Marketing-Update #3 mit Waldemar Pförtsch - 4P, 5E, olé, olé …

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Waldemar Pförtsch

Waldemar Pförtsch hat Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre studiert und in Sozialwissenschaften promoviert. Er hat als Berater für die United Nation Industrial Development Organisation in Sierra Leone, für die Siemens AG in Deutschland und den USA und bei diversen Consulting Unternehmen in den USA, Europa und Asien gearbeitet. Er war Professor für Internationales Marketing an der Hochschule Villingen-Schwenningen, Professor für Internationales Business an der Hochschule Pforzheim, Gastprofessor an der Kellogg Graduate School of Management, Dozent für Strategisches Management an der Lake Forest Graduate School of Management, Marketing-Professor an der China Europe International Business School (CEIBS), Shanghai. Er übernahm Lehrtätigkeiten in Chicago, Kalkutta, Lima, Tirana und ist bekannt für seine Zusammenarbeit mit Philip Kotler sowie seine umfangreichen Forschungen und Publikationen im Bereich Marketing und Internationales Business. Damit ihm nicht langweilig wird, ist er aktuell Professor of Marketing Management & Strategic and Digital Marketing an der CIIM Business School der University of Limassol auf Zypern. Und wir haben gemeinsam beschlossen, uns regelmäßig ein Marketing-Update bei ihm abzuholen.

Lieber Waldemar, lass uns doch heute mal auf die 4P und auf die 5E einsteigen. Ich habe zwar beim letzten Mal gesagt, dass wir mit Amazon Business weitermachen, aber ich würde jetzt doch gerne zuerst in die Unterschiede zwischen den 4P und den 5E einsteigen. Ich meine, die 4P kennt ja eigentlich eine Mehrheit, die 5E kennt niemand. Lass uns doch mal auf die wesentlichen Punkte eingehen.

JD

Also, ich würde das anders formulieren: 4P kennt jeder. Wer 4P nicht kennt, kennt Marketing nicht.

WP

… hat Marketing verpennt.

JD

Genau, an dem ist Marketing vorbeigegangen. 4P gibt es seit 1964, knappe 60 Jahre. Der Mythos lautet, Kotler habe es erfunden. Das stimmt nicht, er hat es verbreitet. Jerome McCarthy, ein Wirtschaftswissenschaftler aus den USA, hat sie sich ausgedacht. Bis dahin war kein Bewusstsein über Marketing vorhanden und man hat versucht, es für alle möglichst verständlich zu machen. Marketing-Aktivitäten gab es ja trotzdem und die wollte man systematisieren. Die Wissenschaftler haben die Welt simplifiziert und die 4P haben das fantastisch wiedergeben. Natürlich gab es dann welche, die nach 5P gerufen haben, später gab es 7P. Aber immer wieder gehen alle auf die 4P zurück, weil das Modell super einfach und klar ist.

WP

Wer 4P nicht kennt, kennt Marketing nicht.

Waldemar Pförtsch

Wenn sich also ein Unternehmen heute noch an den 4P ausrichten würde, würde es also nichts falsch machen?

JD

Ja, du machst mit einer Anwendung der 4P erstmal nichts falsch. Außer, dass du verstehen musst, was die damals nicht erkannt haben: Es stellt nur ein ganz spezifisches Marketing dar, das Outbound-Marketing. Sprich: Vom Unternehmen zum Kunden. Also: Ich als Unternehmen definiere das Produkt, den Distributionskanal, den Preis und die Promotion. Natürlich höre ich zu, lerne, modifiziere, aber ich determiniere alles ganz klar. Diese Realität gibt es meiner Meinung nach heute nicht mehr. Also natürlich kann ich auch heutzutage erfolgreich Outbound-Marketing machen. Mein liebstes Beispiel ist Liebherr, die sind sogar noch eine Stufe vorher. Die sind fertigungsorientiert. Die haben ihre Produktionskapazitäten mit, sagen wir mal, 3.000 Leuten für die Motoren. Und die fahren möglichst immer auf 100 Prozent. Wenn die Nachfrage nach Motoren steigt, dann müssen die Kunden warten, bei geringerer Nachfrage wird eben eine Schicht weniger gearbeitet. Das ist einfach das Prinzip, nach dem die bei Liebherr agieren. Ansonsten orientieren sie sich an den 4P, aus gutem Grund. Die machen so super Produkte, dass sie sich das Outbound „leisten können“.

