Man muss nicht die Fehler der anderen machen. Oder doch? Nike – just don’t do it.

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06.09.2024

Nike war einer der wertvollsten Konzerne weltweit. Nun musste die Sportmarke Milliardenverluste verbuchen. Warum die Digitalstrategie von Nike zum Scheitern verurteilt ist, erklärt Frank Dopheide jüngst in seiner Handelsblatt-Kolumne „Out of the Box“. Das klingt umso erstaunlicher, als dass adidas vor Jahren denselben Fehler gemacht hat. Ein Lehrstück in Sachen Management-Hochnäsigkeit, Fehleinschätzung der Zielgruppe und der Bedeutung der Marke.

Frank Dopheide

Frank Dopheide begann seine Karriere als Texter und arbeitete sich bis zum Geschäftsführer bei Scholz & Friends hoch. Später wurde er CEO der Handelsblatt Media Group und Chairman von GREY Worldwide. Dopheide ist Gründer von Human Unlimited, einer Beratungsfirma, die sich auf menschenzentrierte Führung und Markenbildung konzentriert.

Das schreibt Dopheide im Handelsblatt

So sieht eine rote Karte an der Börse aus: 25 Milliarden Dollar Wertverlust an einem Tag. John Donahoe, CEO von Nike, hatte seine Zahlen für das zweite Quartal 2024 präsentiert. 130 Millionen Aktien wurden aufs Parkett geworfen, so viel wie sonst in drei Monaten. Seit Jahresbeginn hat der ewige Weltmarktführer 32 Prozent an Wert verloren. Digital first, die Strategie des 2020 berufenen Kapitäns, ist ein kapitales Eigentor, das in die Lehrbücher eingeht. Eine Lektion für alle, die vor ihrer nächsten Marketing-, Vertriebs- und Budgetplanung stehen.

Fangen wir vorn an. Nike war mit 170 Milliarden Dollar eine der wertvollsten Marken unseres Planeten. Seit Jahrzehnten globaler Marktführer und doppelt so umsatzstark wie Adidas, der Verfolger. John Donahoe kam vor tausend Arbeitstagen neu ins Spiel, machte die übliche Reise durch die Unternehmenswelt und verkündete nach 100 Tagen seine Zukunftsstrategie: „Liebe Nike-Kollegen, dies ist, was ihr gefordert habt. Nike wird die Kategorien Marke, Produktentwicklung und Vertrieb entfernen und ein DTC-Unternehmen (Direct-to-Consumer) werden.“ Dafür wollen sie das Marketingmodell ändern und zentralisieren. Außerdem soll es digital und datengetrieben werden. Die Handelspartner sollen ab nun eine untergeordnete Rolle spielen.

Das klang weniger nach Mitarbeiterwunsch als nach McKinsey. Die Verlockung: die Matrixorganisation zu vereinfachen und die Kosten zu optimieren. Hunderte von Mitarbeitern und Tausende Jahre Erfahrung wurden vom Platz gestellt. Wer braucht schon Expertise, wenn er ein Flywheel hat, das datengetriebene Analysemodell, das alles trackt?  Tausende Handelspartner bekamen die Kündigung, weniger und wenig exklusive Ware. Statt nach Sportarten wurden Produkte nun nach Männern, Frauen und Kindern sortiert – eine Art H&M mit Swoosh. Nike war vom Tag der Geburt 1965 eine Marken- und Marketingfirma. So wurde sie auch geführt: Marke, Produkt und Storytelling. Nike spielt stets auf Sieg – im Handel, in den Kategorien und im Fernsehen. „Just do it“ schrieb Werbegeschichte und ließ dafür schon mal die Fußballergötter unserer Zeit gegen den Teufel selbst antreten. Nike war stets unübersehbar.

