauktioniert werden.

Und da handelt der Verlag, als ob es sich um Commodities handelt. Also da gibt es eine Lizenz, drei Interessenten und die werden in den elektronischen Mechanismus eingespannt. Derjenige, der den besten Preis bietet, kriegt das Ganze. Das treibt seine Blüten, ja.

Zum Beispiel wird der Bieterprozess manchmal so aufwendig, dass kaum mehr Budget für die Kommunikation des Produktes übrig ist. Und für mich als Autor läuft es dann ins Gegenteil. Mein neues Buch zum H2H-Marketing ist anspruchsvoll. Anspruchsvoll in der Hinsicht, dass es nicht einfach verstanden wird, also vom Übersetzer und auch nicht von denen, die es vermarkten sollen. Man muss die Geschichte und die dahinterliegenden Theorien kennen. Das heißt, wenn mein Verlag das über eine Auktion verkauft und dann mit einer durchschnittlichen Übersetzung in den Markt bringt, entspricht das nicht der Qualität, die ich mir wünsche. So, was mache ich? Ich suche Leute, die verstehen, die vom Fach sind, mit denen ich Wissen austauschen und Vertrauen aufbauen kann. Und dann sage ich dem Verlag, das ist der Einzige in dem Markt, der das machen kann.

WP

Du beginnst, die Prozesse zu umgehen.

JD

Genau.

WP

Du verhältst dich wie der Ingenieur, der nur mit seinem Entwicklungspartner auf Zuliefererseite arbeiten will und mit keinem anderen. Ein Verhalten, das ich oft in der Industrie beobachtet habe.

Du hast aber gerade einen Unterschied gemacht, auf den wir nochmal eingehen sollten. Den zwischen kleinen, mittelständischen Unternehmen und Konzernen. Die Konzerne haben sich doch offensichtlich, vielleicht getrieben durch Compliance-Vorgaben, Veröffentlichungsdruck, Bürokratie, teils unsinnige Einkaufsregeln und -prozesse angewöhnt. Das, was wir gerade besprechen, ist ein Klassiker.

JD

Das Ergebnis dieser Prozesse ist, dass alles irgendwie „Commodity“ wird. Also das werden „Generic Products“. Da kommt es nicht mehr aufs Spezielle an. Das hat auch seine Vorteile. Heißt aber oft für die Betroffenen, dass ihre gesamte Markenkonzeption den Bach runter geht.

WP

Das Ergebnis dieser Prozesse ist, dass alles irgendwie „Commodity“ wird.

Waldemar Pförtsch

Ja, alles, das ganze Marketing, die ganze Markenkonzeption auf Kosten eines Vorteils, von dem ich gar nicht weiß, ob es einer ist. Ich meine, das einkaufende Unternehmen selbst hat doch auf lange Sicht auch nichts davon. Das Unternehmen macht sein Produkt auf diese Art doch selbst irgendwie indifferent.

JD

Das heißt, die standardisierten Produkte und Prozesse unterlaufen die Innovation, die Marke und die Kommunikation.

Waldemar Pförtsch

Diese Prozesse sind aber genau für standardisierte Produkte ein Riesenvorteil. Zum Beispiel in der Automobilelektronik hast du herkömmlicherweise tausende von Teilen mit unzähligen Bieterverfahren und einem riesigen Aufwand. Wenn das aber zeitgemäß per Electronic Data Interchange läuft, dann hast du gar keinen physikalischen Kontakt mehr. Alle am Beschaffungsprozess beteiligten Menschen und Technologien sind miteinander verknüpft und die gesamte Abwicklung läuft vollständig automatisiert. Damit werden diese Prozesse extrem effizient und die Abläufe kontrollierbar. Aber jede Neuheit, jede Innovation fällt bei solchen Verfahren durchs Raster. Das heißt, ich kann eigentlich nur standardisierte Produkte machen. Und ich sage mal, da ist auch erstmal nichts falsch dran. Also ich habe immer meine Schrauben, meine Nieten und so weiter und so weiter, die ich brauche, damit mein Produkt funktioniert.