WP

Das bedeutet, die Reputation leistet nahezu alles für das gesamte Unternehmen?

JD

Genau, Liebherr befindet sich auf der höchsten Ebene der Reputation. Das geht sogar so weit, dass die Leute, die einen Motor haben, ich bleibe jetzt mal bei dem Beispiel mit den Motoren, dass die den bei Liebherr regelmäßig überholen und warten lassen, damit sie ihn so lange wie möglich nutzen können. Natürlich ist Liebherr nicht Caterpillar oder Sany, die sind auf deutlich höherem Umsatzniveau, mit dynamischeren Produkten am Markt und insgesamt wesentlich wachstumsstärker. Aber Liebherr ist dafür auch nicht den Konjunkturzyklen der anderen ausgesetzt, sie sind stabil. Und sie können gut damit leben, wie einige andere Unternehmen auch.

WP

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Ein herausragendes Produkt schafft sich seine Fangemeinde selbst und …

JD

… die Methoden des 4P-Prinzips passen auch heute noch.

WP

Ich muss mir also über Marketing nicht sehr viel Gedanken machen in dieser Situation, oder?

JD

Genau. Aber so kann es eben nicht der gesamte Markt machen. Der ist meist einfach riesengroß und damit gibt es ganz, ganz viele Leute, die andere Erwartungen haben und keinesfalls auf einen Liebherr-Motor warten würden.

WP

Und ich darf bei diesem Verhalten auch nicht damit rechnen, dass ich eine große Dynamik in Richtung Wachstum oder Expansion auslöse.

JD

Diese Unternehmen wollen das auch nicht. Das ist eine sehr bewusst gewählte Strategie.

WP

Die Strategie eines konservativen, zuverlässigen, stabilen Familienunternehmens.

JD

Wenn ich sowas machen will, dann müssen einfach verschiedene Faktoren zusammenkommen. Es sind ganz wenige Unternehmen auf der Welt, die so agieren können. Bei manchen würde ich sogar behaupten, dass sie die 4P tatsächlich überhaupt nicht kennen. Die brauchen sie nicht kennen, die Unternehmen funktionieren ohne Marketingprinzipien wunderbar.

WP

Das meinte ich: Du brauchst nicht über Marketing nachdenken, wenn du einen derartigen Ruf im Markt hast und den auch durch deine Produkte permanent bestätigst. Die Experience ist bei den Kunden so, dass die immer sagen: Ok, will ich wieder haben.

JD

Das ist doch der Traum eines jeden Kunden: Ich brauche mich nicht darum zu kümmern, das Unternehmen macht das richtige, ich weiß, was ich bekomme. Hat vielleicht den Nachteil, dass ich nicht immer die neuesten Sachen kriege. Aber: Diese Unternehmen sind verlässliche Größen für ihre Kunden.

Trotzdem: Für Unternehmen, die ernsthaft über Marketing nachdenken, sind die 4P immer ein guter Ausgangspunkt. Ich persönlich sage sogar: Die 5E ohne 4P gibt´s nicht. Ich brauche die 4P zum Starten. In der Zwischenzeit sind wir bekanntlich in einem Inbound-Markt. Das heißt: Der Kunde weiß mehr als derjenige, der die Produkte erschafft. Der Kunde weiß genau, was die Produkte kosten.

WP

Die 5E ohne 4P gibt´s nicht. Unternehmen brauchen die 4P zum Starten.

Waldemar Pförtsch

Er kommt zumindest leichter an die Informationen ran.

