5E ist machbar. Man muss es nur wollen.
Waldemar Pförtsch hat Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre studiert und in Sozialwissenschaften promoviert. Er hat als Berater für die United Nation Industrial Development Organisation in Sierra Leone, für die Siemens AG in Deutschland und den USA und bei diversen Consulting Unternehmen in den USA, Europa und Asien gearbeitet. Er war Professor für Internationales Marketing an der Hochschule Villingen-Schwenningen, Professor für Internationales Business an der Hochschule Pforzheim, Gastprofessor an der Kellogg Graduate School of Management, Dozent für Strategisches Management an der Lake Forest Graduate School of Management, Marketing-Professor an der China Europe International Business School (CEIBS), Shanghai. Er übernahm Lehrtätigkeiten in Chicago, Kalkutta, Lima, Tirana und ist bekannt für seine Zusammenarbeit mit Philip Kotler sowie seine umfangreichen Forschungen und Publikationen im Bereich Marketing und Internationales Business. Damit ihm nicht langweilig wird, ist er aktuell Professor of Marketing Management & Strategic and Digital Marketing an der CIIM Business School der University of Limassol auf Zypern. Und wir haben gemeinsam beschlossen, uns regelmäßig ein Marketing-Update bei ihm abzuholen.
Lieber Waldemar, das letzte Gespräch haben wir mit der Erkenntnis beendet, dass die meisten Unternehmen im Moment 5E Marketing-Mix noch gar nicht kennen und dass die, die es kennen, es nicht richtig für sich einzusetzen wissen. Deshalb meine erste Frage, wie kann man als Marketingprofessor dafür sorgen, dass der Marketing-Mix mit 5Es bekannter wird? Also wie macht ein Marketing-Professor Marketing fürs Marketing? Und zweitens: Wie bekommen Unternehmen den Zugang zur Umsetzung von 5Es?
Auf deine erste Frage möchte ich später eingehen. So viel vorab: Es sind ganz viele Leute in der akademischen Welt, die den neuen Marketing-Mix vorantreiben. An erster Stelle Philip Kotler und die ganzen anderen Co-Autoren wie Uwe Sponholz, Fabia Ancarani, Vivek Hattangadi, Marcos Bendedo, Philippe Malaval, die an der Entwicklung und Verbreitung des Models beteiligt waren. Es gibt aber auch Unternehmen, die dieses Prinzip bereits einsetzen. Wir haben schon über Patagonia gesprochen. Ich würde aber gerne mit der zweiten Frage beginnen und dazu einen Schritt zurück machen.
Du hast im Vorgespräch darauf hingewiesen, dass du immer noch auf Menschen triffst, die 4P nicht kennen. Nochmal: Alle diese Modelle, auch die 4P, sind eine Abstraktion der komplexen Realität. Und diese Abstraktion trifft nicht immer zu, deshalb vergisst man sie oft. Aber: Die 4Ps sind ein einfacher Orientierungspunkt, ein einfaches Prinzip. Und jeder Student, der Betriebswirtschaft studiert hat, kennt es. In die Unternehmen kommen jedoch oft Techniker, die diese Grundlagen nicht gelernt haben. Und dann ist selbst der 4P Marketing-Mix einfach nicht bekannt. Dabei haben die 4Ps schon vorher eine riesige Wandlung hinter sich gebracht. Ich habe das letzte Mal bereits erzählt, dass wir bei 4Ps von Outbound-Marketing sprechen. Also ein Unternehmen versucht von sich raus, die unterschiedlichen Partner seiner Wertschöpfungskette mit seinen Angeboten zu überzeugen. Und ebenfalls nochmal: Diese Art des Marketings ist heutzutage aus verschiedenen Gründen limitiert. Weil die Kommunikation anders läuft, weil der Kunde zu viel weiß, weil der Wettbewerb zu intensiv ist etc. Die Blickrichtung zu den Kunden muss also sehr viel intensiver sein. Deshalb sehen wir die Hinwendung zu kundenzentriertem Management.
Wer 4Ps nicht kennt, kennt Marketing nicht.
Wenn ich kurz einhaken darf, ich finde die Denkrichtung ist schlicht die falsche. Weil Outbound-Marketing immer von innen nach außen gedacht ist und die äußeren Umstände nicht den technischen Gegebenheiten entsprechend einfließen.
Genau, Ich würde es allerdings nicht als falsch oder richtig bezeichnen. Für mich ist es eben nur eine Sichtweise.