Aber wenn ich eine Spezialität benötige, eine Innovation, wenn ich vor einem komplizierteren Zusammenhang stehe, wie ich bei meinem Buch, dann funktioniert es nicht. Das heißt, die standardisierten Prozesse unterlaufen die Innovation, die Marke und die Kommunikation. Wie du vorhin gesagt hast, der Exchange wird blockiert.

WP

Also ich bin gerade die ganze Zeit am Überlegen, was da der Fehler im System ist. Weil auf der einen Seite selbst so ein Konzern, wie zum Beispiel Mercedes-Benz, immer wieder mit seinen Innovationen wirbt. Und andererseits bei den Zulieferern zweifelhaft berühmt geworden ist durch diese - wie nennen die sich? - negativen Bieterverfahren? Und das haben die ja nicht nur bei Standardteilen gemacht, sondern auch bei Motoren für zum Beispiel die C-Klasse. Also Motoren, die es erst noch zu entwickeln galt. Und das ist doch ein für die Qualitätswahrnehmung des Produktes durch den Käufer sehr wesentliches Teil des Gesamtkonstrukts Auto.

Als Lieferant kommst du in ein Bieterverfahren, du gibst einen Preis ab, du darfst womöglich in die zweite Runde, weil der teuerste schon mal weg ist. Und jetzt kannst du dir einen neuen Preis überlegen. Das heißt, du gehst an die Schmerzgrenze als Zulieferer. Du hast unter Umständen keine Luft mehr für eine wirkliche Entwicklung. Du weißt, du kannst dir nur einen Motor ausdenken, in den du noch so und so viel Zeit investierst, weil du sonst kein Geld mehr verdienst. Das sind doch keine Voraussetzungen für gute Ideen und eine fruchtbare Partnerschaft. Was macht Mercedes-Benz da?

JD

Naja, die wollen zunächst mal möglichst billig einkaufen. Und sie treiben das eben auf die Spitze. Ich erinnere mich an einen Studenten aus meinem chinesischen Kurs, der hat vor fünf Jahren seinen Abschluss gemacht. Der ist mittlerweile Mitarbeiter eines Unternehmens in China, das Motoren produziert. Lupenreine Spezialisten, die machen nur Motoren. Die liefern heute viel an Mercedes-Benz. Hauptsächlich die Brot- und Butter-Vierzylinder. Die produzieren im Süden von China und shippen die weltweit. Mercedes verkauft also Autos mit Motoren aus China. Früher wurden die in Untertürkheim gemacht, aber heute kommen die aus China.

Normalerweise werden solche Systeme auch gezügelt, indem es Auftragsobergrenzen gibt für alles, was automatisch abläuft. Ab einem Betrag X muss der Chef gegenzeichnen. Da greifen dann also Menschen ein. Und es gibt besondere Prozesse bei Innovationen, in denen neue Ideen gemeinsam mit Partnern entwickelt werden.

WP

Da muss ich dir kurz widersprechen. Ich glaube nicht, dass das so fein unterschieden werden kann. Letztendlich sehen wir doch bei Automobilen einen permanenten Entwicklungsprozess. Es wird doch ständig daran gearbeitet, einen jetzt schon sparsamen Turbodiesel-Einspritzer von sechs Litern Verbrauch auf vier, viereinhalb zu kriegen. Und diese permanente Verbesserung ist doch in allerhöchstem Interesse der Verbraucher. Sprich: Eine Marke wie Mercedes verzichtet freiwillig auf die Möglichkeit, mit dem bevorzugten Zulieferer aus dem Motorenbereich eine echte Partnerschaft einzugehen und opfert dabei gleich noch die Interessen der Kunden.