Nike hat den Coolness-Faktor nicht miteinkalkuliert

Jetzt war nicht die Steigerung des Markenwerts das höchste Ziel, sondern der digitale Abverkauf auf Nike.com als Maß aller Dinge und Boni. Milliarden Dollar an Budget wurden in Performance Marketing und Programmatic Adverstising gepumpt. Der Anfang schien vielversprechend. Die Kosten gingen runter, und Corona sorgte dafür, dass der Onlineverkauf in neue Höhen kletterte. Doch das Schmieröl einer digitalen Verkaufsmaschine heißt billig und Discount. Es wird mit Wert- und Ansehensverlust bezahlt. Nike nahm das in Kauf. Dann öffneten die Läden wieder, und die Realität kam zurück. Das Flywheel hatte Berge von Daten, aber keine Ahnung von Menschen. Die neue Kollektion floppte. Waren im Wert von zehn Milliarden Dollar lagen wie Blei in der Lagerhalle. Digital optimiert hatte Nike völlig die Orientierung verloren. Ohne Inhouse-Expertise und Händler, die sich für die Marke ins Zeug legten, fiel Nike nur eins ein: mehr Discount. Nike.com wurde zur Resterampe. Bald war jede Woche Black Friday. Doch die Steigerung von Rabatt heißt Verlust. Wer sich unter Preis verkauft, ist uncool.

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Nike hat seine digitale Rechnung ohne den Menschen gemacht

Doch Coolness ist ein wichtiger Faktor, die Brand Heat zu steigern. Die Händler hatten Nike aus den Regalen geräumt und neuen Marken eine Bühne geschafften. Der Marktführer war auf der Fläche nicht mehr sichtbar. Digitalisierung ist nur ein anderes Wort für Nirwana. Nike hat seine digitale Rechnung ohne den Menschen gemacht. Das Erfolgsduo Innovation und Inspiration scheint in der Datenflut untergegangen. Die Markenstärke von Kreativität und Storytelling ist zu Content-Management mutiert, wenig effektiv, aber gut messbar.

Belanglose Kommunikationssplitter, um Schnäppchenjäger auf Nike.com zu schieben. „Wenn du einen Körper hast, bist du ein Athlet“, war die Mission, die Fanbase zu erweitern, nun ist Lifetime Value die neue Recheneinheit. Heavy User sind schneller zu monetarisieren als Neukunden. Mit dieser Strategie verliert Nike dreifach, erstens Marktanteile, zweitens Coolness und drittens die nachwachsende Generation. Zur Olympiade in Paris hat Nike eine Running Challenge gestartet. Jeder, der fünf Kilometer läuft, bekommt 20 Prozent Rabatt auf ein Vollpreisprodukt. Das kennen wir sonst nur von Praktiker und Galeria Kaufhof. Vor dem Abverkauf müssen Markenkapital und Markenbegehrlichkeit gesteigert werden. Digital first ist dazu so ungeeignet wie ein Hochzeitsantrag per E-Mail. Kasper Rorsted hatte die Nike-Strategie für Adidas kopiert und ähnlich schlechte Erfahrungen eingefahren. Er wurde ausgewechselt. Der neue CEO Björn Gulden hat das Spielsystem wieder auf menschlich umgestellt, im Unternehmen, im Handel und im Produktdesign.

Adidas meldet derweil ein zweitstelliges Umsatzwachstum. Das rosafarbene Trikot der Fußball-Nationalmannschaft hat dabei für viel Kopfschütteln und neue Verkaufsrekorde gesorgt. John Donahoe ist bei Nike noch am Start, um mit Finanzdisziplin und Einsparungen die Probleme zu lösen, die er selbst geschaffen hat. So sieht digitale Selbstverstümmelung aus. Just don’t do it.

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Same, same and not different. Adidas. It’s impossible.