Du würdest also sagen, dass diese Unternehmen nicht das volle Potenzial ausschöpfen?
Ja, es ist eine limitierte Sichtweise. In den 2000er Jahren gab es den Wandel zu dem Marketing-Mix mit den 4Cs. Den haben die meisten Leute im Marketing nicht mitbekommen. Da reden wir bereits nicht mehr über Promotion, sondern über Kommunikation. Das heißt: Die Unternehmen hören schon zu. Und sagen nicht nur etwas. Außerdem wird bereits betont, dass der Customer in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Das ist die Zeit von Coca-Cola, Nestlé und Unilever, die in den 90er Jahren erkannt haben, dass Sie mit den Kunden reden müssen, dass sie Kampagnen machen, die interaktiv sind. Dass sie die Verfügbarkeit der Produkte für die Kunden wesentlich erleichtern können.
Die 4C im Marketing
Die 4C sind eine kundenorientierte Alternative zu den klassischen 4P:
1. Customer, stellt den Kunden in den Mittelpunkt. Es geht darum, was der Kunde will und braucht, anstatt nur das Produkt zu betonen.
2. Cost: Statt nur den Preis zu betrachten, fokussiert sich dieser Punkt auf die Gesamtkosten für den Kunden, z. B. auch Zeit und Aufwand.
3. Convenience: Wie einfach kann der Kunde das Produkt erwerben? Es geht darum, dem Kunden den Kauf so einfach wie möglich zu machen.
4. Communication: Im Gegensatz zu klassischer Werbung (Promotion) geht es hier um den Dialog und die Interaktion mit dem Kunden, um bessere Beziehungen aufzubauen.
Gehört dazu auch die Individualisierung und Personalisierung der Flaschen bei Coca-Cola?
Ja, das passiert auf dem neuen 4C Marketing-Mix und ist dann die nächste Stufe. Zuerst ging es darum, dass Coca-Cola einfach mehr wissen wollte, warum der Kunde überhaupt Coca-Cola trinkt. Einfacher Durst kann es nicht sein. Also was war es? Dann ging es darum, das Produkt in jeder Art von Gebinde, an allen möglichen Orten, zusätzlich zum Getränke- und Lebensmittel-Einzelhandel anzubieten. Bis hin zur Tankstelle, beim Arbeitsplatz, in der Bar, beim Fußball, etc. Und dann hat Coca-Cola auch verstanden, dass es nicht der Preis ist, was den Kunden interessiert, sondern die Kosten die für ihn auflaufen. Der Kunde muss zur Tankstelle oder zu seinem Getränkehändler fahren und er muss zu Hause einen Kühlschrank für die Kühlung der Getränke haben. Große Companies haben dieses Prinzip damals verstanden. Es ist aber nicht ins generelle Bewusstsein der Marketingcommunity gedrungen.
Eines ist aber hängen geblieben: Der Richtungswechsel in der Kommunikation. Daraus wurde erst die Kundenzentrierung, später die Personalisierung. Was ich damit sagen will, ab einem gewissen Punkt waren sowohl Outbound- als auch Inbound-Marketing präsent. Und alle die Unternehmen, die das Begriffen und gemacht haben, haben ihre Wettbewerber abgehängt oder gar ausgelöscht. Schau doch nur mal den Marktanteil von Coca-Cola in Deutschland an (ca. 80%) und den von Pepsi oder Afri Cola im Vergleich (10 bis 15%, max. 2%). Und der Marktanteil ist ja noch nicht alles, sie haben ja auch eine gigantische Profitabilität.
Und wenn ein Wettbewerber zu stark werden droht, wie zum Beispiel Bionade in Deutschland, dann wird er halt einfach gekauft.
Ja klar, Coca-Cola hat ja dann auch jede Möglichkeit. Also, ich würde sagen, eine Kombination von Outbound- und Inbound-Marketing ist heute die Realität. Dabei ist wichtig, dass du beides nur steuern kannst, wenn du relevanten Content hast. Nur so funktioniert die Kombination aus Listening und Messaging wirklich. Und schließlich, ganz wichtig, kam in dieser angesprochenen Periode die Erkenntnis auf, dass man ohne Marke sowieso nichts mehr erreichen kann. Insbesondere im B2B, im B2C war das ja bereits 50 Jahre vorher bekannt. Wir beobachten seitdem, dass große, internationale Marken, kleinere, lokale auslöschen oder zumindest stark verdrängen. Anders formuliert heißt das: Die großen Marken erfüllen die Wünsche der Kunden. Zumindest besser.