 

JD

Ich würde sagen, dass das einfach zwei Blickwinkel sind. Von unten betrachtet werden einfach Kosten gespart. Von oben ist es die Marge. Also, ich kann mich noch erinnern, als Siemens einen 1,5-prozentigen Return-on-Sales hatte. Und heute liegt die Marge bei 15 Prozent. Und der Zeitraum dazwischen ist gar nicht so lang. Die Erwartungen der Inhaber und Investoren an die Unternehmen sind in den letzten Jahren sowas von gestiegen. Also für mich persönlich ist das teils jenseits von Gut und Böse. Wenn ich nur an die amerikanischen Tech-Marken denke, an Apple, Google, Microsoft … 35, 45, 55 Prozent. Da sage ich, es kann ja wohl nicht wahr sein. Und irgendwas fällt da eben durchs Raster. Die chinesischen Unternehmen liegen dagegen noch bei einem Prozent. Das heißt, wir reden hier über verschiedene wirtschaftspolitische Auffassungen in der Welt. Mit der Folge, dass ich einen Motor aus China einfach 30 Prozent günstiger bekomme, weil da die entsprechende Marge fehlt.

WP

Das kann ja eine Marktstrategie sein: So lange auf den Gewinn zu verzichten, bis ich die anderen vom Markt verdrängt habe.

JD

Der chinesische Staat gibt vor, ihr dürft keine hohen Margen machen. Die Unternehmen müssen reinvestieren oder die Preise unten lassen.

WP

Naja, aber die Chinesen haben schon die Strategie, auf diese Art Märkte zu erobern. Das haben sie ja auch geschafft. Ich sage nur Photovoltaik, das berühmte Beispiel, unter dem wir Deutschen sehr gelitten haben und da gibt es ja noch mehrere Schlüsselmärkte, die sie bis spätestens 2025 erobert haben wollen. Und dafür ist doch diese Strategie ein legitimer Ansatz, oder?

JD

Ja, natürlich, vollkommen klar. Und auf der anderen Seite haben wir die Situation, dass unsere Banken 15 Prozent sehen wollen. Und weil die Eigentümer noch mehr haben wollen, muss das Unternehmen am Schluss 30 Prozent Gewinn machen.

WP

Aber weißt du, sind wir da jetzt nicht wieder bei dem Thema, das wir auch in den letzten Gesprächen regelmäßig besprochen haben? Also wer das Unternehmen führt und welchen Unterschied das macht? Es gibt finanzgetriebene Unternehmen. Das sind die, die du gerade schilderst. Die haben einfach andere Prioritäten. Und dann gibt es die technologiegetriebenen Unternehmen. Dort sitzen, glaube ich, genügend Leute, die in der Lage sind, diese Mechanismen des Einkaufs, so wie du das mit deinem Buch gemacht hast, einfach auszuhebeln.

JD

Dazu fällt mir ein gutes Beispiel ein. Liebherr hat vor kurzem den größten Auftrag aller Zeiten bekommen. Der australische Bergbaukonzern Fortescue hat Muldenkipper, Bagger und Panierraupen bestellt. Insgesamt ein Volumen von rund 2,5 Milliarden Euro, Liebherr macht zwölf Milliarden Gesamtumsatz. Also unvorstellbar. Und der Clou: Wesentliche Technologien dieses Auftrags wurden gemeinsam entwickelt. Batterien, Technologien zum autonomen Fahren wurden von Liebherr und Fortescue zusammen entwickelt. Die kollaborieren schon seit Jahren an dem Konzept, bis 2030 ein vollständig emissionsfreies Arbeiten in den Minen zu ermöglichen. Da haben sich also zwei Unternehmen zusammengetan und arbeiten eng verzahnt miteinander an der Umsetzung einer Idee. Und die Australier sind bewusst nicht zu Caterpillar oder zu Komatsu gegangen. Aus verschiedenen Gründen. Und da gab es kein Bieterverfahren. Kann es auch gar nicht geben. Da haben sich einfach Menschen auf den verschiedenen Führungsebenen vertraut und gesagt, wir machen das jetzt.