JD

Ein Educated Customer weiß das. Der Kunde sagt dem Anbieter, wie sein Motor funktioniert, für welche Anwendungen er ihn am besten einsetzen kann und wie er Probleme damit am besten löst und, und, und. Dadurch hat er auch andere Ansprüche ans Unternehmen, er will mit ihm kommunizieren. Promotion geht meistens an ihm vorbei, die kann man knicken, die braucht er nicht. Die Kanäle, über die man ihn erreicht, die definiert er selbst und nicht sein Motorenanbieter. Selbst den Preis setzt er mehr oder weniger so, wie er ihn will. Wir befinden uns also in einer vollkommen neuen Situation. Und die großen digitalen Unternehmen spielen damit, versuchen ihre Monopolstellungen auszubauen und wenn sie einen bestimmten Punkt erreicht haben, fällt das Inbound Marketing wieder in sich zusammen. Siehe Google Search.

Ein Bundesgericht in Washington sprach Google Anfang August schuldig, mit seiner Suchmaschine eine illegale Monopolbildung betrieben zu haben. Der Richter erklärte, dass Google ein Monopolist sei und wie ein solcher gehandelt habe, um sein Monopol zu bewahren. Sprich: Google definiert die Bedingungen, diktiert den Suchmaschinenmarkt und damit werden dann auch die 5E obsolet.

WP

Weil es dann keine Educated Customer mehr gibt, sondern Abhängige. Das ist ein ziemlicher Unterschied.

JD

Ein massiver Unterschied, genau. Aber in einem intakten Markt mit einem dynamischen Marktumfeld ist der Inbound Markt die Realität von heute. Das heißt, ich muss als Unternehmen meinen Marketing-Mix dynamisieren. Dazu muss ich erkennen, dass meine Marke einen der vehementesten Faktoren zur Gestaltung des Marktes darstellt. Sowohl für die Kunden als auch fürs Unternehmen. Wie bereits gesagt: Die Marke ist im Besitz des Kunden. Das, was in den Köpfen der Kunden passiert, wird für die Unternehmen zur Realität, der sie sich zu stellen haben. Mit der Gestaltung der Marke schafft man dafür wichtige Voraussetzungen. Und dann kommt hinzu, welchen Value man anbietet und wie die Kunden per Co-Creation eigene Erfolge daraus machen.

WP

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Wesentlicher Unterschied der 5E zu 4P ist also zum einen die Dynamik, die im Marketing-Modell selbst steckt und die Bedeutung der Marke, die eine wichtigere Rolle bekommt. Gepaart mit der Erkenntnis, dass – auch wenn wir das bereits gesagt haben – die Marke nicht den Unternehmen, sondern den Kunden gehört. Diesen Satz halte ich deshalb für wichtig, weil das meines Erachtens viele deutsche Unternehmer noch nicht realisiert haben. Da habe ich so oft darauf hingewiesen und bin auf Unverständnis getroffen.

JD

Das kommt vom klassischen Outbound-Verhalten, von den 4P, wo ich von innen nach außen blicke. Wenn ich aber Inbound begriffen habe, von außen nach innen blicke, dann sieht es eben anders aus. Und die Konsequenz daraus ist, dass mein Marketing-Prinzip einfach anders sein muss, also 5E. Erstens kommt die Brand dazu, das heißt, ich muss maximales Engagement mit der Brand ermöglichen.

WP

Erstes E: Engaging the Brand.

JD

Das ist das allerwichtigste. Wenn ich das nicht mache, dann habe ich Probleme mit der Dynamik und dem Vertrauen, das mir entgegengebracht wird. Zweitens: Wir haben keine Produkte mehr, wir bieten Solutions. Zweites E: Evolve the Solution.

Nummer drei: Wir haben keine Promotion. Sondern das, was wir „The Exchange of Knowledge“ nennen. Zuhören, Informationen aufnehmen und Informationen geben. Auch da wieder: Apple ist einfach super. Wenn ich nur die Developer-Konferenzen verfolge und sehe, wie viele Informationen da herausgegeben werden und wie viele sie im Gegenzug erhalten. Also auf der Entwickler-Ebene. Und dasselbe passiert ja auch auf der Kundenebene: Exchange the Knowledge.

