Die Corporate Website ist ein Phänomen mit vielen Gesichtern. Sie ist modern, hochglanzpoliert und bis in den letzten Winkel durchdesignt. Ihre Inhalte werden von Heerscharen eigens engagierter Redakteure täglich gepflegt und auf dem neuesten Stand gehalten. Es gibt sie aber genauso als Relikt aus den Anfangstagen des Webs. Inklusive Multiframe-Layout und drehendem @-Zeichen. Zwei Dinge aber haben diese beiden Seiten und alle Abstufungen dazwischen gemein: Sie sind einer der wichtigsten Touchpoints für B2B-Marken, insbesondere entlang der Buyer-Journey. Und sie werden gerade durch KI gekillt. Wir erläutern, was das bedeutet, und warum wir das sogar gut finden.
Steht bei Ihnen SEO auch ganz oben auf der Digital-Liste? Vielleicht überlegen Sie sich das noch mal. Über 50 % aller Google-Suchen enden heute bereits ohne Klick auf eine Website. Willkommen im Zeitalter der sogenannten No-Click-Search. Mit KI-Suchmaschinen wie Perplexity, ChatGPT Search oder Google Search Generative Experience (SGE) wird diese Entwicklung zum neuen Standard. Die Userfrage wird beantwortet – direkt in der Suche. Der Besuch der Website? Wird einfach übersprungen.
Uns macht das hier auch keinen Spaß, aber besser, Sie hören es von uns: Ihre Corporate Website, so wie Sie sie kennen, hat es bald hinter sich. Die Besucherzahlen werden zurückgehen. Erst ein wenig. Dann ganz plötzlich ganz viel. Für Informationen über Ihre Produkte oder Kontaktinfos wird niemand mehr auf Ihre Website kommen. Absolut niemand. Wozu auch? Was Interessenten in Zukunft über Ihre Produkte wissen wollen, kommt nicht mehr von Ihnen sondern von einer KI. Von welcher? Wissen wir (noch) nicht. Aber es wird eine sein. Da sind wir uns sicher.
Woher wir das wissen? Weil es schon passiert. Jetzt in diesem Moment. Laut einer Forrester-Studie von Ende 2024 nutzen bereits jetzt 90 % der B2B-Einkäufer Gen-AI für ihre Kaufentscheidungen. Dabei begleitet die KI nicht nur einzelne Phasen, sondern die komplette Buyer Journey – vom ersten Anbietervergleich über die Erstellung von RFPs bis hin zur finalen Entscheidung. Das Einzige, was den KI-Dammbruch im Moment zurückhält, dürfte die Tatsache sein, dass es bislang nicht die eine zuverlässige Quelle für alle B2B-Einkaufsdaten gibt. Noch. Denn selbstverständlich braut sich da schon was am Horizont zusammen.
Der chinesische E-Commerce-Gigant Alibaba hat vor Kurzem seine B2B-Suchplattform Accio gelauncht. Die KI-basierte Plattform wurde mit mehr als 200 Millionen branchenspezifischen Parametern trainiert, um Einkäufern passende Produktempfehlungen aus über 7.500 Kategorien zu machen. Ohne viel Werbung hat Accio schon einen Monat nach Launch eine halbe Million User aus dem KMU-Segment. Die Nachfrage nach solchen Lösungen ist also da. Übrigens: Einen Player aus Deutschland gibt es hier auch: Ensun. Gerne das "Google für Unternehmen" genannt. Auch Ensun liefert mittels KI Informationen über Lieferanten und Produkte. Ganz bequem, ohne zig Anbieterwebsites besuchen zu müssen.
Noch fühlt sich das alles etwas holprig an und noch müssen sich die B2B-KI-Suchen das Vertrauen der Einkäufer erarbeiten – aber das wird nur eine Frage der Zeit sein. Und dann verändert das alles. Dann werden Sourcing-Prozesse außerhalb der Sichtweite der Anbieter stattfinden. Die Corporate Website – früher Startpunkt jeder Recherche – wird zum bloßen Datenlieferanten für KI-Systeme. Dagegen könnte man sich sperren, indem man keine Daten zur Verfügung stellt – aber dann wird man verlieren. Besser wird es sein, die neue Realität zu akzeptieren und sich an sie anzupassen.
In sehr naher Zukunft werden also KI-Bots Zusammenfassungen über Ihre Produkte und Co. schreiben. Und die werden sich ziemlich sicher nicht an Tonality-Regeln halten oder die Brand Story erzählen. Als B2B-Marketer wird man sich daran gewöhnen müssen, dass man im Sourcing-Prozess der Zukunft einen Kontrollverlust erleben wird. Das wird eine massive Umstellung. Denn für viele B2B-Marken war die Website eine der zentralen Bühne: Hier präsentierte man Haltung, Historie, Produkte, Kontaktpersonen. Lauter Dinge, die ein KI-Modell bald in drei Sätzen zusammenfassen wird – ohne, dass je ein Mensch die Seite besucht.