WP

Das ist genau der Punkt. Dieses intelligente, schöne Beispiel, von dem du beim letzten Mal erzählt hast, der Hamburger Hafen, der in China 3D-Drucker aufstellt. Solche Dinge können doch nicht zustande kommen, wenn es am Ende nur darum geht, den billigsten Anbieter zu finden.

JD

Wie gesagt, man muss zwischen Standardprodukten und allem anderen unterscheiden. Und wir müssen die Welt natürlich mit Standardprodukten versorgen. Also wir brauchen einfach normale Mixer, Kühlschränke, Alltagsautos oder auch Bagger. Aber wenn es dann um Sonderlösungen geht, da sieht die Welt anders aus. Und deswegen hat sich die Welt aufgeteilt. Wir haben schließlich auch zu unterscheiden zwischen Amazon Business und Würth. Und der Unterschied ist relativ klar. Die Standardprodukte kommen von Amazon Business besser als von Würth. Aber wenn Würth sagt, wir liefern in 20 Minuten, dann kommt es auch in 20 Minuten. Also in dem Abdeckungsbereich, für den er das verspricht. Caterpillar macht eine ähnliche Aussage: Wir liefern in 24 Stunden überall auf der Erde. Nordpol, Südpol, wo auch immer bekommst du deine Ersatzteile. Und weil sie dieses Versprechen erfüllen, sind sie im Markt auch dort, wo sie sind. Das heißt, dieses Markenversprechen hat seine Berechtigung. Trotzdem müssen sie sich bei den Standardprodukten, Generatoren oder was auch immer, anderen Mechanismen stellen und fallen unter Umständen durch. Dann kommt der chinesische Generatorhersteller an die Reihe mit seinem günstigeren Preis. Verkauft mit Amazon Business.

WP

Also ich muss ehrlich sagen, ich bin noch nicht so ganz bei dir. Ich finde, speziell in B2B-Beziehungen ist diese permanente Innovation ein wesentlicher Bestandteil und treibende Kraft. Da gibt es doch ganz wenige standardisierten 0815-Lösungen.

JD

Du bist geprägt von den deutschen, mittelständischen, innovativen Unternehmen. Das ist gut so und auch ein Vorteil. Aber das Problem ist jetzt, dass die unter die Räder kommen.

WP

Ok, bleiben wir mal bei Würth. Der ist genau mit diesen 0815-Produkten groß geworden. Er hat Schrauben verkauft. Absolutes 0815-Geschäft. Was hat er dann gemacht? Er bedient neben dem Handwerk bekanntlich auch Unternehmen und Betriebe, die Normteile in großen Mengen brauchen. Also Bau, Automobilzulieferer, Produktionsfirmen etc. Würth überlegt sich, wo man sich unterscheiden kann. Erstens: Ich verfüge über eine hohe Expertise in den Vorschriften zum Einsatz der Normenteile. Die stelle ich meinen Kunden zur Verfügung. Deshalb gibt es zum Beispiel den Dübel-Finder von Würth, der dich als Handwerker von der Gewährleistung befreit. Und Würth findet für sich ganz eigene Innovationsmöglichkeiten. Zum Beispiel das ORSY-System fürs Lagermanagement. Also worauf ich hinaus will: Ohne beste Kontakte zu den Kunden, enge Beziehungen und Zusammenarbeit kommen doch selbst bei Normteilen solche Entwicklungen gar nicht zustande?

JD

Würth hat die persönliche Beziehung bestens multipliziert.

Waldemar Pförsch

Richtig, aber zwei entscheidende Ideen hast du vergessen: Würth hat das Verkäufersystem konsequent etabliert, also die persönliche Beziehung. Und Würth hat die Farbe Rot für sich besetzt. Die Produkte sind immer rot und damit identifizierbar. Sprich: Würth erzeugt ein emotionales Verhältnis. Die Wirkung ist wirklich enorm. Würth hat die persönliche Beziehung sozusagen multipliziert. Und kann dieses Prinzip erhalten, wenn diese Beziehung immer weiter angereichert, aktualisiert und kultiviert wird.