Dann das vierte E: Extend the Access. Sprich: Zugang, Verfügbarkeit, Kanäle. Die Menschen verändern ständig ihre Verhaltensweisen und ich muss den Zugang zu meinem Produkt dem permanent anpassen. Nimm zum Beispiel Coca-Cola, wo ich tagsüber im Aldi meine Coke zum günstigsten Preis kaufe. Wenn ich dann abends im Auto unterwegs bin, hole ich mir eine an der Tankstelle, weil die andere ja zuhause im Kühlschrank steht. Und nachts an der Bar nehme ich sie in meinem Cuba Libre zu mir. Coca-Cola macht es uns vor: Es gibt keinen Punkt auf der Erde, wo ich nicht zu irgendeiner Zeit eine Coke kaufen kann. Natürlich gibt es hier und da ein paar Restriktionen, aber trotzdem. Und Caterpillar macht das auch. Du kannst an jeder Ecke der Welt einen Caterpillar kaufen. Noch viel wichtiger ist aber der Service: Auch der steht rund um die Welt 24/7 bereit.

WP

Zweitens: Wir haben keine Produkte mehr, wir bieten Solutions.

Waldemar Pförtsch

Du musst den ja gar nicht mehr kaufen, du kannst ihn völlig problemlos für dein Projekt mieten. Daraus entstehen neue Modelle, die den Bedürfnissen der Kunden weiter entgegenkommen.

JD

Das passt hervorragend zum fünften und letzten E: Expand the Value. Früher habe ich einen Preis angeboten, heute ist viel entscheidender der Wert, den die Lösung für die Kunden hat. Ziel muss also sein: Mehrwert mit jedem Produkt, Mehrwert mit jeder Lösung. Wenn der Mehrwert nicht da ist, kauft der Kunde nicht. Der Kunde hat heute einen viel komplexeren Entscheidungsprozess als früher. Als Unternehmen muss ich diesen Entscheidungsprozess erkennen und mitspielen. Da bleibt mir gar nichts anderes übrig.

So, und wenn man das alles jetzt noch einmal betrachtet wird klar, warum ich persönlich immer vorschlage, die 4P als Ausgangsposition zu nehmen und die 5E als die neue Art und Weise zu nutzen, wie ich den Markt bediene. Natürlich ist auch das ein simplifiziertes Modell, schon wieder.

WP

Aber komplexe Modelle funktionieren doch auch gar nie. In der Umsetzung, in der Anwendung brauche ich doch die einfachen Prinzipien und Regeln. Das ist doch genau der Punkt.

JD

Ich denke, dieses Modell hilft uns wirklich weiter. Gegenwärtig ist es so, dass es die wenigsten Leute kennen. Und die es kennen, wissen nicht genau, wie sie es anwenden.

WP

Das ist doch perfekt, dann lass uns doch bei unserem nächsten Treffen darüber sprechen, wie Unternehmen solche Modelle am besten für sich anwenden. Speziell zum letzten Punkt, zum Mehrwert, gibt es interessanterweise im ansonsten als konservativ geltenden Maschinenbau schon ein neues Denken. Die Kunden bekommen ihre Maschinen zur Verfügung gestellt und bezahlen die Teile, die darauf produziert, die damit bearbeitet werden oder bezahlen nach Laufzeit. Jedenfalls müssen sie die Maschine gar nicht mehr kaufen. Das sind doch genau diese Denkweisen, die die von dir beschriebene Dynamik in bisher starre Systeme bringen.

JD

Mein Lieblingsbeispiel dazu heißt Trumpf. Die haben alles, was man als Kunde braucht, inklusive einer eigenen Bank zur Finanzierung, eigenes Consulting und bietet sämtliche Modelle der Bezahlung an. Sie nutzen aber nicht die 5E, weil sie sich das noch gar nicht näher betrachtet haben. Müssen sie auch nicht haben, man kann auch ohne dieses Wissen die richtigen Sachen machen. Unsere Wissenschaft ist sowieso eine Wissenschaft, die hinterher zur Einsicht kommt. Es ist eine empirische Wissenschaft. Wir schauen zu, wie sich die Realität verändert und versuchen daraus, Prinzipien und Modelle abzuleiten.

WP

Dann besprechen wir beim nächsten Mal, wie die Realität der Unternehmen in der Anwendung der 5E aussieht.

JD

Wunderbar, bis dann.

WP
Autor
Jörg Dambacher
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