Das bedeutet:
KI-Zusammenfassungen verändern das Marketing entlang der Buyer Journey fundamental. Wo früher einzelne Phasen gezielt mit spezifischem Content adressiert wurden, ersetzt heute oft ein einziger Prompt die gesamte Reise. Die KI bündelt Informationen, zieht Vergleiche, liefert Bewertungen – in Sekunden. Für Markeninszenierung bleibt da kein Platz, kein Ort, keine Zeit. Das bedeutet: Klassisches Funnel-Denken ist damit am Ende.
Und sie ist wichtiger als je zuvor. Gerade weil KI die Markeninszenierung in einigen Bereichen unmöglich macht, wird die übergeordnete Markenidee zur Konstante in einem fragmentierten, automatisierten Informationsuniversum. Wer als B2B-Marke bestehen will, muss Klarheit schaffen: Wofür stehen wir? Was macht uns einzigartig? Vor allem aber muss sie in den Köpfen und Herzen der Zielgruppen so fest verankert werden, dass sie auch da wirkt, wo sie gar nicht stattfindet.
Und das bedeutet: Imagekommunikation, Awarenesskampagnen werden in Zukunft von noch größerer, noch fundamentaler Bedeutung für den Verkaufserfolg sein, als sie es ohnehin schon sind. Und es bedeutet auch, dass B2B abseits von Employer Branding mehr und mehr Kanäle erobern wird, die klassischerweise von B2C-Marken genutzt werden. Mehr Instagram, mehr TikTok, mehr YouTube, Netflix, Amazon und Co.
Zugegeben, wir haben vielleicht etwas übertrieben. So ganz wird die Corporate Website nicht verschwinden. Aber sie wird sich massiv verändern. Die Corporate Website der Zukunft wird zwei vollkommen unterschiedliche Funktionen erfüllen: Datenlieferant für KI und Brand Experience Raum für Menschen. Bei ersterem wird es darum gehen, Inhalte so aufzubereiten, dass sie für KIs möglichst leicht verständlich, verlässlich und zitierbar sind. Die Corporate Website wird damit zum strukturierten Datencontainer, zur Quelle für automatisierte Antworten. Was zählt, ist semantische Klarheit, logische Gliederung, Aktualität und Vertrauenswürdigkeit. All das wird dafür sorgen, dass die Marke in den Zusammenfassungen der KI korrekt, prägnant und positiv dargestellt wird – ohne dass jemand die Seite je aufruft.
Letzteres wird aus Markensicht der spannende Teil. Wenn Informationen automatisiert beschafft werden, muss die Website etwas anderes als Informationen bieten. Etwas, das eine KI nicht zusammenfassen kann. Erlebnisse. Die Website muss künftig Markenerlebnisse bieten, die echten Mehrwert liefern – für Menschen, nicht Maschinen. Dazu gehören funktionale Elemente wie Self-Service-Portale, ebenso wie Onlinekurse, interaktive Demos und, und, und. Insbesondere in den digitalen Erlebnissen liegt in der KI-Zukunft das große Brand-Building-Potenzial für B2B-Marken.
Die Corporate Website stirbt nicht – aber sie verliert ihre alte Bedeutung. Als Hochglanz-Schaufenster der Marke wird sie künftig kaum noch wahrgenommen – dafür aber als funktionale Infrastruktur, die sowohl KI als auch Menschen mit relevanten Informationen und nützlichen Services versorgt. Wer als B2B-Unternehmen künftig noch digital relevant sein will, muss auf zwei Ebenen denken: Sichtbarkeit in KI-Systemen durch strukturierte Inhalte – und Erlebbarkeit für echte Menschen durch digitale Customer Experience.
Die Website wird damit zur unsichtbaren Macht im KI-gestützten Informationsökosystem. Und zur sichtbaren Bühne für diejenigen, die ihre Marke in echte Hilfe übersetzen können. Gleichzeitig wird die B2B-Marke als emotionaler Anker noch an Bedeutung gewinnen. In einer Welt, in der Informationen generisch zusammengefasst und überall gleich zugänglich sind, wird das Gefühl, das eine Marke auslöst, zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal. Deshalb müssen B2B-Marken künftig viel selbstverständlicher und aktiver in Awareness- und Imagekommunikation investieren – nicht als nettes Beiwerk, sondern als integralen Bestandteil ihrer Wachstumsstrategie.