Amazon Business versucht so was übrigens auch. Also die wollen denselben Weg gehen, nur mit anderen Mitteln. Die machen Konferenzen, Online-Talks, Videos, Social Media. Die probieren jetzt eben über die Digitalschiene zu kommen, weil sie die Persönlichkeiten nicht haben.

Da treffen also zwei Welten aufeinander und die müssen auch aufeinandertreffen, weil halt die Technologie Veränderung mit sich bringt. Also die persönliche Welt trifft auf die digital unterstützte persönliche Welt. In Amerika heißt das Würth-Pendant übrigens Grainger. Die sind früh auf den Digital-Zug aufgesprungen und haben schnell einen Durchbruch im Online-Geschäft erzielt. Und konnten Amazon damit lange Zeit die Stirn bieten. Grainger stellt direkt die Verbindung zwischen den Sublieferanten und den Kunden her und erhält sich sein System so. Also da gibt es Varianten und diese Varianten gibt es zurecht, ob von Würth, Grainger, Amazon.

Und normalerweise wäre Platz für alle. Aber wir haben den gegenwärtigen Trend zur Monopolisierung und Amazon besetzt im Consumer-Bereich schon 75 Prozent und im Business vielleicht 10 Prozent. Und wir sehen ja schon, welche Auswirkungen die 75 Prozent haben. Die Supplier sind platt, die Leute, die über Amazon verkaufen, machen kein Ergebnis. Da ist Amazon ganz, ganz schlecht. Sie lassen die anderen nicht am Erfolg teilhaben. Wir beobachten dieselbe Situation im Search, wo Google 95 Prozent des Marktes besitzt.

WP

Haben wir ja auch schon besprochen.

JD

Ja genau, aber jetzt gibt es die Chance, dass das durch AI und TikTok plötzlich wieder aufgelöst wird. Trotzdem, das Grundphänomen bleibt:  Wenn die Monopolstruktur erst mal existiert, dann kannst du nichts dagegenstellen. Wenn wir also ein bisschen weiterspinnen und Amazon erreicht auch im Business die 75 Prozent, dann wird es keinen Würth mehr geben. Und keinen Grainger und und und. Mein Credo ist hier ganz klar: Ich befürworte die deutsche Variante der freien Marktwirtschaft, die soziale Marktwirtschaft mit ihrer Wettbewerbskontrolle. Wenn wir diesen Mechanismus am Leben halten, dann bleibt unsere Marktphilosophie, dann bleibt unser Marketingdenken, dann bleibt Raum. Im monopolistischen Markt gibt es keinen Platz mehr.

WP

Diese monopolistischen Tendenzen, muss man ja leider sagen, entwickeln besonders stark die großen, digital getriebenen, amerikanischen Marken.

JD

Es sind ja nicht nur die Marken, es ist doch auch der Staat. Microsoft hätte schon vor 25 Jahren zerschlagen gehört. Oder eben Google. Aber die USA setzen diese Unternehmen als wirtschaftspolitische Waffen ein, ähnlich wie sie Energie einsetzen. Und mit dem müssen wir uns beschäftigen. Und die Chinesen reagieren, indem sie sich isolieren, abschließen, eigene Plattformen entwickeln. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russische Föderation, Indien, China und Südafrika) verändern das SWIFT-System, also den Austausch von Informationen zu Finanztransaktionen weltweit. Wir befinden uns in einem Umbruch. Und dieser Umbruch, wird, wenn wir nicht aufpassen, unglücklicherweise Deutschland zermalmen. Vor allem, weil wir uns komplett dem amerikanischen System untergeordnet haben.

