Kunst trifft Verdichter. Das SCHAUWERK SINDELFINGEN

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12.11.2024

Mehr als drei Jahrzehnte bauten Peter Schaufler und Christiane Schaufler-Münch eine private Kunstsammlung auf, die heute über 3.500 Werke umfasst. 2003 nutzten sie die Gunst der Stunde und begannen damit, eine frei gewordene Industriehalle in ein Museum für moderne Kunst zu verwandeln. Was das mit der BITZER Kühlmaschinenbau GmbH zu tun hat und wie es auf Marke und Menschen wirkt, lesen Sie hier.

Dr. Svenja Frank

Studium der Kunstgeschichte, Neueren Geschichte und Italienischen Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Berlin und Promotion ebendort. 2000 und 2004–2006 Stipendiatin am Deutschen Studienzentrum in Venedig. Seit 2010 im SCHAUWERK tätig, seit 2017 stellvertretende Direktorin und seit Juli 2024 Direktorin.

Mein junger Kollege Konstantin Schlör, der mich für die Fotos ins SCHAUWERK begleitet, ist Fan von Museen. Er sagt, sie seien in der Lage, uns in ihre ganz eigene Welt zu holen. Die dann mit dem, was draußen vor der Tür passiert, nichts zu tun hat. Als wir die Schwelle des SCHAUWERK überschreiten, erscheint mir dieser Effekt besonders krass. Inmitten der Betriebsamkeit eines Industriegebiets, eingekeilt zwischen A81, riesigem Möbelgeschäft und der Hauptverwaltung von BITZER empfängt uns die hallende Stille der ehemaligen Lager- und Produktionsgebäude, die heute einem ganz anderen Zweck dienen. Aber wie kam es dazu?

Das Unternehmen

1934 gründete Martin Bitzer seinen Apparatebau für Kältetechnik, den der Diplom-Ingenieur Ulrich Schaufler 1961 übernahm. 1979 übernahm dessen Sohn Peter Schaufler (1940 – 2015) die Geschäftsführung und entwickelte BITZER zu einem führenden Unternehmen der Branche. Ende der 70er-Jahre begannen er und seine Frau, zeitgenössische Kunst zu sammeln. Und sie statteten unter anderem ihre Firma mit zahlreichen Werken aus. Es muss Ende der 90er, Anfang 2000 gewesen sein, als RTS Rieger Team die Einladung erhielt, sich bei BITZER vorzustellen. Der Name war uns ein Begriff, weil wir in den Jahren davor bereits für Unternehmen aus der Kältetechnik gearbeitet hatten. Ich weiß noch genau, wie ich das damals wenig charmante 70er-Jahre Verwaltungsgebäude betrat und von zeitgenössischer Kunst empfangen wurde. An und für sich nichts außergewöhnliches, viele Firmen leisten sich Kunst, um ihren Gästebereich zu verschönern.

Als uns zu Beginn der 1980er Jahre die Leidenschaft für die zeitgenössische Kunst packte, hätten wir niemals daran gedacht, dass wir einmal ein eigenes Museum bauen würden.

Christiane Schaufler-Münch, Peter Schaufler

Als mich mein damaliger Ansprechpartner aber zum Besprechungszimmer führte, wurde mir schnell klar, dass das mit der Kunst bei BITZER nicht normal ist: Die Wände hingen voll mit zeitgenössischen Werken, jeder Flur, jedes Büro, der Meetingraum, selbst die Toilette dienten als Ausstellungsfläche. Ich wollte unbedingt für dieses besondere Unternehmen arbeiten und mir schoss kurz der Gedanke durch den Kopf, im Erfolgsfall nach Bezahlung mit Bildern zu fragen. Wir hatten Erfolg und Wochen später durfte ich in der Tiefgarage parken. Und als hätte es noch eines weiteren Belegs der Kunstversessenheit von BITZER bedurft, hingen dort weitere Malereien. 2003 verlagerte das Unternehmen seine Produktion nach Rottenburg, wodurch im Stammwerk in Sindelfingen Flächen frei wurden. So entstand die Idee, neben der weiterhin dort untergebrachten Hauptverwaltung ein öffentliches Museum für die Sammlung des Ehepaars Schaufler zu errichten. Planungen, Teil-Abriss und Neubau dauerten mehrere Jahre, so dass am 11. Juni 2010 die Eröffnung des SCHAUWERK Sindelfingen stattfinden konnte.

Die Kunst

Am Eingang erwartet uns die Direktorin des Museums, Dr. Svenja Frank. Sie hat sich persönlich Zeit genommen, uns durch die aktuelle Ausstellung zu begleiten und unsere Fragen zu beantworten. Wir gehen direkt zu einer Schnurcollage von Fritz Ruoff aus dem Jahr 1979. Dabei handelt es sich um eines der ersten Werke der Sammlung des Ehepaars Schaufler, das nicht ohne Grund direkt neben dem für BITZER bahnbrechenden und äußerst erfolgreichen Octagon-Hubkolben-Verdichter aufgehängt ist. Die Symbolik ist eindeutig, der Zusammenhang zwischen dem Kerngeschäft des Unternehmens und der Kunstaustellung ist unübersehbar. Die Verbindung von Unternehmertum, Wissenschaft, Forschung und Kunst, die Peter Schaufler sein Leben lang fasziniert und angetrieben hat, konzentriert sich sozusagen in diesen beiden Exponaten. Wenn man so will, wird hier die Stammzelle gezeigt, aus der alles Weitere entstand.