Ich muss kurz einhaken, Waldemar. Du sagst vollkommen richtig, Ende der 90er-Jahre, Anfang 2000 hat diese Entwicklung richtig Schwung bekommen. Warum beharren dann so viele B2B-Unternehmen bis heute, ohne eine Marke im Mittelpunkt hinzubekommen? Warum machen Sie ist nicht konsequent?
Dieses Phänomen haben wir beim letzten Mal diskutiert: Es hängt mit der Organisationsform zusammen. Wenn ich eine dominante Sales Organisation habe, dann verhindern diese Leute die Marke. Weil sie sich selbst als die Marke sehen. Wenn ich den Sprung zum Marketingunternehmen gemacht habe, dann geht es ohne Marke gar nicht mehr. Apple hatte zum Beispiel nie eine große Sales Organisation. Und deshalb war für Apple vollkommen klar, dass neben den Kundenbedürfnissen die Marke absolut im Mittelpunkt steht. IBM, das habe ich dir erzählt, ging genau durch diesen Wandel. Und alle Unternehmen, die diesen Wandel nicht gemacht haben, sind heute entweder Sales- oder Technology-driven und glauben deshalb, weitestgehend ohne Marke auskommen zu können.
Können wir sagen: Die Erkenntnis war da, aber die Organisation wurde nicht entsprechend umgestellt? Weil der Schritt vielleicht zu groß erschien?
Ja, okay, und wenn du es nicht musst …
… dann machst du es eben auch nicht.
Genau. Wobei man die Folgen aber schon beobachten kann. Zum Beispiel haben viele deutsche Unternehmen in China nicht auf Marketing umgestellt. Deswegen sind sie in vielen Bereichen Second Player. In China sind deutsche Unternehmen kaum mehr präsent. Die Unternehmen haben zwar in verschiedenen Produktkategorien 10-15 % Marktanteil, oft im Premiumbereich, haben aber nie den Durchbruch geschafft, um in China richtig präsent zu sein. Natürlich gibt es ein paar Marken, speziell bei den Automobilen, die waren groß. Aber bei denen bröckelt es im Moment auch. Und im B2B haben wir viele, viele Chancen nicht genutzt. In China ist es also für die deutschen Unternehmen offensichtlich, dass dieser Schritt zum Marketing-getriebenen Unternehmen fehlt. Und wenn er nicht gegangen wird, gerät man in diesem Markt sehr schnell ins Hintertreffen.
Die 5Es ohne 4Ps gibt‘s nicht. Ich brauche die 4Ps zum Starten.
So, und wenn wir jetzt wieder zu den 5E kommen, dann ist da ja noch ein Schritt dazwischen: die Digitalisierung. Und die hat sich ja in den letzten 10 Jahren, verstärkt durch Covid 19, geradezu dramatisch entwickelt. So dramatisch, dass die Unternehmen, die nicht marketinggetrieben sind, das Prinzip der 5E nicht für sich anwenden können. Weil ihnen die Einsicht und vor allem die Daten fehlen. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die das super machen. Aber viel zu viele eben auch nicht. Wie können B2B-Companies aus Deutschland also die 5E für sich anwenden? Beginnen wir bei Exchange the Knowledge. Es gibt verschiedene Formen, das eigene Wissen nach außen zu tragen. Entscheidend ist, dass ich das zu einer entscheidenden Funktion meines Unternehmens mache. Das ist bei B2B-Unternehmen naturgemäß schwierig, weil sie ihre Patente und Entwicklungen lieber für sich behalten. Dabei unterschätzen sie häufig, dass die Kunden oft mehr wissen als sie selbst.
Der Punkt ist doch bei B2B-Unternehmen, dass die von dieser Offenheit profitieren. Die haben sehr häufig große Fangemeinden, weil die Leute ja etwas ganz Wesentliches mit ihren Produkten und Lösungen machen, nämlich Geld verdienen. Damit haben die ein hohes Interesse, auch für sich einen Wettbewerbsvorsprung zu bekommen, einen Unterschied zu machen. Jetzt sind der Individualisierung im B2B natürliche Grenzen gesetzt, technische Machbarkeit und wirtschaftliche Darstellbarkeit betreffend. Aber die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgereizt. Und es liegen noch ganz viele ungenutzte Potenziale rum.