Wir geben der Europäischen Union nicht den Raum, den sie eigentlich bräuchte. Wir lassen uns auf die amerikanische Energiepolitik ein und lassen alles zu, von dem die Amerikaner denken, dass es richtig wäre. Dabei hätten wir in Europa schon längst Google den Hahn abdrehen müssen. Also da bin ich offen gestanden sehr skeptisch auf der politischen Ebene. Und die deutschen Unternehmen, die können eigentlich nur noch restriktiv handeln. Die können nur reagieren auf die schwierigen Herausforderungen. Und da müssten meiner Meinung nach die Wirtschaftsführer schon längst anders handeln. Also zum Beispiel jetzt beim Daimler: Holt euch einfach die Motoren in China und quatscht nicht lange drüber. Aber das heißt natürlich massiver Abbau der Zulieferer. Das ist doch die Pyramide, die wir zum Beispiel in Stuttgart sehen. Beim Autohersteller arbeiten 100.000 Leute, 200.000 bei Bosch, 400.000 bei den Second Tier und eine weitere Million noch weiter unten. Ich fürchte, diese Pyramide wird schrumpfen.

Sie wird auf jeden Fall kleiner werden. Und das heißt für deine Unternehmen, für diesen tollen Mittelstand, wenn der nicht in die Differenzierung geht, also sozusagen nur noch in die Innovation und das Massengeschäft weglässt, dann geht er drauf. Mal wieder das Beispiel TRUMPF. TRUMPF hat früher nur Maschinen gemacht. Heute hilft TRUMPF den Kunden bei der Produktionsplanung, macht das Consulting, die Finanzierung, den kompletten Service dazu. Das ist die Zukunft. Und alle, die praktisch nur Commodities haben, werden sich umschauen müssen.

WP

Also den TRUMPFS in Deutschland, denen sage ich eine große Zukunft voraus.

Waldemar Pförtsch

Aber gerade TRUMPF gehört für mich zu der Art von Unternehmen, die sich beim Einkauf so konzernig verhalten.

JD

Echt?

WP

Ja, die haben schon unheimlich viel Konzern in sich. Dabei könnten die viel mehr Marketinggetriebenheit vertragen. Ich mag falsch liegen, aber das ist eine Frage, die ich bis heute für mich nicht geklärt kriege. TRUMPF ist ohne Zweifel ein deutsches Vorzeigeunternehmen. Aber wann widmen sie sich mit derselben Konsequenz und Hingabe dem Marketing, der Kommunikation, der Marke, wie sie es bei Technologien, Produktion, Beschaffung usw. ständig tun? Ob es jetzt auf der Basis deines 5E oder irgendeines anderen Modells ist: Das ist für mich eine entscheidende Frage für solche Unternehmen. Und wie stellen sie sich in der wirtschaftspolitischen Gemengelage auf, die du gerade beschrieben hast? 

JD

Also TRUMPF hat ja viele Marken. Und vor allem haben sie eine Marke in China, wo sie die billigeren Produkte für andere Märkte machen lassen. Bedauerlicherweise wurde das nicht richtig vorangetrieben. Das ist immer noch eine kleine Firma. Nach meinen Vorstellungen müsste die doppelt so groß sein wie TRUMPF selbst. Da sind sie nicht beherzt rangegangen. Sie haben es zwar gemacht, aber nicht mit aller Konsequenz. Auch deswegen, weil die chinesische Marke Konflikte mit der Dachmarke hätte ergeben können. Aber sie hätten es gekonnt.

WP

Sie hätten es alle gekonnt. Mercedes hätte es gekonnt, alle. Dieses sich nochmal darüber klar zu werden, wer sie eigentlich sind. Und sich vor Augen zu halten, dass für alle deutschen Automobilhersteller bei dieser engen Kooperation mit China irgendwann mal die Situation kommen wird, dass die Chinesen einfach sagen: Du wir können auch schon ganz gute Autos bauen und eure sind uns einfach zu teuer und der chinesische Markt, der wird irgendwann mal an euch nicht mehr interessiert sein. Stattdessen ist man euphorisch da hin, hat das ganze Know-how in den vermeintlichen Markt der Zukunft getragen und gedacht: Hey da gibt es eine Milliarde Menschen, die nur darauf warten, unsere Luxusautos zu kaufen. Und hat vor lauter Überheblichkeit nicht erkannt, dass China keine Fahrmaschinen will, sondern Entertainment-Vehikel. Die Deutschen bauen immer noch Autos, die chinesischen Autos sind Entertainment-, Computer-, TV-Stationen, mit denen man auch fahren kann. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Was auch Sinn macht, wenn ich zum Beispiel in Peking durchschnittlich mit 12 Kilometern in der Stunde unterwegs bin und täglich 1,5 Stunden im Stau stehe. Und mir gleichzeitig das größte Streckennetz mit den schnellsten Zügen der Welt zur Verfügung steht. Sorry, das musste mal raus.