Ausschließlich zeitgenössische Kunst, allen voran ZERO-Art, bilden den Kern der Sammlung Schaufler. Dazu kommen Minimal Art, Konzeptkunst und Konkrete Kunst. ZERO, eine Düsseldorfer Künstlergruppe, wurde 1958 von Heinz Mack und Otto Piene gegründet. 1961 kam Günther Uecker hinzu. Das ist der mit den Nägeln. Die Künstler sahen die Nachkriegskunst mit einem Übermaß an Ballast befrachtet. Sie suchten einen neuen Anfang, eine Stunde Null, die von der Vergangenheit unbelastet sein sollte. Sie wollten dem Drama des Zweiten Weltkriegs und seinen Gräueln eine reinere, heilere Welt entgegensetzen. Die Mitglieder erzeugen mit ihren lichtkinetischen Objekten, eine neue puristische Ästhetik, die in der Erscheinung zwischen Bild und Skulptur anzusiedeln ist. Genau die Energie, die diese Art von Kunst ausstrahlen wollte, traf das Ehepaar Schaufler wohl mit voller Wucht. Peter Schaufler spürte und nutzte die positive Ausstrahlung seiner liebsten Werke oft genug, wenn er bei der Arbeit an einer komplizierten Aufgabe saß. Er sprach dabei vom „Hirnen“. Seine Bilder halfen ihm dabei. Und er wollte, dass das seine Mitarbeitenden auch fühlen. Weshalb sich viele auch heute noch, in Absprache mit den Verantwortlichen aus dem SCHAUWERK, Kunstwerke für ihr Büro aussuchen.

Eine Auswahl der Künstler*innen der Sammlung Schaufler, die regelmäßig im SCHAUWERK zu sehen sind:

Doug Aitken · Nobuyoshi Araki · Arman · John M Armleder · Georg Baselitz · Vanessa Beecroft · Monica Bonvicini · Enrico Castellani · John Angus Chamberlain · Tony Cragg · Hanne Darboven · Thomas Demand · Tracey Emin · Dan Flavin · Sylvie Fleury · Lucio Fontana · Günther Förg · Rupprecht Geiger · Isa Genzken · Antony Gormley · Katharina Grosse · Subodh Gupta · Andreas Gursky · Jeppe Hein · Candida Höfer · Roni Horn · Donald Judd · Anish Kapoor · Alex Katz · Anselm Kiefer · Imi Knoebel · Brigitte Kowanz · Norbert Kricke · Robert Longo · Adolf Luther · Heinz Mack · Piero Manzoni · John Mccracken · Jonathan Meese · François Morellet · Nam June Paik · A.R. Penck · Otto Piene · Michelangelo Pistoletto · Bettina Rheims · Gerwald Rockenschaub · Ugo Rondinone · Thomas Ruff · Tom Sachs · Frank Stella · Jessica Stockholder · Thomas Struth · Wolfgang Tillmans · Rosemarie Trockel · Günther Uecker · Not Vital · Wim Wenders · Franz West · Erwin Wurm · und viele mehr…

Die Stiftung

Ein bedeutsamer Schritt, die Verbindung von Unternehmertum mit Wissenschaft, Forschung und Kunst fortzuführen, die Peter Schaufler privat und als Geschäftsmann lebte, passierte 2005: The Schaufler Foundation wurde ins Leben gerufen. Und zwar genau mit der Absicht, sich für Wissenschaft, Forschung und Kunst zu engagieren. Natürlich ist die Stiftung Trägerin des Museums, sie fördert daneben unter anderem diverse Forschungsprojekte und Fachbereiche der Technischen Universität Dresden oder stiftet Professuren an der Hochschule Karlsruhe und der Universität Stuttgart. Was aus der Verbindung von Wissenschaft, Forschung und Kunst entstehen kann, demonstriert sehr eindrücklich eine aktuelle Ausstellung im SCHAUWERK. SCHAUFLERLAB@SCHAUWERK zeigt Werke von Künstlern, die zwischen 2020 und 2024 Stipendiat*innen am Campus der Technischen Universität Dresden waren. Ihre Arbeiten entstanden in Auseinandersetzung mit den Sammlungen der Technischen Universität und in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten oder universitären Einrichtungen. Und die Ergebnisse sind ohne Wenn und Aber völlig überraschend, neu, eindrücklich und ein Erlebnis.