Genau, immer noch gilt: Auch die 5E sind ein abstraktes Prinzip. Ich muss dieses Prinzip auf meine Bedürfnisse und Möglichkeiten übertragen. Und dann findet die Entwicklung statt. Wie geht es bei Extend the Access, beim Weg zum Markt? Das war bei B2B in der Regel ziemlich klar vorgegeben. Ich bin über Distributoren, eigene Companies in den Ländern oder meine eigene Sales Organisation gegangen. Da muss ich neue Wege gehen: Wie kann ich Online optimal nutzen? Welche Möglichkeiten bietet mir das Prinzip des Joint Engineering (enge Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehr Parteien bei der Entwicklung, Konstruktion, Produktion und Distribution technischer Produkte oder Systeme)? Es gibt jede Menge an vor allem digitalen Möglichkeiten, die einige Unternehmen auch schon genutzt haben. Nehmen wir das Beispiel Hamburger Hafen. Das Angebot des Hafens ist im Kern die Logistik, also Produkte zu verschiffen. Der Hamburger Hafen setzt heute zunehmend auf den Einsatz von 3D-Drucktechnologien, um Ersatzteile für Maschinen und Infrastruktur herzustellen. Ohne lange Lieferzeiten und hohe Lagerkosten können Ersatzteile direkt vor Ort gedruckt werden. Der Hamburger Hafen verfolgt also eine neue Strategie, mit der Effizienz und Nachhaltigkeit der Lieferkette im Sinne der Kunden verbessert werden.
Das ist natürlich sehr klug gedacht und gelöst.
Ja, der Access verändert sich einfach, er muss sich verändern. Und wir in Deutschland müssen da wirklich aufpassen. Wir haben zum Beispiel keinen digitalen Zugang zu China. Wenn wir selbst nicht in China sind, haben wir keinen Zugang zu WeChat, ohne chinesisches Konto kannst du als Unternehmen dort gar nichts machen. Es wird also deutlich: Extend the Access ist einfach fundamental. Es ist entscheidend, den Kunden die Zugänge zu den Produkten und Lösungen zu erleichtern. Die Unternehmen müssen aufpassen, dass sie sich nichts kaputt machen. Also so wie aktuell Nike, die zahlreiche Händler rausgeschmissen und voll auf digitale Kanäle gesetzt haben und jetzt auf ihren Klamotten und Schuhen sitzen bleiben. Für die B2B-Unternehmen heißt das: Sie müssen den digitalen Zugang bieten, sie müssen sich mit neuen Möglichkeiten beschäftigen und out of the Box denken, aber sie dürfen damit ihre funktionierende Sales-Organisation nicht kaputt machen.
Ähnlich verhält es sich bei der nächsten Dimension, beim Preis. Preis ist immer ein Thema. Aber was früher der reine Verkaufspreis war, wurde zwischenzeitlich zur Cost of Ownership und heute reden wir über den Value, den Wert. Und das ist ein wichtiger Shift. Was ist denn der Output der Maschine wert? Und ist das nicht auch schon eine Art Co-Creation von Value? Wenn der Kunde eine neue Anlage kauft, dann hat er doch noch gar nicht das Wissen, um diese optimal einzusetzen. Vielleicht kann er mit der neuen Technologie noch gar nichts anfangen? Das bedeutet für mich als Anbieter, dass ich ganz andere Angebote stricken muss. Expand the Value bedeutet für die Unternehmen also nichts anderes, als sich über den Wert der eigenen Lösung für den Kunden klar zu werden. Was kauft er bei mir wirklich? Im Sinne von Evolve the Solution? Und was wird er mir für den Wert der Lösung bezahlen?
Schließlich die Marke. Die Marke war bisher in den meisten deutschen B2B-Unternehmen komplett außen vor. Einmal aus organisatorischen Gründen. Und weil man die Marke immer hinter Technologie gestellt hat. Es wurde als Begleitmusik betrachtet, mehr nicht. Allerdings wird langsam bekannt, dass sich hier was ändern muss. Unternehmen kapieren, wenn sie ihre Marke ins Zentrum stellen, öffnen sich zahlreich Türen von allein. Wenn ich die Marke nicht nutze, muss ich die Tür selbst aufmachen. Das ist dann oft die wahre Qualität der Verkäufer. Gute Verkäufer wissen, wie man Türen öffnet.
Gute Verkäufer sind sich bewusst, das habe ich zumindest immer meinen Kunden gesagt, dass er eine ganz, ganz entscheidende Brand Experience darstellt. Er kann alles einreißen, was sich an positiven Vorurteilen aufgebaut hat. Oder er kann bestätigen und verstärken.