JD

Wir machen die Kirschen, aber die Kuchen werden erstens mehr und zweitens größer.

Waldemar Pförtsch

Jetzt lass mich dazu noch einen Aspekt reinbringen: Es gibt ja auch die Beispiele, wo chinesische Unternehmen deutsche Unternehmen gekauft haben. Und meine beiden Beispiele, sind Waldrich Coburg und Putzmeister. Putzmeister gehört seit 2012 zu Sany. Das war seinerzeit der bis dato größte Zukauf eines chinesischen Unternehmens in Deutschland. Waldrich Coburg gehört schon seit 2005 zu Beijing No.1 Cnc Machine Co. Die spielen eine ganz wesentliche Rolle in diesem Konzern, weil sie die High-End-Produkte abdecken und gleichzeitig weiter im europäischen Markt präsent sind.

Natürlich werden Wissen und Technologie abgesaugt, aber auf der anderen Seite sind die Unternehmen erhalten geblieben und Teil eines großen Weltkonzerns. Der ist zwar chinesisch, da laufen im Einkauf auch die Prozesse, die du vorhin beschrieben hast. Aber ich würde mal sagen: Die Positionierung im weltweiten Zusammenhang ist gelungen. Die Chinesen haben, also zum Beispiel der Sany-Konzern mit Putzmeister, eine Möglichkeit gewonnen, ins High-End-Segment einzusteigen und erhalten gleichzeitig deutsche Arbeitsplätze. Ich habe eine Studie gemacht, schon ein paar Jahre her, dass die zweite Welle der Akquisitionen der Chinesen bei uns mehr Arbeitsplätze geschaffen als zerstört hat. Nicht die erste Welle, also Dornier und so, aber die zweite. Und die dritte Welle gibt es im Moment nicht. Die Chinesen sind da ganz zaghaft. Die sind zurückgepfiffen worden. Aber die zweite Welle hat eigentlich eine Win-Win-Situation gebracht. Das war aber vor zehn Jahren.

WP

Eben … ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich kenne dieses Narrativ. Das habe ich selbst in China gehört, bei meinem Shenyang-Abenteuer, beim größten chinesischen Maschinenbauer. Die haben Schiess gekauft, ein kleines Maschinenbau-Unternehmen in Aschersleben. Die haben uns dasselbe erzählt. Und 2019 gingen die beiden deutschen Gesellschaften von Schiess in die Insolvenz. Weil aus China keine Gelder mehr kamen. Ich glaube, dass man bei all diesen Aussagen nicht vergessen darf, dass die Agenda ganz offiziell lautet, diverse Märkte erobern zu wollen. Diese Agenda ignorieren wir gerne. Dabei sind wir speziell im Maschinen- wie im Automobilbau das Feindbild Nummer Eins. Und es ist klassische konfuzianische Strategie, den Gegner erst zu umarmen, um ihn dann irgendwann mal auszuschalten. Und ich fürchte, dass die exakt so vorgehen. Natürlich sind wir im Moment noch für die Kirsche auf der Torte verantwortlich, aber auch die wird man uns irgendwann mal wegnehmen.