Parallel dazu wird gerade noch Lichtkunst aus der Sammlung Schaufler ausgestellt. Eine Kunstform, die meines Erachtens beim Betrachten besonders nachdrücklich ihre energetische Wirkung entfaltet. Und die heute vor dem banalen Problem steht, was mit dem Kunstwerk passiert, wenn eine Glühlampe kaputt geht. Schließlich trat im Herbst 2009 das EU-weite Verbot der Glühlampen in Kraft. Manche Typen sind selbst in Restbeständen kaum noch auf dem Markt zu finden und einfach eine andere Technologie einsetzen geht auch nicht. Da hat das SCHAUWERK also in Zukunft eine knifflige Aufgabe zu lösen.

Die Wirkung

Beim Kaffee nach dem Rundgang will ich von Dr. Svenja Frank wissen, welche Wirkung das SCHAUWERK auf die Menschen und für die Marke BITZER entfaltet. Sie sagt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien überwiegend begeistert und vor allem stolz. Es ist nicht nur das Museum der Familie Schaufler, es ist eben auch ihr Museum. Und das nicht nur, weil sie mit ihrer erfolgreichen Arbeit Jahr für Jahr ihren Beitrag dazu leisten, schließlich werden die Aktivitäten der Stiftung zu einem großen Teil durch die Dividende des Unternehmens finanziert. Es ist mehr, es ist die Identifikation mit dem, was hier geschaffen wurde.

Eine vor Ort ansässige Schule schickt uns in jedem Schuljahr mehr als 400 Schülerinnen und Schüler vorbei. Viele der Kinder und Jugendlichen sehen wir kurz darauf wieder. In Begleitung ihrer Familien.

Dr. Svenja Frank

Auch die regionale Öffentlichkeit empfindet das SCHAUWERK als große Bereicherung. Zahlreiche Schulklassen kommen vorbei und nicht selten beobachtet die Direktorin, dass an den Wochenenden danach dieselben Schülerinnen und Schüler noch einmal vorbeikommen. Dieses Mal nur in Begleitung ihrer Familien. Sie scheinen ihre Begeisterung also teilen zu wollen. Auch viele Kund*innen aus dem In- und Ausland, die BITZER besuchen, sind überrascht und beeindruckt von dem, was sie im SCHAUWERK zu sehen bekommen. Alle wissen, dass es die Kunstsammlung gibt, die wenigsten rechnen aber mit dem, was sie dort erleben. Die Wirkung auf die Menschen, auf die verschiedenen Öffentlichkeiten, die ein Unternehmen für sich einnehmen will, ist also unbestritten.

Die Brand Experience

Die letzte Frage, die sich stellt, beantworte ich mir beim Schreiben selbst: Braucht es das Vehikel Kunst? Nicht unbedingt, aber es braucht ein Vehikel. Die Produkte und Leistungen von BITZER, insbesondere das Kernprodukt Verdichter, sind weitestgehend unsichtbar. Sie werden in Anlagen verbaut. Sie sind nur Fachleuten bekannt. Dabei hat jede und jeder mindestens einen Verdichter im Haus. Falls man einen Kühlschrank sein Eigen nennt. Denn das Ding, das ab und an rappelt, das ist der Verdichter. Interessiert bis auf den Lärm eigentlich keinen, richtig? Dabei gilt: Ohne Verdichter keine Kühlung. Sowohl für die gesamte Kältetechnik als auch mittlerweile für die Wärmetechnik mittels Wärmepumpe stellt der Verdichter das Herzstück dar. Trotzdem ist es schwierig, ein Produkt, das weitgehend unsichtbar ist, seinen Dienst ohne größeren Lärm und Aufsehen machen sollte, am liebsten eingebaut und vergessen wird, in irgendeiner Form so zu inszenieren, dass es Menschen fasziniert und in eine Ausstellung zieht. Autos tun sich da nun mal wesentlich leichter.

Wahrscheinlich gäbe es eine Menge Geschichten zu erzählen, was mit Hilfe von Verdichtern ermöglicht, gelöst, vorangetrieben wurde. Aber mal ehrlich: Kann sich jemand ernsthaft an Stelle des spektakulären SCHAUWERK das erste deutsche Verdichter Museum vorstellen? Ich nicht, zumal ein entscheidender Punkt bislang unerwähnt blieb: Peter Schaufler hat mit seiner Frau die Kombination aus erfolgreichem Unternehmertum, Wissenschaft, Forschung und Kunst sein Leben lang gelebt. Das SCHAUWERK ist kein Konstrukt, kein künstliches Produkt, es ist sein begehbares, bestaunbares, begreifbares Lebenswerk. Es ist die Dokumentation einer Leidenschaft, die sowohl das Unternehmen als auch das Projekt Kunst vorantrieb. Es ist somit eine authentische, aufsehenerregende, außergewöhnliche Brand Experience für die Menschen, die das Museum durch die BITZER-Brille sehen und erleben. Man hat nach dem Besuch sicher ein anderes Bild der Firma BITZER als vorher. Da bin ich mir sicher. Für alle anderen ist das SCHAUWERK ein Muss, das man als Kunstfreund über die Grenzen von Baden-Württemberg hinaus für regelmäßige Visiten auf dem Schirm haben sollte.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass in den Büros bei BITZER Möbel und Einrichtungen extra so platziert werden, dass Raum für Kunst entsteht.

Dr. Svenja Frank

Autor
Jörg Dambacher
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