Es ist oft passiert, wenn Organisationen im Wandel waren und Marketinginstitutionen eingeführt haben, dass die Sales-Leute vergessen wurden und es zwangsläufig gecrasht hat. Aber die Reihenfolge ist anders. Die Reihenfolge ist: Wenn ich keine Marke habe, dann stellt der Vertreter erst sich selbst vor. Und dann die Brand. Wenn die Brand in den Köpfen platziert ist, geht die Tür von alleine auf. Und er kann das nutzen und verstärken.
Dieses Bild mag ich. Als Kunde lässt du doch lieber einen guten Bekannten zu dir ins Haus als einen gänzlich Unbekannten. Dieses Bild mag ich. Als Kunde lässt du doch lieber einen guten Bekannten zu dir ins Haus als einen gänzlich Unbekannten.
Da gibt’s eine tolle Geschichte von IBM zu dem Thema. Im B2B haben wir eigentlich nie einzelne Entscheider, sondern Buying Center. Entscheidungen werden also immer gemeinsam getroffen. Von Menschen mit unterschiedlichen Rollen. Ein Initiator gibt den Impuls, der andere kümmert sich um die Finanzen, wiederum andere prüfen die technischen Gegebenheiten etc. Eine ganz wichtige Rolle ist dabei der Gatekeeper. Das können Assistenten oder Assistentinnen sein, junge Ingenieure, wie auch immer. Die sind in der Lage und manchmal auch befugt, dein Angebot direkt in den Papierkorb zu befördern. IBM hat in China irgendwann damit begonnen, sämtliche Assistentinnen und Assistenten zum Assistant Day in Shanghai einzuladen. Jährlich. Also nicht nur die CEOs zu Konferenzen, sondern auch die Gatekeeper aus dem Buying Center. Die kommen aber nur, wenn ich vorher dafür sorge, dass ich auch hier als Marke schon präsent bin, dass man mich kennt und schätzt. Damit erreiche ich einen ganz anderen Zugang zu diesen Menschen und zu den Entscheidern insgesamt.
Ist ein sehr schönes Beispiel, dass du da erzählst. Weil das Effekte hat. Erstens: IBM hat im Vorfeld sehr genau recherchiert, wer welche Rolle im Buying Center spielt. Und weiß das dann halt auch. Zweitens: Auch wenn ein CEO letztendlich die Unterschrift unter einen Kaufvertrag setzen mag, ist es trotzdem wichtig, auch den anderen Beteiligten Wertschätzung entgegen zu bringen, Wissensaustausch mit ihnen zu pflegen, sie einzubinden.
Genau, denk nur an die vielen Technology Days und Hausausstellungen, die zahlreiche B2B-Unternehmen mittlerweile veranstalten. Das sind Tage von unschätzbarem Wert für Kunden und Anbieter. Nähere und bessere Markenerfahrungen kann man eigentlich gar nicht anbieten und machen. Aber bis du als Unternehmen dahin kommst, ist das ein weiter Weg. Speziell bei Neukunden.
Wir wollen ja neue Kunden. Und wir brauchen die Entscheider der Entscheider. Und das ist manchmal etwas schwieriger. Bei der Wirtgen Group zum Beispiel, Hersteller von Baumaschinen, spezialisiert auf Straßenbau, Bergbau und Materialaufbereitung, ist folgendes passiert: Die haben eine Maschine, die den Asphalt frisst, wieder aufbereitet und neu verlegt. Warum verkaufen sie diese Maschine anfangs nicht? Weil sie anfangs nur bei den Straßenbauern präsent waren und nicht auch bei den Autobahnverwaltungen, Landratsämtern, Ratshäusern. Sie hatten nur ihre Kunden und nicht die Kunden ihrer Kunden im Visier.
Klassischer Fall von B2B2B. Das sind tatsächlich komplexere Verhältnisse.
Aber genau da kommt doch das H2H, kommen die 5E, voll zum Tragen. Du musst alle Menschen abholen, du musst jede einzelne Person ernst nehmen und entsprechend einbinden.