JD

Aber langsam, langsam, langsam … du musst dabei auch die Veränderung des Gesamtmarktes sehen. Der Maschinenbaumarkt in den 80er, 90er, 2000er war zur einen Hälfte Europa und Amerika und die andere Hälfte war der Rest der Welt. Heute machen Europa und Amerika 20 Prozent und 80 Prozent gehen in den Rest der Welt. Das ganze Ding ist hundertfach größer geworden. Deswegen muss man die Kirche im Dorf lassen. Wir machen die Kirschen, aber die Kuchen werden erstens mehr und zweitens größer. Indien, Brasilien, Südamerika, Afrika kommen dazu. Selbst beim Automobil. Wir stehen heute weltweit bei 100 Millionen Autos. Wir waren vor nicht allzu langer Zeit bei 60 Millionen.

WP

Aber der Bedarf an Metallteilen pro Auto wird doch, wenn wir die Elektrifizierung kriegen, viel weniger. Wenn die Verbrennermotoren wegfallen, fallen auch 60 Prozent der Metallteile pro Auto weg.

JD

Das ist schon ein richtiger Aspekt. Aber der Gesamtmarkt wird viel, viel größer. Wir haben bisher nur eine Milliarde, sagen wir 2 Milliarden Menschen gehabt, die an diesem Luxus teilhaben konnten. Es werden aber 4 Milliarden werden. Du musst es in diesen Größenordnungen sehen. Also selbst mit unseren kleinen Kirschen können wir super leben in einem industriellen Markt für 4 Milliarden Menschen.

Ich sehe keinen Grund pessimistisch zu sein. Natürlich haben wir Schwierigkeiten, bei gewissen Dingen mithalten zu können. Wenn wir uns aber richtig positionieren, vor allem in dem industriellen Bereich, für den du die ganze Zeit gearbeitet hast, wenn diese Unternehmen ihre Sachen richtig machen, wenn die weiter auf Innovationen setzen, auf Internationalisierung, gibt es überhaupt keinen Grund für Pessimismus. Also Firmen wie TRUMPF in Ditzingen, denen sage ich eine große Zukunft voraus. Und schau doch mal auf die Umsätze: Die sind bei viereinhalb Milliarden.

WP

Da müssen wir aber auch mal ein Unternehmen wie ZEISS angucken. Wir haben uns heute in der Agentur darüber unterhalten. Ich habe für ZEISS angefangen zu arbeiten, da waren es, glaube ich, 10.000 Leute mit ungefähr einer Milliarde Euro Umsatz. Jetzt stehen die bei 8 Milliarden und beschäftigen nahezu 60.000 Menschen. Wahnsinn! Aber Waldemar, ich wollte nochmal klarstellen. Ich bin in dieser Hinsicht nicht pessimistisch. Ich sehe vielmehr speziell das Verhalten von China ähnlich kritisch, wie du das bei den USA siehst. So naiv, wie wir uns auf die USA und deren wirtschaftliches Verhalten eingelassen haben, sollten wir nicht noch einmal sein. Gerade bei China. Wenn es da nicht schon zu spät ist.

JD

Ich bin vollkommen bei dir.

WP

Ich glaube auch, dass die deutsche Wirtschaft die Kraft hat. Sie muss weniger politisch reguliert werden und vor allem nicht in die falsche Richtung. Ich glaube, die deutsche Wirtschaft hat die Kraft und die Power, sich da wieder ein eigenes Erfolgskonzept zu stricken. Insbesondere, wenn man mal endlich europaweit denken würde, mehr an Kollaborationen, Chancen, Möglichkeiten.

Es war wie immer wahnsinnig spannend: Vom Einkaufsverhalten bis hin zur Weltwirtschaft, wow! Ich habe heute gelernt, dass ich mich als Unternehmen an jedem der 5Es überprüfen und hinterfragen kann. Es liegen also noch viele, viele Themen vor uns, zu denen wir genug zu besprechen haben. Okay, wunderbar. Ich danke dir, alles Gute, bis bald!

JD

Bis zum nächsten Mal!

WP
Autor
Jörg Dambacher
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