2017 hatte CEO Kasper Rorsted auf der Adidas Bilanz-Pressekonferenz nicht nur starke Zahlen und einen Umsatz-Rekord zu präsentieren, sondern auch eine klare Richtungsvorgabe für die kommenden Jahre. „Wir sind ein digitales Unternehmen geworden“, sagte Rorsted damals. Dazu gehöre beispielsweise, dass bereits 90 Prozent des Marketingbudgets für digitale Kampagnen und Social Media ausgegeben wird: „Wir interagieren so direkt mit dem Konsumenten und sind dort, wo der Kunde ist." Gleichzeitig sei man ein sehr junges Unternehmen. Für die Mitarbeiter gebe es keinen „digitalen Wandel“, weil sie schon „digital sind“ und eine hohe Affinität zu digitalen Themen hätten. Was das Umsatzwachstum angeht, stäche der E-Commerce bei Weitem alle Vertriebskanäle im vergangenen Jahr aus. Das E-Commerce-Geschäft wuchs um 57 Prozent.

Im Oktober 2019 sprach Simon Peel, seinerzeit globaler Mediadirektor von Adidas, ganz offen über die Fehler, die der Sportartikelhersteller in den vergangenen Jahren in seiner Mediastrategie gemacht habe. Peels in London gehaltener Vortrag lässt sich so auf den Punkt bringen: Adidas hat lange zu sehr auf Effizienz geachtet und zu wenig auf Effektivität. Eine Überakzentuierung von Performance-Marketing war die Folge. Laut Peel flossen 77 Prozent der Mittel in diesen Bereich, während nur 23 Prozent in die Marke investiert wurden. Es gab damals im Hause Adidas kein geeignetes Modell, um die Bedeutung einzelner Kontaktpunkte in der Customer Journey für die Kaufentscheidung nachzuvollziehen. Stattdessen schaute man auf den letzten Klick. Erst als die Herzogenauracher tiefer in die Daten einstiegen, sei Peel zufolge einiges klar geworden. Markenwerbung trieb die Umsätze im stationären Handel sowie im E-Commerce wesentlich zuverlässiger als Performance-Maßnahmen.

Zudem ließ sich die These, dass Digitalspendings auch digitale Umsätze befeuern, offenbar nicht bestätigen. Daraus folgte bei Adidas die Erkenntnis: Anders als es die Last-Click-Attribution vermuten lässt, sind Investitionen in Bewegtbild, TV, Out-of-Home und Kino besser angelegt als Ausgaben für Paid Search und Online-Display. Dies habe sich laut Peel vor allem gezeigt, als in Lateinamerika Google Adwords vorübergehend ausfiel, und trotzdem noch in etwa gleich viel Traffic und Umsatz über die Google-Suche kam wie zuvor. CEO Kasper Rorsted ist übrigens nicht nur daran gescheitert und seit 2023 bei Adidas Geschichte. 

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Eigentlich kann man nur den Kopf schütteln

Zum zweiten Mal also opfert eine Weltmarke, besser: die Weltmarke im Sportartikelbereich ihren eigentlichen Wert auf dem Altar der vermeintlichen Performance. Es werden exakt dieselben Fehler gemacht. Und es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann John Donahoe verdientermaßen den gleichen Weg wie Kasper Rorsted gehen wird. Die Bedeutung der Marke für die Menschen wird selbst in diesen absolut Marken- und Marketing-getriebenen Unternehmen unterschätzt. Dass alle Marken den Kundinnen und Kunden gehören und man sie ihnen nicht zugunsten kurzfristiger Verkaufserfolge und schneller Effizienzeffekte wegnehmen sollte, wird ignoriert. Man berauscht sich an Zahlen, an Daten, an der vermeintlichen Einfachheit der Digitalisierung und verliert dabei das Wesentliche aus dem Auge. Ganz so, wie es Frank Dopheide in seiner Kolumne schreibt: Das Flywheel hatte Berge von Daten, aber keine Ahnung von Menschen. Der sicherlich treffendste Satz der ganzen Kolumne. Überraschung, Inspiration, Kreativität, Storytelling sind nach wie vor die entscheidenden Treiber gekonnter Markenführung und damit des Unternehmenserfolgs. Weil sie per se den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen. Kauf, du Arsch reicht einfach nicht aus. Selbst in den digitalen Zeiten. Das gilt exakt so auch und ganz besonders für B2B-Marken. Without brand? It’s impossible!

Autor
Jörg Dambacher
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