Ich habe zu meiner aktiven Zeit in der Agentur Kunden aus der Bauwirtschaft sehr gemocht, weil du da eine wirklich komplexe Entscheider-Gemengelage zu jonglieren hast. Bauherren, Architekten, Bauunternehmen, Handwerker, Bauleiter, technische Planer … alle die musst du immer ins Boot holen, um sie am Ende davon zu überzeugen, dass XYZ die besten Fenstersysteme anbietet. Und die sind ja dann auch alle interessiert, dass die Entscheidung mit Überzeugung für den besten Anbieter getroffen wird. Nur haben die teils zuwiderlaufende Interessen. Der eine steht unter dem Druck der Gewährleistung, der andere hat den Anspruch an die Ästhetik, der nächste möchte die höchste Marge, einfache Bedienung, gute Isolation, schnelle Verfügbarkeit. Das alles darfst du kommunikativ unter einen Hut bringen. Beziehungsweise musst du schaffen, dass alle Beteiligten ihre Interessen in irgendeiner Form gewahrt sehen.
Mir fällt dabei auf, dass wir in unseren Gesprächen immer auf ein paar ganz wesentliche Punkte zu sprechen kommen. Also zum Beispiel jetzt: Lerne deine Zielgruppen kennen. Alle. Und die dann auch noch sehr, sehr gründlich. Erfahre ihre Bedürfnisse, suche den Austausch und lerne. Und das zweite, was mir an dem Beispiel auffällt: Wenn ich mich als Unternehmen nicht langsam mal dafür entscheide, Marketing als die treibende Kraft meines Unternehmens zu betrachten, dann kann ich es doch vergessen.
Ich würde nicht so hart sein.
Waldemar, ich komme aus der Werbung. Wir texten Headlines.
Ich würde sagen: Dann komme ich nicht zum Erfolg, der möglich wäre. So formuliert finde ich das besser. Ich nehme Defizite in Kauf, die ich eigentlich nicht in Kauf nehmen müsste, die relativ einfach auszumerzen und aufzuholen wären.
In einem intakten Markt mit einem dynamischen Marktumfeld ist der Inbound Markt die Realität von heute.
Ok. Und wie erfahren jetzt die Leute, dass es mittlerweile ein besseres, zukunftsfähigeres Marketing-Prinzip gibt, das ihren Unternehmen weiterhilft?
Erstens: Bei uns in der Wissenschaft und Lehre ist das immer ein langwieriger Prozess. Wir müssen die 4P und die 4C in Erinnerung bringen und dann klar machen, dass die jetzt durch etwas Besseres abgelöst wurden, die 5E. Als Unternehmen musst du den Einstieg finden. Du als Werber fängst mit der Brand an, ich würde mit der Solution anfangen. Also: Mach dein Angebot so interaktiv, dass die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der Kommunikation da sind. Mach den Zugang zu den Produkten so offen, dass du in Bereiche vordringst, an die du bisher nicht gedacht hast. Und geh davon aus, dass deine Kunden wirklich Value kreieren wollen, gib ihnen die Chance dazu, wenn es technisch möglich ist. Und zelebriere deine Brand auf den Kanälen, die die Menschen erreichen. Also ganz viel digital.
Wie bekommen wir Professoren das jetzt nach draußen? Eigentlich nur durch Ausbildung. Also das sind die Studenten, die nächste Generation, die in die Unternehmen geht.
Das geht mir gerade durch den Kopf. Du hast immer so eine Verzögerung von fünf, zehn Jahren. Ihr gewinnt die Erkenntnis, dann lehrt ihr das und dann gelangt das Wissen über eure Studenten in die Unternehmen.
De facto sieht es so aus, dass die Studenten, die bei mir vor 20 Jahren im Hörsaal saßen, heute Entscheider sind. Nicht immer in den allerobersten Positionen, aber immerhin. Und die müssten jetzt eigentlich diejenigen sein, die das Verstehen und Umsetzen. Die haben aber vielleicht von den 5E noch nichts erfahren. Da muss ich drauf bauen, dass sie meine Beiträge in LinkedIn lesen und sich ab und zu mal ein Buch von mir kaufen. Deshalb sind unsere Gespräche auch für mich wichtig. Sie sind eine Form, das Prinzip nach draußen zu bringen. Wenn das Prinzip aufgriffen wird, dann ist das wieder für mich wichtig, weil ich damit meine Wahrnehmung und meine Realität überprüfen kann. Die nächsten Schritte sind dann Fallstudien, in denen ich aufzeige, wie es funktioniert. Also Beispiele unterschiedlicher Firmen mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Genau das werde ich als nächstes tun. Fälle finden, diese in Fallstudien beschreiben, sie zu erzählen und auch mit anderen Professoren auszutauschen.
Dann lass uns doch beim nächsten Termin ein, zwei Fallstudien besprechen, du hast doch bestimmt schon welche geschrieben.
Ja klar, können wir gerne machen.